Kapitel 23

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Tills Sicht:

Immer noch gefangen in meinen trüben Gedanken, nahm ich einen Schatten neben mir wahr. Automatisch drehte ich den Kopf nach links, blickte auf und sah Martha ins Gesicht. Sie sah mich kurz an und drehte dann ihren Kopf wieder nach vorne. Ihre Hände schob sie unter ihre Oberschenkel und wippte mit den Beinen vor und zurück. Mein Blick fiel dann auf ein kleines Buch, welches sie neben sich abgelegt hatte. Es war genau das Buch, welches sie bei unserer ersten Begegnung dabei hatte. Direkt musste ich schmunzeln, als ich daran zurück dachte, wie wir uns genau vor dieser Bank begegneten.
"Seit wann bist du aus dem Krankenhaus raus?", brach sie dann die Stille. "Kurz nachdem du, naja, nachdem ich dich rausgeschmissen habe.", sagte ich und schon wieder schämte ich mich dafür. Wieso war ich eigentlich immer zu den Leuten ekelig, die eigentlich nur Gutes für mich im Sinn hatten? Dafür hatte ich keine Erklärung.
"Das war vollkommen okay. Mach dir deswegen keine Vorwürfe oder so.", sagte sie und schon wieder brachte sie nur Verständnis auf, was mich immer wieder überraschte, aber auch enorm erleichterte. "Danke." Mehr viel mir dazu nicht ein. Und schon wieder ploppte die riesen große Frage in meinem Kopf auf, womit ich das verdient hatte. Seit wann hielt das Schicksal mal etwas Gutes für mich bereit?
"Wieso bist du hier?", fragte sie mich dann. "Ich halte es im Internat nicht mehr aus. Viktor hat mir direkt wieder aufgelauert. Der Typ ist wirklich gestört.", sagte ich leise. "Boar dieser Typ ist echt das Letzte!",  sagte sie aufgebracht. "Ich habe heute Morgen versucht mit ihm zureden, aber das bringt rein gar nichts.", fügte sie dann hinzu. "Wie du hast mit ihm geredet?!", fragte ich überrascht. "Ja, hab ihm abgefangen, als er alleine war. Aber keine Chance. Er ist und bleibt ein Tyrann. Ich glaube er macht es, damit er sich stärker fühlt." "Ich glaube ja, er macht es aus reiner Boshaftigkeit. Nichts anderes steckt dahinter. Aber wieso er ausgerechnet mich ausgewählt hat, bleibt ein Rätsel." "Er sieht in dir das perfekte Opfer." "Na schönen Dank auch.", lachte ich auf. "Sorry. War nicht so gemeint. Aber es ist ja wirklich so. Du wehrst dich nicht. Und so lange sich das nicht ändert, wird er immer so weiter machen.", sagte sie. Ihre Worte ließen mich nachdenklich werden. Sie hatte ja einerseits recht, aber wie schon gesagt: Es war leichter gesagt als getan, sich jemanden anzuvertrauen und diesen großen Schritt zu wagen. Die Angst vor den Konsequenzen war einfach zu groß. Sie konnte das leicht behaupten. Sie war nicht in dieser Lage, wie ich. "Wurdest du schon mal gemobbt?", fragte ich sie dann. Doch sie schüttelte den Kopf. "Nein. Zum Glück nicht." Ich wusste nicht wieso, aber das machte mich sauer. "Dann hör auf so zu tun, als würdest du mich verstehen!", warf ich ihr wütend an den Kopf und sprang auf. "Till, jetzt komm mal klar. Ich will dir doch nichts Böses. Ich will dir nur helfen." "Tolle Hilfe bist du!", sagte ich laut und drehte mich von ihr weg. "Hä Till?! Willst du mich verarschen? Dann sei halt weiterhin das Opfer! Du scheinst dich ja richtig wohl in deiner Opferrolle zu fühlen!", brüllte sie mir hinterher. Autsch. Das hatte gesessen.

Viktors Sicht:

Mittlerweile war es stockdunkel, aber ich saß immer noch auf der Mauer des Volleyballfeldes. Nach meinem Ausraster im Flur hatte ich mich mit einem Kühlpack hierher verzogen und kühlte meine blau- und dickgewordene Hand. Plötzlich nahm ich Schritte hinter mir wahr, also drehte ich mich um. Ich sah wie Till, über den spärlich beleuchteten Hof lief. Natürlich wurde ich wieder total nervös und meine Hände wurden auch ganz schwitzig. Seit er die paar Tage im Krankenhaus war, reagierte mein Körper noch mehr auf ihn. Fuck. Wie sollte ich das denn in der Schule oder generell vor den anderen überspielen?! Traurig sah ich dabei zu wie er im Gebäude verschwand. Und somit sich noch mehr von mir entfernte. Ich vermisste ihn. Ich wollte ihm nah sein. Seinen Duft einatmen und seine Wärme spüren. Aber das würde wohl auf Ewig ein Traum von mir bleiben. Denn mich outen war keine Option. Die Anderen würden bestimmt genau so reagieren, wie meine Eltern. Sie wären bestimmt auch angeekelt von mir und ich wäre eine Schande für die ganze Schule. "Das ist widerlich", hatte mir mein Vater gesagt und dabei seine Nase gerünft, als wäre ich ein ekeliger Haufen Schleim. Dann hatte er mal wieder auf mich eingedroschen, und mir Vorwürfe gemacht, was sie bei meiner Erziehung nur falsch gemacht hätten.
Es tut so weh, sich niemanden anvertrauen zu können. Klar, ich bin beliebt in der Schule, aber nur als der Viktor den ich vorgebe zu sein. Der echte Viktor ist eine verlorene Seele, die endlich ihren inneren Frieden finden möchte.
Nach weiteren 10 Minuten erhob ich mich und ging dann auch rein. Im Zimmer angekommen, packte ich mir mein Waschzeug und ging in den Waschraum. Doch dort angekommen, blieb ich wie angewurzelt in der Tür stehen. Till war auch da und spritzte sich gerade Wasser ins Gesicht. Es sah einfach total sexy aus und meine Fantasie ging mit mir durch. Shit. Schnell sammelte ich mich, setzte meine perfektsitzende, gefühlslose Maske auf und stellte mich drei Waschbecken weiter neben ihn.
"Und willst du mich wieder unter die Dusche zerren?", fragte er mich gereizt. Oh ja, wie gerne ich das machen würde, schoss es mir in den Kopf. Uff Was war nur mit mir los?! Ich musste mich echt mal zusammen reißen, sonst würden bald alle merken, dass ich volle Kanne in Till verliebt war.
Ich ignorierte ihn diesmal einfach nur und putze meine Zähne. Was gar nicht so leicht war mit meiner kaputten Hand. Ich glaube sie war gebrochen. Es fühlte sich auf jeden Fall so an.
"Weißt du Viktor. Du tust mir richtig Leid. Du bist eine so arme Wurst, dass du andere fertig machen musst, nur damit du dich besser und stärker fühlen kannst."  Was war nur los mit ihm? Seit wann war er so frech und hatte eine so große Klappe mir gegenüber?!  "Ach Till. Du wirst schon sehen was du davon hast.", lächelte ich wieder zuckersüß und es befriedigte mich, dass Angst in seinen Augen aufflackerte. Dann sah ich ihn eiskalt an, rempelte feste mit meiner Schulter gegen seine, als ich an ihm vorbei ging, um den Waschraum zuverlassen. Kaum war ich auf dem Flur verschwunden, hörte ich ein lautes Klirren. Ich blieb aprupt stehen und lauschte. Es hörte sich an, wie ein Spiegel, der in tausend Teile zerbrochen war. Dann hörte ich einen Schrei und drehte mich urplötzlich um und lief zurück zum Waschraum. Was ich dann da sah, brachte mich komplett aus der Fassung.

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