Kapitel 6

184 4 0
                                    

Marthas Sicht:

"Und wie war dein erster Schultag?", fragte mich meine Mutter natürlich direkt als Erstes, nachdem ich zu ihr ins Auto gestiegen war und die Tür schloss.
"Ganz okay. Meine Klasse scheint ganz nett zu sein.", sagte ich ihr dann. "Das ist doch schön. Vielleicht lebst du dich ja dann doch schnell hier ein mh?" Ich zuckte mit den Schultern. "Ja vielleicht." 'Vielleicht aber auch nicht', dachte ich  und starrte mal wieder nur aus dem Fenster. Ich wollte mich hier nicht wohl fühlen und schon gar nicht einleben. Ich wollte einfach nur wieder zurück und ganz nah bei Leo sein. Ich liebte ihn doch. Aber er hatte sich gestern sehr eigenartig verhalten. Erst nicht melden und dann so ganz plötzlich auflegen. Das passte eigentlich gar nicht zu ihm. Auf meine Gute Morgen - Nachricht hatte er sich auch nicht gemeldet. Man, wieso war er denn so abwesend? Ich verstand es einfach nicht.
Ich würde ihn nachher versuchen anzurufen. Lena hatte sich noch gar nicht gemeldet, was auch untypisch für sie war. Aber irgendwie sah ich es auch nicht ein, dass ich wieder die Erste sein sollte, die sich meldet. Ach man, wieso mussten wir auch hierher ziehen?! Dann wäre alles so geblieben wie es war und nichts hätte sich geändert. Aber jetzt hatte sich alles geändert und ich hasste es.
"Wo ist Papa?", fragte ich dann meine Mutter, als wir in das verlassene Haus eintraten. "Arbeiten. Du weißt doch, dass er immer lange im Büro ist.",sagte meine Mutter verwundert über meine Frage und schaute mich dann prüfend an. "Martha Was ist los?" "Leo benimmt sich komisch, seit dem wir hier sind.",sagte ich dann leise und war den Tränen nah. Es laut auszusprechen tat nochmal mehr weh, als nur darüber nachzudenken. "Bestimmt hat er schon ne Neue.",schluchzte ich jetzt los und meine Mutter zog mich schnell in ihre Arme. "Ach Quatsch Martha! Leo ist doch ein guter Typ, der war immer so nett. Sowas traue ich dem echt nicht zu. Du übertreibst." War ja klar, dass sie nicht auf meiner Seite war. Schnell wischte ich mir die Tränen weg. "Ich geh in mein Zimmer.", murmelte ich dann und verschwand in meine 4 Wände. Wieso versuchte ich es eigentlich immer wieder mit meiner Mutter über meine Probleme beziehungsweise über die Dinge zu reden, die mich Beschäftigten? Sie zeigte nie Mitgefühl für mich. Und verstehen konnte sie mich schon gar nicht. Sie spielte das immer nur runter. Letztens meinte sie sogar "Ich wüsste nicht was wahre Probleme sind. Und ich solle mich nicht so anstellen, mit meinen kleinen Problemchen." Tja Willkommen in meiner Welt.
Traurig stand ich nun auf dem Balkon und wusste nicht so recht was ich tun sollte. Erst starrte ich nur mit leerem, nachdenklichen Blick in die Ferne, doch dann nahm ich mein Handy und wählte die Nummer von Lena. Ich brauchte jetzt einfach meine beste Freundin. Zu meiner Überraschung nahm sie schon nach dem dritten Klingeln ab. "Hey Martha! Es tut mir ja so Leid, dass ich mich nicht gemeldet habe, aber ich hatte so viel um die Ohren die letzten Tage.", kam direkt die Entschuldigung von ihr. Komisch. Genau so wie bei Leo gestern auch. "Hey, okay. Ja eine kurze Nachricht wäre schön gewesen.", sagte ich mit einem leicht wütendem Unterton in meiner Stimme. Ich konnte ihnen doch nicht so wenig bedeuten, dass sie nicht mal ein 'Gut angekommen?' oder 'Sorry, melde mich später bei dir', hinbekamen. "Ich brauche dich.", sagte ich dann sanfter. "Schieß los.". "Naja es geht um Leo. Er verhält sich so komisch seit dem ich weg bin. Und ich bin gerade mal zwei Tage weg! Was ist wenn er mich jetzt schon vergessen hat oder noch schlimmer: Bereits mit ner anderen ersetzt hat?!" Direkt bildete sich wieder dieser große, unangenehme Kloß in meinem Hals, der sich dort festsetze und Panik in mir verbreitete. "Leo und ne Neue? Martha das glaubst du doch wohl selbst nicht! Leo wäre der letzte, der dich betrügen würde." "Sicher? Hat er dir irgendwas erzählt?"  "Nein Martha, aber sei unbesorgt. Ich glaube einfach, dass er überfordert damit ist. Gib ihm ein wenig Zeit und dann wird das schon.", beruhigte mich Lena. Wahrscheinlich hatte sie recht. Für ihn war das Ganze ja genau so schwer, wie für mich auch. Ich atmete erleichtert aus. "Okay, danke Lena!" "Immer, weißt du doch. Du ich muss jetzt auflegen.", kicherte sie plötzlich los und ich hörte im Hintergrund Geräusche. Sie war also nicht alleine. Hatte sie sich schon wieder einen andern Typen geangelt? "Okay. Aber wir schreiben ja?", sagte ich dann und nachdem sie sich verabschiedet hatte, legte ich auf. Das Telefonat hatte ich gebraut. Jetzt war ich ein wenig beruhigt und konnte mich auf meine Schule konzentrieren. Also packte ich meine Lernsachen zusammen und setzte mich damit auf den Balkon. Das Wetter war einfach viel zu schön, um die ganze Zeit in der Bude zuhocken. Die Sonne strahlte vom Himmel, Vögel flogen umher und der Wind ließ die Baumkronen hin und her schwanken. Nach 2 Stunden produktiven Lernens, beschloss ich Spazieren zugehen, um mir eine gute Laufstrecke zusuchen. Mein Vater war immer noch nicht von der Arbeit zurück.
Also ließ ich mir ein bisschen Zeit. Erstmal lief ich den gleichen Weg zum Park, in dem ich gestern auch schon war. Dort sah es nämlich wirklich schön aus. Große Rasenflächen, ein Springbrunnen und 2 Teiche mit Fischen drin. Es war echt traumhaft hier. Ich lief ohne Ziel umher und kam plötzlich vor einer langen Einfahrt zum Stehen. "Sportinternat", las ich leise das Schild vor welches vor meiner Nase an einer Wand hing. Ich blickte die Einfahrt entlang und sah ein graues, trostlosen Gebäude. 'Die armen Menschen, die da hin gehen mussten', dachte ich mir und setzte dann meinen Weg weiter fort und anstatt nach einer guten Laufstrecke Ausschau zu halten, erkundete ich Erfurt. Ich musste zugeben die Stadt hatte viele schöne Ecken, an denen man sich vielleicht doch wohl fühlen konnte. Irgendwann.

Bad LiarWo Geschichten leben. Entdecke jetzt