Kapitel 5

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Tills Sicht:

Gelangweilt saß ich bei Herrn Zech im Unterricht und kritzelte auf meinem Block herum, bis es plötzlich an der Tür klopfte.
Ich schaute auf und war gespannt wer da zur Tür herein kommen würde und was die Person wollte. Naja eigentlich war ich einfach nur froh, dass Herr Zech seinen Monolog über das deutsche Kaiserreich unterbrechen und ich mir dieses stinklangweilige Thema nicht weiter anhören musste.
"Entschuldigen Sie die Störung Herr Zech, aber ich habe eine neue Schülerin. Sie wird ab heute in die 9b gehen.", hörte ich Herrn Chung, unseren Direktor, sagen. Dann ging er auch schon wieder. Direkt fiel mein Blick weiter nach links und meine Augen wurden ganz groß, als ich sah wer dieses Mädchen war. Martha. Es war die Martha, die ich gestern Abend noch im Park getroffen hatte. Ich dachte immer solche Zufälle gäbe es nur in schlechten Filmen, aber niemals in der Realität. Doch genau so einen Zufall hatten wir gerade.
"Ey guckt mal. Der Loser ist schockverliebt", hörte ich Viktor zu seinen Jungs flüstern und sie lachten laut los. Direkt verschwand das Lächeln aus meinem Gesicht, welches automatisch über mein Gesicht gehuscht war. "Viktor, ich weiß nicht was so lustig da hinten ist, aber seid doch mal Gentleman und stellt euch dieser netten Dame vor.", schaltete Herr Zech sich jetzt ein. Eins musste man ihm lassen: Er war zwar streng, aber gerecht und merkte immer wenn etwas nicht stimmte. Ich musste schadenfroh grinsen, als Viktor tatsächlich aufstand um sich vorzustellen. "Hi ich bin Viktor. Und der beste Läufer hier.", sagte er arrogant. Ich verdrehte nur die Augen. Er der beste?! Ja ist klar. Dann setzte er sich wieder. "Danke für diese ausführliche Vorstellung Viktor.", sagte Herr Zech und deutete dann auf Martha. "Vielleicht hast du ja ein bisschen mehr zu erzählen. Stell dich bitte auch eben vor." "Okay. Also ich heiße Martha, bin 16 Jahre alt und bin seit kurzem mit meinen Eltern her gezogen. Ich mache gerne Sport, zeichne aber auch für mein Leben gern.", erzählte sie dann. "Danke Martha und herzlich Willkommen am Einstein. Du kannst da hinten neben Till Platz nehmen.", sagte er dann und zeigte in meine Richtung. Was wieso neben mir?! Direkt rutschte ich nervös auf meinem Stuhl hin und her. Ich saß schon immer alleine, also wieso sollte sich das jetzt plötzlich ändern?! Sie folgte seiner Hand und schien mich jetzt erst richtig wahr zunehmen. Denn sie zögerte eine Sekunde, bevor sie sich bei Herrn Zech bedankte und dann zu mir an den Tisch kam und sich rechts auf den freien Stuhl fallen ließ. Wir blickten uns zwar kurz an, aber wechselten kein Wort miteinander.

Dann in der Pause sah ich sie draußen auf eine der Bänke sitzen, wie sie auf ihr Handy blickte. Ich wollte gerade zu ihr und nochmal versuchen ein Gespräch anzufangen, doch dann sah ich wie Viktor und sein Gefolge sich vor ihr aufreihten. Enttäuscht blieb ich stehen und beobachtete die Szene.
Ich sah wie er irgendwas sagte und sie daraufhin auflachte. Leider war ich zu weit weg um genau zu verstehen worüber sie sprachen. Ich kannte sie ja nicht mal richtig, aber trotzdem wollte ich der jenige sein, der da gerade mit ihr sprach und lachte und nicht Viktor. Ich weiß auch nicht, aber vielleicht war sie die Chance auf einen richtig guten Kumpel. Jemand den ich mich anvertrauen konnte. Oh Gott das klang ja so erbärmlich.
"Ooooh, verbringt unser Supersportler mal wieder die Pause ganz alleine?", riss mich Viktors Stimme plötzlich aus meinen Gedanken. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass die Pause vorbei war und sie jetzt auf den Weg zurück zum Klassenzimmer waren und deshalb an mir vorbei mussten. Ich sah ihn nur mit meinem Pokerface an und stand einfach regungslos da. Seine Worte fraßen sich in meinen Kopf und hinterließen dort nur noch mehr Wunden in Form von Selbstzweifeln. Ich blickte vom Boden auf und sah in Marthas Augen. Sie lächelte kurz verlegen und ging dann auch an mir vorbei.
Erst als sie aus meiner Hörweite waren, drehte ich mich um und folgte ihnen ebenfalls ins Klassenzimmer. Ich wollte einfach nur das dieser Tag ein Ende hat. Doch ich wusste, sie würden im Internat weiter machen.

Und ich hatte recht. Zurück im Internat, zog ich mir meine Laufsachen an. Ich musste eine Runde drehen, um den Kopf frei zu bekommen. Jedoch bevor ich überhaupt starten konnte, fing mich Viktor schon wieder im Flur ab. Innerlich seufzte ich auf. Wurde ihm das nicht langsam selbst zu blöd, jemandem ständig aufzulauern nur um ihn fertig zu machen?! Ich konnte einfach nicht begreifen wie jemand ernsthaft Spaß an sowas haben konnte. Aber gut da musste ich durch. Ich musste es aushalten und hoffen, dass es ihm doch irgendwann zu blöd werden würde. Ich konnte dieses Irgendwann kaum erwarten.
"Willst etwa laufen gehen was? Du wirst eh nie an mich ran kommen. Du bist ein Versager. Ein Nichts. Ein Niemand. Du wirst immer der Loser bleiben. Verstanden?!", redete er auf mich ein. Seine Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Sie schlugen auf mich ein. Genau so wie seine Fäuste es gestern getan hatten. Doch diese Art von Schmerz war definitiv schlimmer. Er tat definitiv mehr weh und hinterließ definitiv tiefere Wunden, die nicht so schnell heilen würden.
Man ich wusste doch genau, dass er nur neidisch auf meinen Erfolg war. Ich war gut. Ich trainierte hart und hatte es verdient! Aber seine Worte machten all die Erfolge und all mein Selbstbewusstsein zu nichte. Und dass er das jedes Mal aufs Neue schaffte, machte mich so wütend auf mich selbst. Ich hasste mich richtig dafür. Ich spannte meinen Kiefer an und sagte nichts. Ich wollte, aber konnte es nicht. Außerdem würde es dadurch nicht besser werden.
"Hat es dir jetzt die Sprache verschlagen oder wieso sagst du nichts?", provozierte er mich weiter und tippte mir dabei auf meinen Brustkorb. Ich blieb weiter still. "Achso. Verstehe. Bist wohl schon abgehoben und willst nichts mehr mit den anderen zu tun haben, was?", lachte er jetzt spöttisch. "Lass mich doch einfach in Ruhe.", sagte ich dann und zog wütend die Augenbrauen zusammen.
"Okay", sagte er und ging dann einfach. Verwirrt blickte ich ihm nach. Was war das? Ich schüttelte den Kopf und machte mich dann auf den Weg, um meine Runde zu drehen. Doch ich musste die ganze Zeit über Viktors seltsame Reaktion nachdenken. Man bestimmt wollte er genau das. In meinen Kopf eindringen, um mich selbst dann fertig zu machen wenn er nicht in der Nähe war. Bestimmt gehörte das auch wieder nur zu einem seiner bescheuerten Pläne. Und schon wieder fragte ich mich wieso sie mich ausgewählt hatten. Wieso ich?  Wieso mussten sie überhaupt mobben? Sowas hat doch niemand verdient. Meine Gedanken wirbelten unkontrolliert durch meinen Kopf und trieben meine Beine dazu an, noch schneller zu laufen. Meine Lunge brannte schon richtig und schien nicht mehr in der Lage zu sein, genug Sauerstoff aufzunehmen. Doch ich zwang mich trotzdem dazu weiter zu laufen. Sonst würden sie nie aufhören mich fertig zu machen.
Total fertig, kam ich dann zurück am Internat an. Meine Beine und auch meine Hände zitterten. Ich stand kurz vorm Umkippen, aber dieses Gefühl von Freiheit machte süchtig. Und ich wollte es so oft wie möglich spüren. Nur in diesen paar Minuten, hatte ich das Gefühl ich könne alles schaffen. Nur dann, fühlte ich mich für einen kurzen Moment stark und unbesiegbar.

Bad LiarWo Geschichten leben. Entdecke jetzt