Kapitel 27

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Tills Sicht:

Ich fühlte mich immer noch total schwach und war einfach nur müde von den ganzen Schmerzmitteln, die sie mir hier gaben. Immerhin war der Schlauch aus meiner Nase mittlerweile entfernt worden. Aber ich musste weiterhin die Infusion über mich ergehen lassen. Dafür hatte ich zu viel Blut verloren, meinte der Arzt vorhin. Nachdenklich blickte ich aus dem Fenster. Leider konnte ich nur die Baumkronen sehen und ein paar Wolken die am Himmel vorbeizogen. Eine sah aus wie ein Löwe. Obwohl wenn man sie mit schrägen Kopf betrachtete, könnte es auch ein Baum sein.
Ein klopfen riss mich von dem Schauspiel los und mein Kopf bewegte sich nach links, zur Tür. Wer konnte das sein? Erwartungsvoll lag mein Blick auf der sich nun öffenenden Tür. "Mama? Was? Wie? Woher?", schoss ich verwirrt mit Fragen um mich. "Hey Till. Was machst du denn nur wieder für Sachen, mh?", fragte sie mich mit ganz weicher Stimme. So kannte ich sie ja gar nicht. Machte sie sich gerade ernsthaft Sorgen? "Tut mir leid.", sagte ich leise. "Muss es doch nicht. Ich bin einfach nur froh, dass du lebst.", sagte sie und zog mich vorsichtig in eine Umarmung. Ich war ganz überfordert. Mit so viel Liebe hatte ich gar nicht gerechnet. Ich hätte eher wieder nur weitere Vorwürfe und Anschuldigungen erwartet. Wie aufs Stichwort tauchte Lutz in der Tür auf. Sein Blick triefte nur vor Abscheu und Ablehnung mir gegenüber. Direkt stieg in mir wieder diese Angst auf. Durch seine bloße Anwesenheit, hatte er diesen Moment und dieses Band zwischen meiner Mutter und mir zerstört. "Susanne du hast ihn ja jetzt gesehen. Können wir dann?" "Till wir müssen jetzt los. Aber wir telefonieren dann Morgen, wenn wir zu Hause sind okay?", sagte meine Mutter und ich nickte enttäuscht. Mal wieder hatte sie ihn gewählt und nicht mich. Mal wieder hatte sie sich nicht getraut, ihm gegenüber zutreten. Lutz grinste mich nur siegessicher an. Dann ging meine Mutter aus dem Raum und er blieb nochmal kurz an der Tür stehen, drehte sich zu mir um und meinte: "Eigentlich schade, dass es kein Selbstmordversuch war." Dann schloss er die Tür und ließ mich mit diesem Satz im Raum alleine. Der Satz hing tonnenschwer im Zimmer und raubte mir Platz. Platz zum Denken. Platz zum Atmen.
Wieso machte er das immer wieder? Wieso konnte mich nicht mal jemand mögen? Wieso musste ich immer von allen fertig gemacht werden? Diese ganzen Gedanken trieben mir Tränen in die Augen und rollten über meine Wangen und sammelten sich in meinem Nacken. 'Eigentlich schade, dass es kein Selbstmordversuch war.', spielte mir mein Kopf in Dauerschleife vor und ich trudelte immer tiefer in dieses schwarze bodenlose Nichts. Würde mich hier jemals jemand rausholen können?

Marthas Sicht:

Ich kam den ganzen Tag nicht aus meinem Zimmer raus und verkroch mich in meinem Bett. Auch wenn ich nach dem ersten Schock erleichtert war, dass es vorbei war mit Leo, konnte ich es trotzdem einfach nicht fassen, wie sehr die beiden mich belogen hatten. Ich dachte echt, da wäre eine tiefe Verbindung zwischen Lena und mir, aber da hatte ich mich mal wieder getäuscht. Zum ersten Mal, seit ich hier war, war ich froh so weit weg von ihnen zu sein. Jetzt bei ihnen in der Nähe zu sein, würde ich einfach nicht ertragen.
"Martha?", hörte ich meine Mutter durch die Tür besorgt fragen. Dann klopfte sie und öffnete vorsichtig die Tür. "Lass mich.", sagte ich bissig. Ich war immer noch sauer auf sie, weil sie Leo einfach hier reingelassen hatten. "Schätzchen, du solltest raus gehen. Dich ein bisschen ablenken. Ich weiß so eine Trennung ist hart, aber du wirst drüber hinweg kommen. So ist das Leben. Aber es geht auch weiter.". Wow. Noch prakmatischer konnte eine Aussage nicht sein. "Was weißt du schon davon?", fragte ich leise und drehte mich von ihr weg. Ich wollte doch einfach nur alleine sein. "Morgen gehst du aber wieder in die Schule.", sagte sie dann noch und schloss die Tür wieder. Gut, dass die Schule ihre einzige Sorge war. Wie es ihrer Tochter ging war anscheinend völlig unwichtig.

Plötzlich riss ich meine Augen auf. Till! Ich musste unbedingt zu ihm und schauen wie es ihm ging! Man, wie konnte ich ihn nur vergessen?!  Schnell sprang ich vom Bett auf, zerrte mir die Jogginghose von den Beinen und tauschte sie gegen eine Jeans.
Dann rannte ich schon die Treppe runter und verschwand aus der Haustür. Ich holte mein Fahrrad aus dem Schuppen und trat kräftig in die Pedale in Richtung Krankenhaus. Dort angekommen, fragte ich wieder nach seiner Zimmernummer und machte mich dann auf den Weg dorthin. Dann klopfte ich vorsichtig an die Tür, aber es kam keine Reaktion. Also öffnete ich sie langsam und blieb geschockt in der Tür stehen. Er hatte einen Infusionsschlauch in der Hand und hatte einen Monitor zum Überwachen des Blutdrucks und des Herzschlag. Es sah beängstigenden aus.
"Till?", fragte ich leise, doch es kam nichts von ihm. Dann trat ich näher an sein Bett und sah, dass er die Augen geschlossen hatte und seine Atmung ruhig und regelmäßig war. Genau so wie das Piepen, welches vom Monitor zuhören war. Er schlief also. Das war wahrscheinlich besser so. Er musste starke Schmerzen haben. Auf seinem Nachttisch entdeckte ich nämlich mehrere Medikamente, die er anscheinend nehmen musste. Unschlüssig was ich jetzt machen sollte, stand ich da und sah ihn an. Doch dann entschied ich mich doch dafür einfach neben ihm Platz zu nehmen und abzuwarten. Er würde sich bestimmt freuen ein bisschen Gesellschaft zu haben, wenn er aufwachen würde. Und mir tat die Ablenkung ebenfalls gut. Auch wenn meine Gedanken immer wieder zu meinem Ex und meiner besten Freundin drifteten. Wie konnten sie mir das nur antun? Wieso hatte Leo das mit uns spätestens vor meiner Abreise nicht beendet? Wie lange das wohl schon ging mit den beiden? Ich starrte mit leerem Blick auf meine Hände und grübelte wie ein Weltmeister. Dass es zwischen Leo und mir vorbei war, fande ich nicht schlimm, denn es hatte schon länger dieses Knistern gefehlt, aber die Tatsache, dass er mich mit meiner besten Freundin betrogen hatte, machte mich einfach nur fertig. Sie war anscheinend besser als ich. Hübscher als ich. Liebenswerter als ich. Ich alleine, war wohl einfach nicht genug für ihn. Und würde es auch für jemand anderen niemals sein können.

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