Tills Sicht:
In Gedanken versunken schlenderte ich durch die Straßen auf den Weg zurück zum Internat. Martha war heute untypisch still in der Schule gewesen. War das immer noch wegen unseres kleinen Streits? Ich war ihr doch gar nicht mehr böse, denn irgendwie hatte sie ja recht und auch wenn Viktor sich mir erklärt hatte, war ein Teil von mir immer noch misstrauisch und wartete förmlich darauf, dass er wieder mit seinen Spielchen weiter machte. Ich war ihm gegenüber schon ein bisschen naiv. Trotzdem hatte ich mich ihr heute ganz normal verhalten, aber irgendetwas hatte sie. Nur was? Dann kam mir die Idee ihr einfach mal zuschreiben. Seit meinem Krankenhausaufenthalt, hatte ich ihre Nummer. Geschrieben hatten wir bisher aber nicht. Also fischte ich mein Handy aus meiner Jackentasche und entsperrte mein Handy. Dann ging ich auf Kontakte und wollte gerade Marthas Namen in die Suchleiste eingeben, als ich von hinten einen festen Stoß in den Rücken bekam. Erschrocken strauchelte ich nach vorne und mir fiel mein Handy aus der Hand. "Du bist so ein verlogenes Arschloch!", hörte ich jemanden wütend schreien und als ich mich nach links drehte, sah ich Viktor, der sich vor mir aufbaute. Sein Blick glühte nur so vor Wut und Hass. "Ich hab dir das im Vertrauen erzählt und was machst du?! Du erzählst es gleich der ganzen Schule!" "Hä Viktor ich weiß nicht wovon du sprichst.", sagte ich möglichst ruhig. "Du warst es. Nur du wusstes davon! Man wie konnte ich nur so blöd sein?!" "Viktor was ist denn? Ich weiß überhaupt nicht was abgeht?" "Du hast es allen erzählt!", schrie er mich immer noch wütend an und kam dabei immer näher. Ich wich zurück bis ich die harte Hauswand in meinem Rücken spürte. Direkt stieg erneut Panik in mir auf.
"Du hast Martha erzählt, dass ich schwul bin. Dafür wirst du bezahlen.", sagte er jetzt drohend leise. "Viktor, ich hab..." Plötzlich landete seine Faust direkt neben meinem Kopf und die Worte blieben mir im Hals stecken. Er hatte schon wieder so viel Wut in sich und ließ sich von ihr leiten. Genau das, machte ihn so unberechenbar. Genau vor diesem Viktor, hatte ich solche Angst. Irgendwas musste ich doch tun können. Also hielt ich ihn kurzerhand an seinen Schultern fest und schaute ihm tief in seine Augen. In diese wunderschönen grünen Augen. Die Häuser und Autos um uns herum verschwanden aus meinem Blickwinkel und ich nahm nur noch ihn und diese Augen war. Es war so, als befänden wir uns in einer Blase, in der nur wir beide existierten. Ich spürte direkt wie Viktor sich entspannte und die Wut in ihn schien wie verpufft zu sein. Fuck. Was war das? Ich verspürte so ein angenehmes Kribbeln in mir, als ich ihn berührte. Schnell ließ ich ihn los und so plötzlich wie das Kribbeln gekommen war, war es dann auch wieder weg. Stand ich jetzt auch auf ihn oder was?! Aber ich bin doch gar nicht schwul. Niemals.Viktors Sicht:
Wie konnte es sein, dass dieser Junge direkt vor mir, so eine krasse Wirkung auf mich hatte? Vor zwei Sekunden noch, hätte ich am liebsten alles und jeden kaputt geschlagen, doch dann berührte Till mich an den Schultern und schon verflog die ganze Wut in mir. Ich war gefangen in seinem Blick. Er schaute mich an und es gab nur noch uns beide. Es war einfach nur magisch zwischen uns. Doch dann plötzlich riss er sich los, sah mich ein letztes Mal verwirrt an und lief dann von mir weg. Diese Aktion traf mich hart. Er würde mich nie lieben. Ich würde ihn nie haben können. Ich werde immer alleine sein. Mein Herz zerbrach in diesem Moment in tausend Teile und in mir breitete sich urplötzlich eine kalte Leere aus. Wie Gift durchströmte sie mich und raubte mir so die Luft zum Atmen. Wieso musste Liebe nur so verdammt wehtun?! Alle sprechen immer davon, wie toll Liebe ist. Dass man wie auf Wolken durchs Leben schwebt. Dass man diese berühmten Schmetterlinge im Bauch hat. Aber, dass Liebe auch hieß enttäuscht zuwerden und nur Ablehnung zu erfahren, das hatte natürlich niemand erwähnt. In dem Fall wollte ich verdammt nochmal nicht verliebt sein. Doch wie heißt es so schön? Gegen Gefühle kann man nichts machen. Sie kommen wann, wie und wo es ihnen passt. Da hat der Kopf leider wenig mitzureden.
Mal wieder stand ich hier völlig hilflos und einsam und konnte, eher gesagt musste, dabei zusehen wie sich meine große Liebe immer weiter von mir entfernte. Und damit für immer unerreichbar für mich bleiben würde.Martha's Sicht:
Mit schnellen Schritten lief ich Richtung Internat. Ich musste unbedingt mit Till reden. Ich musste ihm klar machen, dass Viktor für immer ein Arsch bleiben würde. Allein was er da in der Schule gesagt hatte, ging gar nicht, und jetzt würde er Till bestimmt wieder fertig machen. Genau das wollte ich verhindern. Außerdem musste ich ihm erzählen was ich herausgefunden hatte. Naja das war zwar eher unabsichtlich, aber egal.
Doch als ich dann am Eingang an der hohen Mauer ankam, sah ich jemanden links unter dem Messingschild mit der Aufschrift 'Sportinternat' sitzen. Er hatte eine große Sporttasche neben sich liegen und hielt sich sichtlich nervös sein Handy ans Ohr. Er trug diesen bescheuerten grauen SE Hoddie, den die Sportler immer trugen. Die Kapuze hatte er sich tief ins Gesicht gezogen. Wer war das nur? Brauchte er Hilfe? Frustriert nahm er sein Handy wieder vom Ohr und steckte es sich in die Bauchtasche des Pullis. Dann lehnte er seinen Kopf an der kalten, grauen Mauer an und atmete so laut aus, dass ich es über die 5 Meter hören konnte, die ich von ihm entfernt stand.
Zögernd ging ich auf ihn zu. "Hey, brauchst du Hilfe?", fragte ich vorsichtig. Erschrocken drehte die Person sich zu mir und blickte auf. Dabei rutschte die Kapuze etwas hoch und gab so das Gesicht frei. Ich machte große Augen, als ich die Person erkannte. "Viktor?! Was machst du hier mit der Tasche?" "Geht dich gar nichts an.", zischte er. "Stalkst du mich? Oder wieso weißt du ständig wo ich bin?" "Ich wollte eigentlich zu Till.", sagte ich. Bei dem Namen Till zuckte er zusammen und senkte seinen Blick. "Ist alles okay bei dir?". Oh man wieso ging ich nicht einfach? Er war ein Arsch und würde mir doch eh nicht die Wahrheit erzählen. Andererseits tat er mir Leid und ich hätte ein schlechtes Gewissen gehabt, wenn ich nicht wenigstens nachgefragt hätte. Also stand ich jetzt hier und blickte erwartungsvoll auf ihn herunter."Ich weiß du hasst mich. Also wieso sitzt du jetzt hier?", fragte Viktor leise und sah mich dann aus seinen verzweifelten grünen Augen an. Ich wollte ihm erst widersprechen und sagen ich würde ihn nicht hassen, aber irgendwie wäre das auch gelogen. Obwohl Hass war schon ein starkes und hartes Wort. War es wirklich Hass was ich ihm gegenüber, verspürte? Ich war mir nicht sicher.
"Glaub mir, egal wie sehr du mich hasst, niemand könnte mich mehr hassen, wie ich es selbst tue.", sprach er dann weiter. Wo war dieser fiese, selbstbewusste, schon arrogante Viktor hin? Der Viktor, der mich heute Morgen noch so sehr eingeschüchtert hatte, dass ich selbst zu Till, kein Wort gesprochen hatte. Er war einem verletzlichen, unsicheren Jungen gewichen. Das machte ihn sogar fast menschlich. Vielleicht war auch genau das der Grund, wieso ich mich neben ihn gesetzt hatte und nicht, wie es logischer gewesen wäre, einfach weiter gegangen bin.
"Wieso hast du diese große Tasche bei dir?", fragte ich dann und überging damit seine Frage vom Anfang. "Ich will weg. Naja. Muss weg.", murmelte er vor sich hin. "Wieso? Haben sie dich rausgeschmissen?" "Nein. Es ist wegen." Eine kleine Pause entstand und er schluckte schwer, senkte wieder den Blick auf seine ausgestreckten Beine vor sich. "Ach egal.", brach er dann doch ab.
Ich musterte ihn von der Seite. Er sah blass und abgekämpft aus. Seine Augen waren noch leicht rot und geschwollen, was ein Zeichen dafür war, dass er geweint haben musste. War es wohl wegen des Jungen von dem er gestern so geschwärmt hatte? Oder hatte er zu Hause Probleme?
Und da fiel mir auf, wie wenig ich ihn kannte und über ihn eigentlich so gar nichts wusste. Außer vielleicht sein größstes und privatestes Geheimnis.
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Bad Liar
FanfictionMartha ist ein 16-jähriges Mädchen und augenscheinlich führt sie das perfekte Leben. Sie hat reiche Eltern, schreibt immer gute Noten, hat viele Freunde und den beliebtesten Jungen der Schule als Freund. Doch was ist wenn sie von heute auf morgen al...