Kapitel 18

152 4 0
                                    

Tills Sicht:

"Wie lange musst du denn noch hier bleiben?", fragte Martha mich dann, nachdem wir uns eine Weile nur angeschwiegen hatten. Sie hatte überraschenderweise nicht fluchtartig den Raum verlassen, sondern war hier geblieben. "Ich glaube bis Morgen. Sie wollen noch einige Dinge klären.", sagte ich dann. "Wirst du ihnen die Wahrheit sagen?" "Was meinst du?", stellte ich mich dumm. Ich wusste ganz genau, auf was ihre Frage abzielen sollte. "Wirst du ihnen von den Mobbingattacken erzählen? Und ihnen erklären woher diese ganzen Verletzungen kommen?", harkte sie hartnäckig nach. "Selbst wenn, was kümmert es dich?" Und schon wieder schwang Wut in meiner Stimme mit, obwohl ich es nicht wollte. "Till du musst es sagen. Sonst werden sie immer weitermachen und nie damit aufhören." "Ich weiß es selbst okay?! Es ist nur nicht so einfach. Du kannst das leicht behaupten 'Sag es einfach'. Aber es ist NICHT einfach zu zugeben, dass man schwach ist. Dass man fertig gemacht wird und sich nicht wehren kann. Es ist nicht so leicht, wie sich das immer alle vorstellen! " Meine Stimme wurde immer lauter und der Ton immer schärfer. Es machte mich einfach so wütend. Obwohl ich auch wusste, dass sie es gar nicht so gemeint hatte. Immerhin war sie hier bei mir. Sie interessierte sich dafür wie es mir ging. Vielleicht war aber gerade das, das Problem. Ich war es nicht gewohnt und wusste nicht wie man mit Menschen umgeht, die einen mögen. Die einem wichtig sind.
"Ich glaube schon, dass es einfacher ist als du denkst. Du musst dich weder dafür schämen, noch wird dich irgendjemand deswegen verurteilen.", sagte sie ruhig. Ich schnaubte laut auf. "Wenn du meinst."
Sie wollte gerade noch zu einer Antwort ansetzen, als es klopfte und die Tür direkt aufgerissen wurde. Es war der Arzt. "Oh hallo. Das ist ja schön, dass du Besuch bekommen hast. Dennoch würde ich die nette Dame einmal bitten hinaus auf den Flur zu gehen. Ich hätte da nämlich noch ein paar Fragen an dich Till.", sagte er freundlich und direkt wurde ich nervös und musste an Marthas Worte denken. 'Sag die Wahrheit'. Sie sah mich nochmal kurz an, lächelte leicht und ging dann aus dem Raum. Jetzt stand ich schon wieder vor der Wahl ob ich weiterhin ein Feigling sein wollte und log oder ob ich endlich den Mut aufbrachte und ihm erzählte warum ich wirklich hier war. "Also Till, deine Werte sind wieder vollkommen okay, was mir aber Sorgen macht sind die Art deiner Verletzungen und in welchem Zustand du hier gestern Nacht eingeliefert wurdest.", sagte er und nahm sich dann einen Stuhl und setzte sich zu mir an das Bett. "Was wollen sie jetzt von mir hören?", fragte ich verunsichert. "Die Wahrheit.", sagte er dann schlicht. Nervös zupfte ich an meinen Fingern herum. Sollte ich es echt ansprechen? Wahrscheinlich wusste er es schon. Oder konnte es sich zumindest denken. "Ich unterliege der Schweigepflicht, also brauchst du bei mir keine Angst haben, dass ich es weiter erzähle oder so. Außerdem werden deine Schultern danach leichter sein. Das verspreche ich dir.", fügte er dann noch hinzu. "Okay. Naja. Also ähm. Ich werde gemobbt und das gestern war eine weitere Attacke meiner Mobber. Sie haben mich so fertig gemacht, dass ich diesen Zusammenbruch hatte.", brachte ich  dann unter viel Mühe hervor. "Und die Verletzungen? Stammen sie auch von ihnen?"  Ich nickte kaum merkbar. Das war mir so unglaublich peinlich. Jetzt dachte er sicher ich wäre die großte Lachnummer, die ihm je untergekommen war. Naja in meinen Augen, war ich das auch.

"Danke Till. Danke für deine Offenheit. Ich kann mir vorstellen wie schwer dir das gerade gefallen sein muss und ich bin beeindruckt von deiner Stärke und deinem Mut.". Was redete der Arzt da bitte? Ich war ein Loser. Eine Null. Ein Nichts. "Ja super mutig bin ich. Lasse mich immer wieder aufs Neue demütigen, ohne mich zu wehren. Nur weil ich zu viel Angst habe. Echt super mutig.", murmelte ich vor mich hin. "Ich finde dich mutig Till und du kannst stolz auf dich sein. Du bist stärker als du glaubst und mutiger als du denkst.", sagte er noch, lächelte mich an und meinte dann "Ich muss jetzt leider zu dem nächsten Patienten, aber ich werde später nochmal bei dir vorbeischauen." Ich nickte. "Okay."  Dann war er auch schon wieder verschwunden. Seine Worte hatten mich zum Nachdenken gebracht.
Die Tür war gerade ins Schloss gefallen, als sie schon wieder geöffnet wurde und Martha erneut im Zimmer stand. Sie hatte echt die ganze Zeit da im Flur auf mich gewartet? Verrückt. Wieso tat sie das?
"Und?", fragte sie vorsichtig. "Ich habe es ihm gesagt. Schätze ich.", sagte ich selber verwirrt. Hatte ich es gerade wirklich einer fremden Person anvertraut?! War ich eigentlich komplett bescheuert? Er würde es bestimmt der Schiller sagen und die dann Viktor und dann gäbe es richtig Ärger für mich. Direkt beschleunigte sich mein Puls und es legte sich eine tonnenschwere Last auf meinen Brustkorb und machte mir das Atmen unmöglich. Panik breitete sich in meinem Körper aus und ließ meine Hände zittern. Auch mein Kopf fing leicht an zu zittern und mein Blick war plötzlich weit weg und leer. Auch Marthas Stimme hörte ich nur noch verzerrt. "Till? Komm schon. Alles wird gut okay? Ich hole Hilfe." Ich konnte nicht auf ihre Worte reagieren, zu sehr kämpfte ich mit mir selbst. Ich hatte das Gefühl zu ersticken. Egal wie viel ich atmete, es kam nichts in meiner Lunge an. Der Druck war viel zu groß und drückte mich in mein Bett. Ich drohte zu versinken. Tränen stiegen in mir auf und verschleierten mir meine Sicht noch mehr. Dann kamen noch meine Gedanken dazu, die sich nur so überschlugen. Ich musste an gestern denken. Wie sie mich da unter der Dusche regelrecht gefoltert hatten. Diese Demütigung. Ihre Worte und das Lachen. Das Lachen war sogar noch schlimmer. Dann wie sie mein Zimmer verwüstet hatten, und ich Frau Schiller sagen musste, dass ich es selbst war. Dann Herr Chung der behauptet ICH würde mobben. Es war alles zu viel. Wie lange sollte ich das alles noch mitmachen? Wie lange konnte ich das alles noch mitmachen? Wie viel kann ein Mensch ertragen, bevor er zu Grunde geht? Ich weiß es nicht. Aber ich kann nicht mehr. Ich will nicht mehr. Ich hatte mich zwar geöffnet, aber zu welchem Preis? Das würde sich noch herausstellen.

Bad LiarWo Geschichten leben. Entdecke jetzt