Kapitel 32

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Viktors Sicht:

Ich konnte es gar nicht glauben, dass ich es tatsächlich laut ausgesprochen und endlich den Mut zusammen genommen hatte, um es Till zu sagen. Mir fiel eine ganze Gebirgskette von der Seele. Ich hatte mich endlich getraut. Und es fühlte sich so gut an. Natürlich war seine Reaktion nicht so wie ich es mir erhofft oder wohl besser erträumt hatte, aber auch das war mir völlig klar. Mir war völlig klar, dass er mir nicht um den Hals fallen würde und mir dann ebenfalls seine heimliche Schwärmerei für mich offenbaren würde . Schließlich befanden wir uns nicht in einer schlechten Teenieromanze. Obwohl ein kleiner Teil in mir, diesen klitzekleinen Funken Hoffnung aufflammen ließ. Dieser kleine Teil, wünschte sich jetzt gerade auch, dass er mir in diesem Moment nachlaufen würde, aber natürlich tat er dies nicht. Also endete ich ganz alleine in meinem Zimmer, stellte mich ans Fenster und starrte auf den Hof raus. Dann brach plötzlich eine riesen Welle der Enttäuschung über mich ein, obwohl das echt bescheuert war. Ich wusste ja, dass er nicht in mich verliebt ist, nichtmal mögen kann er mich, so wie ich ihn behandelt habe. Dennoch war ich enttäuscht. Jetzt wusste er zwar bescheid und doch hatte sich nichts geändert. Still und heimlich liefen die Tränen über mein Gesicht und hinterließen eine salzige Spur auf meiner Haut. Wütend wischte ich sie weg und sah mich verzweifelt im Raum nach möglichen Ablenkungen um. Irgendwas musste ich jetzt machen, sonst würde ich wieder jemanden grundlos weh tun. Also zog ich mir meine Sportsachen an und lief mit schnellen Schritten zum Fitnessraum. Ich brauchte jetzt den Sport, als Ventil für meine sich aufstauende Wut. Und da kam mir der Boxsack gerade gelegen. Ich hatte noch nie geboxt, aber es tat so verdammt gut. Ich konnte alles raus lassen und schlug wie ein Irrer auf den Sack ein. Leider ohne Handschuhe, weswegen meine Knöchel durch den rauen Stoff aufgescheuert wurden. Erschöpft ließ ich mich auf die Bank, die an der Wand stand fallen und lehnte meinen Kopf zurück. Ich musste hier weg. Anders würde ich es nicht weiter ertragen. Verzweifelt beugte ich mich nach vorne, stützte meine Unterarme auf meinen Beinen ab und zupfte an meinen geschundenenen Fingerknöcheln rum.
Und schon wieder ließ diese Verzweiflung Tränen in mir aufsteigen, die ich gerade so noch mit Mühe und Not zurückhalten konnte. Man wieso musste Liebe nur so verdammt weh tun? Wieso konnte es kein Happy End für mich geben? Es war auswegslos. Till würde nie auf mich stehen. Dafür müsste er ja erstmal auf Männer stehen und selbst wenn, wäre ich ganz sicher nicht seine erste Wahl. Ich war niemandens Wahl. Nicht mal die letzte.
"Wusst ich's doch, dass du hier bist.", hörte ich plötzlich die Stimme die ich unter tausenden heraus hören würde. Die Stimme die meinen Puls direkt ins Orbit katapultierte. Die Stimme meines Traums. Tills Stimme.

Tills Sicht:

Die Worte von Viktor ließen mich einfach nicht los. Ich hatte so viele Fragen, die ich ihm stellen wollte. Ich wollte es komplett verstehen. Ich wollte die ganze Geschichte wissen, von Anfang an. Ich wollte mehr Details erfahren. Also suchte ich ihn und wurde schließlich im Fitnessraum fündig. Er saß auf der Bank und zupfte an seinen Knöchel herum. Wie es aussah hatte er wohl den Sandsack bearbeitet.
"Wusste ich's doch, dass du hier bist.", sagte ich und lächelte tatsächlich dabei. Sein Kopf schnellte in meine Richtung und ich sah, wie seine Augen glänzten. Weinte er? Schnell drehte er sein Gesicht wieder von mir weg und wischte sich mit den Handflächen übers Gesicht. "Was willst du hier?", murmelte er dann. "Mit dir reden.", sagte ich schlicht. In seinen Augen, sah ich einen Hoffnungsschimmer aufblitzen und er tat mir direkt leid. Ich wollte nicht auf die Art mit ihm reden. Das hier war schließlich kein Film indem ich ihm jetzt doch noch meine Liebe gestand. "Wie hast du das vorhin gemeint mit 'Ich gab dir die Schuld dafür, dass sich meine Eltern so verhalten haben, wie sie sich verhalten haben'? Was haben sie gemacht, als du dich vor ihnen geoutet hast?"  Er lachte kurz auf. "Was sie gemacht haben, willst du wissen?" Es schwang Wut in seiner Stimme mit und er sprang plötzlich auf. Direkt wich ich ein wenig zurück. Wollte er es an mir demonstrieren?! Panik stieg in mir auf. Doch dann ging er zum Fenster, blickte in die Ferne und fing an zuerzählen. "Es war in den Herbstferien, als ich es ihnen abends beim Essen erzählte. Meine Mutter meinte, es wäre eine Schande und abartig. Ich solle es ja Keinem erzählen, weil es nicht gut fürs Geschäft ist, wenn herauskommen würde, dass sie eine 'Schwuchtel' als Sohn haben. Meine Eltern sind reich. Sie sind beide sehr gute Anwälte und haben eine eigene Kanzlei. Da passt so ein Junge, wie ich, nicht in das perfekte Bild. Mein Dad hat mich nur ausgelacht und meinte ich würde mir nur was zusammenspinnen. Doch dann war er der Meinung er könne mir "diese Flausen" mit seinen Fäusten austreiben. Sie haben mich so unter Druck gesetzt, dass ich ihnen tatsächlich am Ende der Ferien sagte, ich hätte mir das nur eingebildet. Somit habe ich mich selbst verleugnet und musste jeden Tag mein wahres Ich tief in mir verstecken. Aber das will ich nicht mehr. Ich kann das nicht mehr. Es raubt mir zu viel Kraft."  Seine Worte trafen mich hart und plötzlich machte alles Sinn. Sein Verhalten. Seine Worte. Alles. Er wusste nicht wohin mit diesen unterdrückten und verwirrenden Gefühlen und deshalb war ich sein Opfer. Weil ich der Auslöser für all das Leid war. "Viktor das tut mir leid.", sagte ich leise. "Ist schon okay. Es ist nicht deine Schuld, dass sie so reagiert haben, sondern ihre. Sie sind halt einfach noch nicht so weit. Damit muss ich klar kommen. Ich will doch einfach nur einen Ort haben, an dem ich sein kann wie ich wirklich bin. Ohne Lügen. Ohne Maske. Verstehst du?". Ich nickte. Und ob ich das verstand. "Aber ich habe zu viel Angst mich zuouten. Was ist wenn die Leute hier, genau so wie meine Eltern reagieren? Was ist wenn Hauser mich deswegen aus der Staffel wirft?"  "Hey, ich bin immer noch Staffelkapitän und wenn er das macht, dann werde ich ihm aber mal ein paar Takte sagen.", lächelte ich ihm aufmuntern zu. "Außerdem sind wir hier am Einstein. Da kann jeder sein wie er möchte und es wird niemand lachen. Versprochen. Ich finde es übrigens sau mutig, dass du mir von deinen Gefühlen erzählt hast.", fügte ich noch hinzu und er lächelte dankbar. Dann ging ich zur Tür. Doch bevor ich hindurch ging, drehte ich mich nochmal zu ihm um. "Achso und Viktor." Erwartungsvoll schaute er mich an. "Ich verzeihe dir.", sagte ich noch und ließ ihn dann alleine zurück.

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