Tills Sicht:
Ich lief gerade durch das große Tor und kam mitten auf dem Internatshof zum Stehen. Ich rieb mir mit meiner rechten Hand durchs Gesicht um den Schweiß, der mir über die Stirn lief, loszuwerden. Ich atmete tief ein und aus um meinen Puls und meine Atmung wieder unter Kontrolle zubekommen. Ich wollte dann rein gehen und duschen, aber natürlich lauerten sie mir wieder auf. Sie waren nur neidisch, weil ich so erfolgreich im Sport war und sie nicht. Aber ich arbeitete auch hart dafür. Ich trainierte sogar außerhalb der Trainingszeiten und war auch so sehr diszipliniert. Und genau das gefiel ihnen nicht und deshalb machten sie mich jeden Tag aufs Neue fertig und versuchten mich so zu schwächen. Aber das würde ihnen nicht gelingen. Das hatte ich mir einfach geschworen. Ich würde mich nicht von ihnen klein machen lassen. Sie würden mich nicht brechen.
"Da ist ja unser Streber.", lachte Viktor dann hämisch grinsend als ich durch den Eingang gehen wollte und er sich mir in den Weg stellte. Ich atmete genervt aus. "Was willst du schon wieder?", fragte ich gleichgültig. "Ich hab gehört du bist heute beim Training mal wieder ne Bestzeit gelaufen." "Und?", fragte ich ihn schulterzuckend. "Du hast mir meine Bestzeit damit versaut.", flüsterte er nun drohend und kam meinem Gesicht ziemlich nah und funkelte mich dabei böse an. Ich hielt seinem Blick allerdings stand und antwortete ihm im ruhigen Ton: "Der bessere gewinnt. So ist das halt beim Sport." Dann drängte ich mich an ihm vorbei und ging die ersten Stufen hoch zu dem Jungsflur. Doch Viktor kam mir hinterher, packte mich an meinem T-Shirt drehte mich um und drückte mich jetzt aggressiv an die Wand. "Das wird dir noch Leid tun", zischte er gefährlich leise, während er mich zu sich rann zog und mich im nächsten Moment zurück gegen die Wand schubste. Keine Sekunde später landete seine Faust in meinem Bauch. Der Schmerz breitete sich in meinem ganzen Körper aus. Er lachte und sah mich nochmal abfällig an, bevor er dann verschwand. Ich blickte ihm nach und erst jetzt ließ ich meine Maske fallen. Ich sackte an der Wand zusammen und zog die Knie an meine Brust. Dann legte ich meinen Kopf darauf ab und schloss meine Augen, in der Hoffnung es würde den Schmerz lindern, aber das tat es nicht. Der Schmerz breitete sich wie Gift in meinem ganzen Körper aus und lähmte mich. Ich wusste, ich musste auf mein Zimmer, damit mich niemand so sah, aber ich konnte mich einfach nicht rühren.
"Till? Ist alles okay bei dir?", tauchte plötzlich Frau Schiller, unsere Internarsleiterin vor mir auf. Ich hob meinen Kopf und nickte nur abwesend. Zu sehr war ich in diesem körperlichen, aber auch seelischen Schmerz, in Form der Demütigung, gefangen. Und ich wusste nicht welcher Schmerz schlimmer war."Till? Hey geht es dir gut?", wiederholte sie ihre Frage. "Ja. Ja alles gut. Ich habe wohl beim Training nur ein bisschen übertrieben und mir war kurz schwindlig. Aber geht schon wieder.", murmelte ich dann schnell und stand wieder auf. Was den Schmerz nur verstärkte. Aber ich versteckte ihn wieder hinter meiner Maske. Und diese Maske lächelte Frau Schiller nun leicht an in der Hoffnung ich könnte jetzt einfach unter die Dusche gehen. "Okay. Aber wenn du was brauchst, melde dich bei mir ja?", sagte sie und musterte mich skeptisch. Ich nickte und dann ging sie endlich weg. Direkt viel die Maske wieder und ich schleppte mich ins Bad. Ich spürte die Blicke der Anderen. Sie bohrten sich wie Dolche in meinen Rücken und verankerten sich dort.
Erschöpft stieg ich aus meinen verschwitzten Klamotten, drehte das eiskalte Wasser auf und stellte mich darunter. Die Kälte die mich umgab, war wie ein Schutzschild vor all den Problemen und Schmerzen die da draußen auf mich warten würden. Diese 15 Minuten unter der Dusche gehörten nur mir. Mir ganz allein.
Zurück im Zimmer stand ich vor dem Spiegel und sah wie sich auf meinem Bauch ein blauer Fleck gebildet hatte. Super. Schon wieder einen den ich verstecken musste. Aber gut, darin hatte ich ja Übung. Schnell zog ich mich an, damit ich das Elend wenigstens nicht mehr sehen musste, auch wenn es noch deutlich zuspüren war. Dann schaute ich auf mein Handy. 18:37 Uhr. Zeit fürs Abendessen. Auch wenn ich gar keine Lust auf die Blicke der anderen Schüler hatte, ging ich runter in die Küche, schnappte mir schnell einen Apfel und verschwand damit direkt nach draußen. Es war noch recht angenehm, weswegen ich mich dazu entschied noch eine kleine Runde im Park spazieren zu gehen. Die Sonne tauchte alles in ein warmes Orange und ich lief in Gedanken, ohne wirkliches Ziel, umher. Bis ich an einer Bank vorbei kam und ein Mädchen meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Sie saß dort und schrieb etwas in ein Buch. 'Vielleicht ihr Tagebuch', dachte ich. Dann wollte ich gerade weiter gehen, als sie aufsah und mich musterte. Dann schob sie ihre Kopfhörer von den Ohren und fragte: "Was glotzt du so?" Ich war total überrumpelt von diesen scharfen Ton, dass ich nur ein Stottern zustande brachte. "Äh. Sorry. Ich. Ich wollte nicht. Ach egal.", brach ich dann ab und wendete mich entgültig von ihr ab. Ich lief weiter. Noch dämlicher hätte ich mich auch nicht anstellen können. Ganz großes Kino. Echt super.
"Hey! Hey du!", hörte ich sie plötzlich hinter mir her rufen. Also blieb ich stehen und sie kam vor mir ebenfalls zum Stehen. Sie war mir tatsächlich hinterhergelaufen. Erwartungsvoll sah ich sie nun an und musterte sie etwas genauer. Sie war nur wenige Zentimeter kleiner als ich, hatte strohblonde kurze Haare, die wild in alle Richtungen abstanden. Sie trug eine blaue Jeans mit einem schlichtem weißen T-Shirt und dazu schwarze Vans. "Tut mir Leid. Ich wollte dich nicht so anmachen. Ähm ich bin übrigens Martha." "Okay. Ja kein Ding. Ich heiße Till.", sagte ich. Und sie lächelte mich verlegen an. "Auf welche Schule gehst du? Ich hab dich hier noch nie gesehen.", fragte ich dann neugierig. "Meine Eltern und ich sind heute erst her gezogen.", sagte sie und der Ton verriet mir, dass sie nicht glücklich darüber war hier zu sein.

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Bad Liar
Fiksi PenggemarMartha ist ein 16-jähriges Mädchen und augenscheinlich führt sie das perfekte Leben. Sie hat reiche Eltern, schreibt immer gute Noten, hat viele Freunde und den beliebtesten Jungen der Schule als Freund. Doch was ist wenn sie von heute auf morgen al...