Kapitel 22

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Tills Sicht:

"Willkommen zurück in der Hölle." Genau das, waren die ersten Worte, die ich hier gehört hatte. Von Viktor. Wieso lauerte er mir immer wieder auf? Konnte ich nicht wenigstens ein paar Minuten meine Ruhe vor ihm haben?! Ich warf meine Tasche in die Ecke und schmiss mich auf mein Bett. Ich wollte zwar aus dem Krankenhaus raus, aber hier wollte ich auch nicht länger bleiben. Nur wo sollte ich sonst hin? Ich hatte ja niemanden. Dann nahm ich mein Handy und schrieb meiner Mutter erstmal, dass ich aus dem Krankenhaus raus war. Ich erwartete keine Antwort, doch die kam dann sogar fast direkt. "Schön." Ein Wort. Mehr nicht. Traurig schaute ich auf mein Handy, legte es dann beiseite. Dann stand ich wieder auf, denn ich wollte nicht schon wieder die ganze Zeit im Bett liegen und nichts tun. Also zog ich mir meine Laufsachen an und ging die Treppe runter. Doch ich wurde von Frau Schiller aufgehalten. "Till, du willst doch jetzt nicht etwa laufen gehen oder?" "Doch.", sagte ich so als wäre es völlig normal direkt nach einem Krankenhausaufenthalt joggen zugehen. "Ne Kollege, so läuft das aber nicht.", sagte sie streng. "Aber Frau Schiller, mir geht es doch wieder gut.", sagte ich. "Hast du mal in den Spiegel geschaut? Du bleibst hier." "Aber.", setzte ich noch an, merkte jedoch, dass jeder Widerstand zwecklos war. Sauer schob ich mich an ihr vorbei und ging in den Park. Ich wollte wenigstens an der frischen Luft sein. Auch wenn ich nur wieder von meinen Gedanken eingeholt wurde. Ich dachte darüber nach, wann mein Leben eigentlich so aus den Fugen geraten war.
Wenn ich so recht überlegte, war es seit dem Lutz aufgetaucht war. Also seit meinem 8. Lebensjahr. Er mochte mich von Anfang an nicht und hat es mich auch mehr als deutlich spüren lassen. Am Anfang mit Worten, doch als ich dann älter war immer mehr mit Taten in Form von Schlägen. Ich hatte es lange schweigend hingenommen, sah es als mein Schicksal an, doch letztes Jahr hatte ich endlich den Mut mich zuwehren. Als ich meiner Mutter dann davon erzählte, glaubte sie mir zwar, jedoch schmiss sie Lutz nicht raus, nein, sie schickte mich weg. Weg aufs Internat. Hier wäre ich sicher. Hier wäre ich gut aufgehoben, meinte sie. Doch dank Viktor, war es hier genau so. Tag ein, Tag aus.
Ich wollte mich ja eigentlich nicht unterkriegen lassen, aber solangsam schwanden auch meine Kräfte und ich konnte nicht weiter gegen diesen Sog anschwimmen. Er drohte mich langsam, aber sicher mit in die Tiefe zuziehen. Und er würde es auch schaffen, wäre da nicht mein kleiner Strohhalm namens Martha.

Marthas Sicht:

Immer noch verwirrt saß ich auf dem Balkon und ließ mich von meinen Gedanken leiten. Dann öffnete sich die Tür und ich drehte mich nach hinten um. Dann sah ich meine Mutter und sie lächelte mich vorsichtig an. "Martha ist alles okay bei dir?" "Geht so.", sagte ich und schaute wieder nachdenklich in die Ferne, Richtung Dom. Meine Mutter schloss die Tür und dann spürte ich wie sie sich neben mich an das Geländer stellte. Eine Weile standen wir nur schweigend nebeneinander, aber mir reichte es zu wissen, dass sie da war. Dann fing ich aber doch an zu erzählen. Ich erzählte ihr von Till und von Leo natürlich. Und es überraschte mich, wie gut sie zuhörte. "Leo verhält sich wirklich komisch. Lena meinte zwar er bräuchte vielleicht Zeit, um sich an die Situation zugewöhnen, aber er macht nicht mal Anstalten es zu versuchen. Er hat nicht mal darauf reagiert, als ich so durcheinander war, als ihr mir das mit der Adoption erzählt habt. Da kann ich doch wohl ein wenig Mitgefühl von meinem Freund erwarten oder nicht? "   "Echt? Da kam gar nichts? Das hätte ich jetzt wirklich nicht gedacht. Da habe ich mich wohl sehr in ihn getäuscht. Ach man Martha das tut mir Leid. Was willst du jetzt machen?", fragte sie mich dann. Ich zuckte mit den Schultern. "Weiß nicht. Vielleicht ist es besser wenn ich das mit ihm beende. Ich merke halt wie es mich kaputt macht und das ist doch nicht der Sinn einer Beziehung richtig?" "Richtig.", sagte meine Mutter. "Aber vielleicht solltest du ihn nochmal gezielt darauf ansprechen. Er ist ein Mann und die checken es manchmal einfach nicht." Ich lachte auf. "Ja wahrscheinlich hast du recht. Ich werde es mal versuchen. Danke Mama.", sagte ich und umarmte sie. "Jederzeit", sagte sie und drückte mir einen Kuss aufs Haar. Sie war doch eine gute Zuhörerin und Ratgeberin, wenn sie es zuließ. Es war mittlerweile später Nachmittag und ich wollte nochmal zum Park. Irgendwie war er mein Lieblingsort geworden. Er hatte was Beruhigendes an sich und ich verbrachte hier gerne meine Abende und schrieb an meinem Tagebuch. Also schlenderte ich durch das Abendrot und steuerte gezielt, auf meine Bank zu. Meine Bank, weil ich dort auch an meinem ersten Abend hier in Erfurt, saß. Da hatte ich auch Till das erste Mal gesehen. Oh Gott wie unfreundlich ich da war. Es war mir schon ein bisschen unangenehm. Doch vom Weiten sah ich, dass sie schon besetzt war. Je näher ich kam, desto mehr erkannte ich. Und es war ein Junge mit blond/braunen Locken. Ich kannte nur einen mit genau solchen Haaren. Till.

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