Kapitel 11

171 4 0
                                    

Tills Sicht:

Das Training war hart und ich war total kaputt. Vielleicht lag es aber auch daran, dass ich heute nach der Schule schon einmal laufen war. Ich schulterte meine Sporttasche, verließ natürlich alleine das Stadion und bog dann nach rechts Richtung Internat ab. Doch dann erschrak ich. Da lag jemand auf dem Boden. Oh Mist brauchte die Person Hilfe? Direkt beschleunigte sich mein Herzschlag und das Adrenalin schoss nur so durch meinen Körper. Mit schnellen Schritten ging ich auf die Person zu. "Hallo? Entschuldigung. Brauchen Sie vielleicht..", ich stockte mitten im Satz. Es war Martha, die da lag. Sie lag auf dem Boden, mit leerem Blick und die Tränen strömten nur so über ihr Gesicht. Vorsichtig hockte ich mich neben sie. "Martha? Hey Martha!", rief ich lauter als sie nicht reagierte. Dann berührte ich leicht ihre Schulter und sie fuhr erschrocken zusammen. So als hätte die Berührung sie wieder zum Leben erweckt. Schnell setzte sie sich auf und versuchte hoffnungslos ihre Tränen wegzuwischen.  "Till, was machst du hier?", fragte sie mit brüchiger Stimme. "Ich will dir helfen.", sagte ich. "Du kannst mir nicht helfen.", murmelte sie und stand dann auf. Auch ich richtete mich wieder auf und sah sie skeptisch an. Was war denn los? Heute Morgen in der Schule war sie doch noch so glücklich? "Ich muss dann jetzt auch los." "Martha warte doch! Ich bring dich nach Hause okay?", bot ich ihr an. Ich hatte nämlich kein gutes Gefühl dabei, sie jetzt alleine durch Erfurt laufen zu lassen. Sie nickte leicht und so begleitete ich sie. Erst schwiegen wir uns nur an, bis sie dann anfing zu reden. "Wieso warst du heute Morgen in der Schule so abweisend zu mir?"  "Ich hab wohl einfach schlecht geschlafen und war müde und deshalb so gereizt.", sagte ich dann und war sogar recht stolz auf diese Ausrede. "Okay. Komisch nur, dass du dich immer nur so seltsam verhältst, wenn Viktor in der Nähe ist. Hat er dir die Verletzungen zugefügt?!" "Wie kommst du darauf?", fragte ich jetzt verwundert. Sie hatte einen echt guten Beobachtungssinn. Aber ich konnte ihr ja jetzt schlecht sagen, dass ich schon monatelang von Viktor gemobbt werde. Wie würde ich denn dastehen? Wie ein Opfer. Wie eine Lachnummer, die sich nichts traute und keinen Mut hatte sich zu wehren. Ich würde total schwach wirken und das wollte ich einfach nicht. Ich schämte mich dafür viel zu sehr. Außerdem hatte ich viel zu viel Angst vor den Konsequenzen, wenn Viktor es herausfinden würde. Er würde mich umbringen. Davon war ich überzeugt. Er war der Teufel in Person.
"Viktor war es nicht.", sagte ich ihr dann und hätte mir für diese Aussage selbst eine verpassen müssen. Wie blöd war ich eigentlich?! Wieso zur Hölle, nahm ich ihn immer wieder in Schutz? Wieso deckte ich ihn? So hatte er doch nur noch mehr Spielraum für seine Machenschaften.

"Wir sind da", riss mich ihre leise Stimme aus meinen Gedanken. Ich schaute die Einfahrt entlang und mein Mund klappte auf. DA wohnte sie?! In dieser riesigen Villa? "Wow", entfuhr es mir. Sie zuckte nur mit den Schultern. "Naja geht. Ich finde es viel zu protzig und irgendwie auch ziemlich spießig. Okay ich muss dann auch rein. Also wir sehen uns Morgen in der Schule ja?" Ich nickte. Mist die Schule. Da würde Viktor mich wieder überwachen. Also konnte ich nichts mit ihr machen. Naja bis morgen würde mir noch was einfallen. "Achso und danke.", sagte sie noch und lächelte mich zaghaft an. "Gerne.", sagte ich und sie drehte sich dann um und ging zur Haustür. Ich riss mich von ihr los und schlenderte dann zurück zum Internat. Ich hatte es ganz und gar nicht eilig dort anzukommen.
"Till, kommst du mal bitte mit in mein Büro?", fing Frau Schiller mich schon am Eingang ab. Ich konnte ihren Tonfall nicht deuten und wusste nicht was mich erwarten würde.
"Was ist denn?", fragte ich sie verwirrt.
"Till mir ist aufgefallen, dass du dich die letzten Wochen immer mehr zurückziehst. Was ist los bei dir? Was beschäftigt dich?"
Oh, toll. So ein Gespräch sollte das also werden? "Es ist nichts.", murmelte ich und starrte dabei auf meine Finger, an denen ich nervös rumzupfte. "Und deine Verletzungungen und Zusammenbrüche? Die kommen doch nicht von Sportunfällen oder Überanstrengung beim Training, Till. Du kannst mir vertrauen. Ich höre dir gerne zu. Und ich sag niemandem was.", sagte sie mit ruhiger Stimme und schaute mich sanft an. So als wäre ich aus Glas und würde bei einem falschen Wort zerbrechen. Dafür war es aber leider schon zu spät. Ich war bereits gebrochen. Schon vor Monaten. "Ich möchte lieber nichts erzählen.", sagte ich leise, es war eher nur ein flüstern. Frau Schiller seufzte laut auf. "Schade. Aber nur wenn du sprichst, können wir dir helfen.", versuchte sie es ein letztes Mal, doch ich schwieg weiterhin. Ich war eben ein Feigling. "Kann ich dann jetzt gehen?" Sie nickte und ich stand auf und machte mich auf den Weg in mein Zimmer. Dort suchte ich mir frische Anziehsachen raus und nahm meine Duschsachen, um damit ins Bad zugehen. Nun stand ich hier vor dem Spiegel und betrachtete mein Spiegelbild. Ich sah einen Jungen mit mittlerweile blau-gelben Flecken und immer noch verkrusteten Schürfwunden im Gesicht. Seine Augen sahen müde aus. Dunkle Schatten hatten sich unter ihnen gebildet. Seine Haut war blass und eingefallen. Dieser Junge war dünn geworden. Er war ausgelaugt. Zu viel Kraft kostete ihn dieser ewige Kampf. Dieser Kampf gegen Viktor, aber viel mehr dieser Kampf gegen sich selbst. Dieser innere Kampf fraß ihn regelrecht auf und nahm ihn alles an Energie, an Freude und an Gefühlen. Da war nichts mehr. Kein Glanz in den Augen. Kein Lächeln auf den Lippen. Nichts. Er fühlte sich alleine und ungeliebt. Traurig wendete ich den Blick von diesem Jungen ab und stieg unter die Dusche. Ich war ein Wrack. Emotional gesehen und körperlich. Ich würde wohl nie erfahren was Liebe oder Freundschaft bedeutet.

Bad LiarWo Geschichten leben. Entdecke jetzt