Kapitel 13

146 3 0
                                    

Tills Sicht:

Zu meiner Überraschung, hatte Viktor mich gestern Abend tatsächlich in Ruhe gelassen. Aber ich stufte das eher als die berühmte Ruhe vor dem Sturm ein und ich sollte Recht behalten. Als ich dann wenig später das Schulgebäude betrat und zu meinem Spind kam, wartete er schon auf mich. Innerlich rollte ich genervt mit den Augen, aber gleichzeitig überkam mich wieder die Angst. Was hatte er diesmal geplant, um mich fertig zumachen?
"Hallo Till.", sagte er wieder mit der schönsten Unschuldsmiene, die ich je gesehen habe. "Was willst du?", gab ich genervt zurück. Dann schloss ich unbeirrt meinen Spind auf und holte mein Mathebuch heraus. "Du warst gestern richtig schlecht beim Training. Ist alles okay bei dir?", fragte er ironisch besorgt. Ich blickte auf und sah gerade Frau Miesbach an uns vorbei laufen. Klar, vor den Lehrern machte er einen auf nett und hilfsbereit, aber sobald sie weg waren, war er der ekeligste Mensch, dem ich je begegnet bin. Und genau diesen Menschen ließ er jetzt wieder raus. Er kam ganz nah zu mir und baute sich vor mir auf. Seine drei Mitläufer, wie ich sie nannte, stellten sich hinter ihm auf. Sie waren doch nur auf seiner Seite, weil sie viel zu viel Schiss hatten selbst von Viktor fertiggemacht zu werden. So wie alle anderen auch. Sie schauten lieber nur weg, als dass sie einschritten. Traurige Welt.
"Du bist ja ein ganz tolles Außnahmetalent. Bist du Hauser bestimmt schön tief in den Arsch für gekrochen was?" "Ich bringe meine Leistung, genau so wie du Viktor." Meine Maske war sehr standhaft heute und ich würde nicht so schnell nachgeben. "Ist das so? Mh dann kann man wohl nichts machen." Während er das sagte schaute er mir nachdenklich in die Augen. Doch dann schien er einen Geistesblitz zuhaben und er riss seine Augen und Mund kurz auf. "Obwohl, du könntest da was tun Till. Tritt als Staffelkapitän zurück und schlag mich als deinen Nachfolger vor." "Vergiss es.", brachte ich zwischen zusammen gepressten Zähnen hervor. Direkt hatte er wieder diese vor Hass und Wut glühenden Augen. "Darüber werden wir uns später im Internat nochmal ausführlich unterhalten.", drohte er mir. Sah abfällig zu mir runter und plötzlich ergriff er mein Buch und meinen Rucksack und leerte ihn vor meinen Füßen aus. Anschließend hob er mein Etui auf und schüttete es ebenfalls aus. Sodass der gesamte Inhalt meines Rucksacks überall verstreut war. Dann schupste er mich gegen den Spind, wobei sich die Klinke schmerzhaft in meinen Rücken bohrte. "Das war erst der Anfang." Anschließend rauschte er davon und seine Mitläufer dackelten ihm brav hinterher.
Jetzt ließ das Adrenalin nach und ich sackte in mich zusammen. Mir war unglaublich schlecht und hätte ich heute Morgen etwas gegessen, wäre es mir zu Hundert Prozent wieder hochgekommen. Er würde im Internat alles mit mir machen aber kein Gespräch führen. Das löste Panik in mir aus. Ich rappelte mich auf und machte mich daran meine Sachen wieder einzusammeln. "Oh shit Till. Warte ich helfe dir!", hörte ich wen rufen und sofort nahm ich einen Schatten vor mir wahr. Direkt zuckte ich zusammen, aber als ich dann sah, dass es nur Matha war, entspannte ich mich wieder etwas. "Was ist passiert?" "Ich bin einfach ein kleiner Tollpatsch. Hab wohl meinen Rucksack und das Etui offen gelassen und dann ist mir natürlich alles runtergefallen.", lachte ich schulterzuckend. "Oh das kenne ich. Sowas passiert mir auch ständig.", lächelte sie und gab mir mein Etui. "Danke", sagte ich und dann gingen wir zum Klassenraum. 8 Stunden würde ich jetzt noch Ruhe haben, bis Viktor mich umbringen würde.

Der Schultag verging leider viel zu schnell. Ich ließ mir ausreichend Zeit und schlenderte durch Erfurt, nahm jeden Umweg mit den ich kriegen konnte, um nicht im Internat anzukommen. Ich klammerte mich an der klitzekleinen Hoffnung, dass es doch nur eine leere Drohung war und Viktor es nicht ernst meinte. Wenigstens dieses eine Mal nicht. Mit schweren Schritten und flauem Magen betrat ich dann das Gebäude und nahm jede Stufe einzeln. Meine Füße fühlten sich an als würden Betonklötze daran hängen und nicht meine Sportschuhe. Stufe für Stufe kam ich dem Flur und somit meinem Zimmer immer näher. Jeden Schritt den ich machte, wurde ich angespannter. Jeden Schritt den ich Viktor nicht begegnete, wurde ich nervöser. Mit zitternden Händen öffnete ich meine Zimmertür, gleich würde ich in Sicherheit sein. Dachte ich zumindest. Doch als ich ins Zimmer trat wurde ich wieder von der Realität meines beschissenen Lebens eingeholt.
Mein Zimmer war verwüstet. Komplett auf den Kopf gestellt. Die Schranktüren waren aufgerissen und die Klamotten wurden überall verteilt. Mein Schreibtisch war leergefegt, dafür lag alles auf dem Boden. Sogar meine Matratze lag umgedreht auf der ganz anderen Seite des Raumes. Und der Müll war wohl als "Sahnehaufen auf der Torte" oben drüber gekippt. Langsam ließ ich meinen Rucksack von der Schulter gleiten und stellte ihn rechts neben mir ab und starrte das Chaos an. Immer wieder wanderte mein Blick hinüber und die Verzweiflung in mir wuchs. Wie lange würde es noch so weiter gehen? Wie weit würde Viktor noch gehen? Hatte er überhaupt irgendwelche Skrupel? Dann stach mir plötzlich ein Zettel ins Auge der mitten auf dem Schreibtisch lag. Durch die Sonne, die in mein Zimmer schien als wäre nie was gewesen, hatte ich ihn erst gar nicht wahrgenommen. Langsam kämpfte ich mich durch das Durcheinander auf dem Boden und nahm den Zettel zur Hand.
"Hallo Loser,
ich hab dich gewarnt! Leg dein Amt nieder oder du wirst sehen wozu wir noch fähig sind. Ich erwarte dich heute Abend um Punkt 21 Uhr im Waschraum. Hoffentlich mit der richtigen Entscheidung."
Mir wurde erst heiß und dann eiskalt. Immer wieder las ich mir die paar Zeilen durch. Es waren zwar wenige Zeilen, aber die Wirkung war enorm. Ich konnte Viktors vor Wut bebende Stimme förmlich durch die Schrift hören und es machte mir einfach nur Angst. Es war der reinste Psychoterror.
"Till! Also wirklich wie sieht es denn hier aus?!" Man wieso musste die Schiller auch immer in den unpassensten Momenten auftauchen? Wieso hatte ich auch meine Tür aufgelassen? Ich Idiot!
"Ich. Also ich war...", setzte ich an doch wurde von Viktor unterbrochen, der wie aus dem Nichts hinter Frau Schiller aufgetaucht war. "Oh Till war es wieder so weit? Du weißt doch wenn du wütend wirst, dass du deine Übungen machen sollst. Wissen Sie Frau Schiller, Till hat manchmal so Ausraster und heute war es wohl besonders heftig." Was redete er da für einen Bullshit! "Das ist nicht wahr!", rief ich und schaute Viktor böse an. Diese miese Ratte. "Was war es dann?", fragte mich Frau Schiller, doch Viktor sah mich warnend an und hielt sich seinen Finger an seine Kehle und führte ihn von rechts nach links. "Nichts. Ich. Also. Es tut mir Leid, Frau Schiller. Ich werde das Chaos natürlich beseitigen.", sagte ich leise und senkte meinen Kopf beschämt auf den Boden. Ich war ein Feigling. Ich hätte es ihr einfach sagen sollen, aber natürlich traute ich mich nicht. Vielleicht hatte Viktor recht und ich war wirklich nicht der Richtige für den Posten des Staffelkapitäns.

Bad LiarWo Geschichten leben. Entdecke jetzt