Kapitel 47 ✔️

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Der Winter neigte sich dem Ende zu. Mein kleiner Junge war sicher und warm auf seinem Babybrett, das ich mir über den Rücken gehängt hatte, verschnürt. So ein Wiegenbrett war praktisch, hatte ich schnell festgestellt. Als Mutter konnte ich mein Baby zum Holzsammeln oder Wasserholen mitnehmen. Bei unserem nächsten Umzug in andere Jagdgründe konnte ich die Wiege seitlich ans Pferd hängen. Im Tipi bewahrte es den Kleinen davor, ins Feuer zu rollen. Denn so jung er auch war, er zappelte ohne Ende herum. Jetzt verstand ich, warum in der Neuzeit Eltern immer geraten wurde, beim Wickeln eine Hand am Kind zu behalten, damit es nicht von der Wickelkommode stürzte.

Sein Bewegungsdrang wurde nur von seiner Neugierde getoppt. Mit wachen Augen beobachtete er jede noch so kleine Bewegung, obwohl sein Sehsinn in diesem Alter gar nicht so ausgeprägt war. Zumindest Farbnuancen und Tiefenwahrnehmung mussten ihm noch fremd sein. Das hielt ihn freilich nicht davon ab, sein Köpfchen in alle Richtungen zu drehen, um ja nichts zu verpassen. Er war so neugierig wie eine kleine Krähe. Doch auch um seine Neugierde zu befriedigen war das Wiegenbrett hervorragend geeignet. Dank des breiten, schützenden Rahmens und der Fußstütze am unteren Ende, konnte ich es mit ihm aufrecht hinstellen. Die runde Schutzvorrichtung am Kopf würde meinen Sohn gegen die Sonne schützen, sobald diese wieder gnadenlos auf uns hinunter brannte.

Etwas, das ich kaum erwarten konnte. Denn dann gab es erneut Nahrung in Hülle und Fülle. Die Winter der Prärie waren lang und hart. Die Vorräte im Dorf gingen zur Neige und wurden meist nur durch ein Pony, das verendet war, angereichert. Mein mürrischer Magen verlangte nach frischem Fleisch und Früchten. Trockenfleisch und Wásna, beides hing mir mittlerweile zum Hals raus. Dabei war vor allem Letzteres ein Segen, da es sehr energiereich und lange haltbar war. Dennoch, ich wünschte mir den Sommer zurück und so wie mir erging es allen, glaubte ich.

Mein Blick glitt über die Gruppe Männer und älterer Jungen. Sie spielten mal wieder Snow Snake, nur kam es mir so vor, als ob sie in den letzten Tagen fanatischer an die Sache herangingen. Jeder feilte an seiner Technik, um den Stock am saubersten und am weitesten zu befördern. Die Schneeschlangen schlängelten sich durch die eisige Mulde, die an manchen Tagen durch die stärker werdende Wintersonne leicht schmolz, nur um nachts wieder zu Eis zu erstarren.

Preisendes Gemurmel erklang. Takoda hatte gerade einen besonders sauberen und weiten Wurf, oder wie man das nannte, hingelegt. Der beste bisher, wenn ich das Spiel richtig verfolgt hatte. Nur Otaktay hatte seinen letzten Wurf vor sich, dann wollten die Männer aufhören. Fasziniert sah ich zu, wie der beste Freund meines Ehemannes Schwung nahm, und seinen Stock vorwärts schleuderte. Einem geölten Blitz gleich schlitterte das Geschoss durch die Mulde, von seinen gelegentlichen Berührungen mit den eisigen Wänden kaum abgebremst. Alle hielten den Atem an, bis der Stock endlich stoppte. Jubel brach aus. Otaktay war der Sieger. Seine Schneeschlange war, wenn auch nur um wenige Zentimeter, weitergeglitten als die meines Mannes. Zögernd sah ich hinüber. Die Lakota waren trotz ihrer Verbundenheit nicht frei von Neid, Eifersucht und zuweilen Abgunst. In den vergangenen Tagen war mir aufgefallen, dass mein störrischer Krieger eher weniger mit dem Cousin meiner besten Freundin gesprochen hatte. Manchmal kam es mir so vor, als ob er diesen von mir fernzuhalten versuchte, getrieben von seiner Eifersucht. Seit der Geburt unseres Sohnes hütete er mich noch mehr wie einen Schatz. Vom Verhalten ähnelte er zuweilen Gollum aus dem Herr der Ringe Film. Wie oft spürte ich nicht seinen Blick auf mir, wenn ich kurz zu Schwarzer Schmetterling, meiner Schwiegermutter oder einer der anderen Frauen huschte. Ich könnte ja unterwegs verlorengehen!

Wenn ich ihn darauf ansprach, presste er nur stur die Kiefer aufeinander oder wechselte das Thema. Es kostete ihn ersichtlich Mühe, mir nicht wieder vorzuschreiben, wie ich mich seiner Meinung nach zu verhalten hatte. Ihm war aufgefallen, dass sein Kumpel gern mit mir redete. Seitdem wachte er eifersüchtig über meine Schritte.

Ein Jahr in Rapid CityWo Geschichten leben. Entdecke jetzt