„Das ist jetzt nicht dein Ernst. Ich soll das Tipi aufbauen?" Völlig entgeistert schaute ich Takoda an.
„Ja, das ist Frauenarbeit." Er hatte offenkundig Mühe, ein Lachen zu unterdrücken, so wie seine Mundwinkel ständig nach oben zuckten. Dieser Mistkerl!
„Lach nicht," grummelte ich, „erkläre mir lieber was ich machen muss."
„Als erstes müssen wir die drei stärksten Stangen oben zusammenbinden und sie dann aufstellen. Sie bilden die Basis. Die Ausrichtung ist ebenfalls wichtig, denn der Eingang eines Lakotatipis zeigt immer nach Osten."
„Um die aufgehende Sonne zu begrüßen", murmelte ich. Mit Takodas Hilfe stellte ich die Basis auf, sodass die drei Stangen ein gleichschenkliges Dreieck ergaben. „Was nun?"
„Jetzt werden die dünneren Stäbe rundherum dazu gestellt, damit wir das Gerüst für die Plane erhalten." Nachdem wir diese ordentlich platziert hatten, grinste Takoda mich fies an. „Viel Spaß beim Hochklettern."
„Wie bitte?" Ernsthaft jetzt? Ich lugte misstrauisch zu der Konstruktion. Die Lakotafrauen hatten damals keine Leitern. Doch erwartete er allen Ernstes, dass ich dort hinaufkletterte?
„Na du musst hochklettern und die Stangen für die Stabilität aneinanderbinden. Nicht zu viel nachdenken, einfach tun."
Der hatte leicht reden. Er brauchte ja nicht zu klettern. Ich schickte ein Stoßgebet zu allen Gottheiten, die mich mit etwas Glück erhörten, und kletterte mühselig hinauf. Nachdem das geschafft war, legten wir zusammen die Zeltplane um eine Stange, um die Plane anzuheben und um die Stäbe zu legen. Danach wurden die zwei Enden der Zeltplane aneinander befestigt. Dafür war es notwendig, dass ich abermals kletterte. Ich vermied es, nach unten zu schauen, konzentrierte mich krampfhaft auf die Arbeit.
Dann schlang ich an der Innenseite des Tipis ein Seil um die Stangen, und zwar so, dass es nicht an der Außenplane auflag, sondern dem Zeltinnern zugewandt war. Das Innenfutter band ich an dieses Seil, statt an die Stäbe. Mit hochgezogenen Augenbrauen betrachtete ich das Werk. Wozu diente diese Konstruktion?
„Falls es regnet, kann das Wasser an den Stangen herablaufen, ohne dass das Futter nass wird", erklärte Takoda, der mein Stirnrunzeln bemerkt hatte. Er ließ mich die gesamte Zeit nicht aus den Augen, schien jede meiner Bewegungen still zu bewerten. „Für die Feuerstelle benötigen wir ein paar Steine."
Freundlicherweise übernahm er das Suchen von geeigneten Steinen. Ich kümmerte mich in der Zwischenzeit darum, den Großteil des Bodens im Tipi mit Fellen auszukleiden. Die Decken aus Büffelfell und Kissen aus Fuchsleder brachte ich ebenfalls schon mal rein. Genauso wie die Vorratsbehälter und die Sammeltasche. Diese hängte ich an die Zeltstangen.
Zufrieden begutachtete ich mein Werk, als Takoda mit den Steinen wiederkam.
„Mit ein bisschen Übung wird aus dir noch eine echte Lakota", sagte er anerkennend. Ich betrachtete ihn kurz und entdeckte eine Spur von Bewunderung in seinen Augen.
„Hast wohl nicht erwartet, dass ich es hinkriege", stichelte ich ein wenig, während er die Feuerstelle in Ordnung brachte.
„Doch, denn bei meinen guten Anweisungen konnte gar nichts schiefgehen", konterte er sofort.
„Eingebildet bist du gar nicht, oder?" Frech musterte ich ihn, als er aufstand und zu mir schlenderte. Breit grinsend zog er mich an seine Brust. Ich schlang meine Arme um ihn. Wenn mir sonst schon sein Geruch gefallen hatte, der nach Minze und Zedernholz, jetzt liebte ich den Geruch, der von ihm ausging. Er roch herb nach Leder und Pferd. Es passte zu ihm. Seine ganze Ausstrahlung hatte sich geändert. Er war nicht mehr ein angesehener Schüler irgendeiner High-School. Ein Junge, dem die Mädchen wie läufige Hündinnen nachliefen. Es schien mehr so, als wenn er ein erwachsener Mann wäre, der sich seinen Aufgaben und seiner Verantwortung vollends bewusst war. Ich genoss die Sicherheit, die er ausstrahlte. Sanft hauchte er mir einen Kuss auf den Scheitel, bevor er mich losließ.
DU LIEST GERADE
Ein Jahr in Rapid City
Historical FictionAnna und Steffi, zwei Freundinnen von Kindesbeinen an, wechseln für ein Jahr an eine amerikanische Highschool. Dort läuft allerdings nicht alles so glatt, wie sie es sich vorgestellt hatten. Dabei wird ihre Freundschaft mehr als einmal auf die Probe...