PoV Takoda
Ehrfürchtig legte ich den Büffelschädel an seinen Platz und drapierte das Fleisch darüber. Dann zündete ich Salbei in einer Schale an und fächelte ihn über den improvisierten Altar. Anna schaute mir in der Zwischenzeit misstrauisch aber gleichzeitig lernbegierig zu. Mir war klar, dass sie aus hygienischen Gründen ihre Bedenken hatte. Dennoch akzeptierte sie das Ritual als Teil meiner Kultur.
„Ich werde gleich mit den Jungs eine Schwitzhütte aufbauen, damit wir dort ebenfalls für eine erfolgreiche Jagd beten können", informierte ich sie. Es fühlte sich seltsam an, die alten Gewohnheiten anzunehmen. Wieder nach uralten Traditionen zu leben. Durch die Jahre im einundzwanzigsten Jahrhundert glaubte ich nicht mehr an übernatürliche Wesen. Meine Pflegeeltern waren Atheisten und hatten Jake und mich dementsprechend so erzogen, dass wir alles kritisch hinterfragten. Wir respektierten zwar die Auffassungen anderer Menschen, übernahmen diese aber nicht klanglos. Der alte Glaube meines Volks hing für mich seitdem vielmehr mit einer positiven Erwartungshaltung zusammen. Man betete zu Wakȟáŋ Tȟáŋka für zum Beispiel den glücklichen Ausgang einer Jagd, ging daher hochmotiviert an die Sache ran und bekam meist ein dementsprechendes Ergebnis. Reine Kopfsache.
Einerseits sehnte ich mich danach, wieder nach der Glaubensüberzeugung der Lakota zu leben. Andererseits kam ich mir wie ein Heuchler vor. Ich seufzte tief. Wenn ich schon selbst Schwierigkeiten mit dieser Situation hatte, wie fühlte sich dann Anna? Ich hatte sie ungefragt in diese Welt gezerrt, weil sie zu mir gehörte und ich mir kein Leben ohne sie vorzustellen vermochte. Kurz linste ich zu ihr rüber. Sah, dass sie sich wieder ihren Nähsachen widmete. Sie passte sich schnell an ihr neues Leben an. Weil ich sie dazu gezwungen hatte. Egal wie sehr es mir imponierte, dass sie alles ohne zu murren meisterte, es blieb immer ein bitterer Beigeschmack.
Nachdenklich verließ ich das Tipi. Mit den Freunden oder meiner Familie sprach ich nicht über die Sorgen, die tief in mir anwuchsen. Wer würde mir die Geschichte mit der Zeitreise abkaufen? Oder was mit unserem Volk in diesem Jahrhundert geschehen würde? Wie so oft seit der Rückkehr bemerkte ich die schwere Last auf den Schultern, die mich fast in die Knie zwang. Mein Magen krampfte sich zusammen auf Grund des Wissens, das ich über unsere Zukunft besaß. Nie hatte ich in der Moderne einen Gedanken daran verschwendet, dass ich mal so empfinden würde. Wie erhielt ich die Besonnenheit zurück, die das Volk von einem angehenden Häuptling erwartete?
Unter normalen Umständen würde ich mich auf eine Visionssuche begeben. Doch was war, wenn Jacks Eltern Recht hatten und es Wakȟáŋ Tȟáŋka und Geisterwesen nicht gab? Dann half mir eine Visionssuche nicht im Geringsten, da eine Vision ausbleiben würde. Oder hatte mein Volk recht und existierten Geister? Erbarmten sie sich mir trotz der Zweifel? Andererseits, wenn die atheistische Auffassung doch korrekt war, dann gab mir mein Unterbewusstsein womöglich einen Schubs in die richtige Richtung.
„Kȟolá!" Otaktay trat zu mir. „Die Schwitzhütte steht noch vom letzten Mal, als wir hier am Fluss unser Dorf aufgeschlagen haben. Die anderen bereiten mit dem Weisen Mann bereits das Feuer vor. Kommst du mit?"
Ich nickte und folgte meinem Freund. Am Ufer stand eine kleine Hütte aus geflochtenen Stämmen und Ästen. Sie war so niedrig, dass ein Mann nur sitzend hineinpasste. Ich runzelte die Stirn, wünschte mir eine finnische Sauna herbei. Wie oft hatte ich meine müden Muskeln nach dem Leichtathletiktraining dort erfrischt? Doch die faule Zeit war vorbei. Wenn das so weiterging, hatte ich bald mehr Sehnsucht nach dem einundzwanzigsten Jahrhundert als meine Frau. Es wurde langsam Zeit, dass ich mich wieder unter Kontrolle bekam und ein nützlicher Teil des Volkes wurde. Im Selbstmitleid zu zerfließen war der falsche Weg.
Beruhigt betrachtete ich die Schwitzhütte. Jemand hatte eine Pyramide aus Steinen und Holz errichtet. Diese Art Scheiterhaufen brannte lichterloh, dennoch würde es einige Zeit dauern, bis das Gestein die für die Zeremonie nötige Temperatur erreichte. Nach einer Weile war es so weit und wir entkleideten uns schweigend. Dann hängte ich wie die anderen ein Bündel Tabak vor den Eingang, bevor wir in die Dunkelheit der Hütte kletterten. Wir setzten uns um die Kuhle in der Mitte, wo Salbei und Süßgras lag. Die heißen Steine wurden hineingerollt und kurz darauf stieg uns der Geruch der verbrannten Kräuter in die Nasen. Augenblicklich stimmten wir das erste Gebet an. Die Zeremonie dauerte mehrere Runden an. Wir luden mit einem Lied die Geister ein und bedankten uns bei ihnen. Dazu baten wir sie, uns Kraft zu geben für die bevorstehende Jagd.
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Ein Jahr in Rapid City
Fiction HistoriqueAnna und Steffi, zwei Freundinnen von Kindesbeinen an, wechseln für ein Jahr an eine amerikanische Highschool. Dort läuft allerdings nicht alles so glatt, wie sie es sich vorgestellt hatten. Dabei wird ihre Freundschaft mehr als einmal auf die Probe...