Kapitel 20 ✔️

214 22 3
                                    


Wir waren seit etwas über einer Woche zurück in Rapid City. Gezwungenermaßen hatte ich mit Takoda das Referat ausgearbeitet, das wir heute im Geschichtsunterricht vorgetragen hatten. Mrs. Roberts hatte uns beiden die Bestnote gegeben. Ich gab gern zu, dass Takoda seinen Teil mitreißend erzählt hatte. Ganz so, als hätte er es selbst erlebt und nicht aus Büchern und alten Erzählungen im Reservat gelernt. Die Mädels hatten an seinen Lippen gehangen und sogar die Jungs hatten alle zugehört.

Nun, während der Mittagspause, hatte ich mich in die Schulbücherei zurückgezogen. Ab jetzt würde ich ihm unter allen Umständen aus dem Weg gehen. Noch zweieinhalb Monate, bis das Jahr rum war und ich nach Hause flog.

„Anna?" Jakes Stimme drang durch die Gänge. Ich machte mich klein in meiner Ecke und hoffte, dass der Arsch mich nicht fand. „Komm schon Anna. Ich weiß, dass du hier irgendwo bist. Die anderen Jungs suchen dich eh im Rest des Gebäudes. Du kannst dich nicht ewig vor uns versteckt halten."

Scheiße. Meine Atmung flachte ab. Das mit dem Verstecken würde schwieriger werden als erwartet. Ich wurde eins mit den Büchern. Zumindest stellte ich mir das vor. Unauffällig, nicht für jeden geeignet.

„Hier bist du also." Jake riss mich unfreundlicherweise aus der Vorstellung meinerseits als eines von tausend Büchern. Dabei war ich so ein wundervolles Sachbuch über irgendwelchen geschichtlichen Scheiß. Mistkerl. Ich wandte mich ab, ignorierte die weniger teuflische Hälfte des nervtötenden Duos.

„Was zum Teufel ist los mit dir? Seit ihr aus dem Rez zurück seid, verhältst du dich komisch." Jetzt nervte der Vollpfosten mich schon wieder. Ja, ich versteckte mich nicht nur vor Takoda, sondern auch vor seinem bescheuerten weißen Bruder. Winnetou und Old Shatterhand sollten lernen, ohne Ribanna zu leben, zum Teufel nochmal.

Wann hatte ich eigentlich angefangen, so viel in Gedanken zu fluchen? Ich mutierte mittlerweile zu einem Goldgräber in den Black Hills zur Zeit des Gold Rushs. Ach ja, reine Verteidigungsmaßnahme meines Gehirns. Ich musste sie hassen, damit mir alles leichter fiel.

Während ich noch in Gedanken schwelgte, stolperte ich hinter Jake her, da der Idiot mich doch tatsächlich wie einen Hund hinter sich herzog. Mit einem Ruck entriss ich ihm mein Handgelenk, sowie wir aus der Bibliothek traten und rannte zum nächsten Unterricht. Dabei wich ich geschickt John und Michael aus, die versuchten, mich abzupassen. Pünktlich zum Klingeln setzte ich mich auf den Stuhl. Meine Mitschüler starrten mich an, als ob ich die Attraktion des Jahrhunderts wäre. Nur weil ich vor den glorreichen Sieben flüchtete. Wenn auch nicht erfolgreich. Max plumpste gerade auf den freien Stuhl neben mir und warf mir einen Blick zu, der irgendwo zwischen genervt und besorgt lag. Oder auch beides darstellte. Er kritzelte etwas auf ein Stück Papier und schob dieses zu mir rüber.

„Was ist los mit dir? Wir machen uns Sorgen."

Ich gab den Zettel unbeantwortet zurück und starrte stur nach vorne auf die Tafel. Irgendwann erwischte ich mich dabei, wie ich mit meinem indianischen Armband spielte. Tief seufzend ließ ich es los, was mir abermals einen besorgten Blick meines Sitznachbarn einhandelte. Doch auch jemand anders schaute ständig zu mir.

Steffi.

Sie kaute auf ihrer Unterlippe herum und wirkte auch so nervös. Was wollte die bitteschön von mir? Ich warf ihr einen genervten Blick zu. Seitdem sie mir das blaue Auge verpasst hatte, waren wir einander aus dem Weg gegangen. Und ich verspürte keine Lust, unsere Freundschaft wieder aufleben zu lassen. Der Zug war abgefahren.

Wenn ich in Hamburg wäre, wären das jetzt fünf Euro fürs Phrasenschwein. Scheiße.

Zum Glück klingelte es zum Unterrichtsende. Ich sprintete los, um einen möglichst großen Abstand zwischen mich und Max zu bringen. Takoda und Jake hatten diese Stunde am anderen Ende des Gebäudes. Also waren sie weit genug weg, so dass ich zumindest eine kleine Chance zum Abhauen hatte. Vorausgesetzt der Rest der glorreichen Sieben kassierte mich nicht ein. Max hatte etwas in ihrer Whatsapp-Gruppe geschrieben. Nachdem er zum gefühlten hundertsten Mal besorgt zu mir geschaut hatte.

Ein Jahr in Rapid CityWo Geschichten leben. Entdecke jetzt