Kapitel 14 ✔️

227 21 2
                                    

Ich rieb mir mehrfach halb verschlafen von der Party die Augen, als wir die knapp achtzig Meilen zum Pine-Ridge-Reservat fuhren, und grübelte vor mich hin. Takoda hatte mir einige Aspekte zur Geschichte der Region erzählt. So war es ursprünglich ein Teil der Great Sioux Reservation, die 1868 durch den Vertrag von Laramie zustande gekommen war. Aber wie so oft mit Abkommen zwischen Ureinwohnern und den Amerikanern, hatten die Amis ihn gebrochen. Ein Deutscher hatte den einzigen Pakt von weißen Siedlern und Indianern, der nie gescheitert war, im Jahr 1847 mit den Comanchen ausgehandelt. Tja, deutsche Zuverlässigkeit. Half den Lakota aber nicht. Denen hatte man 1942 sogar noch mehr Land abgenommen, weil die Amis dort ein Bomben-Testwurf-Gelände aufbauten. Erst 2008 hatten sie 1,6 Millionen Dollar investiert, um ihre beschissenen Blindgänger und den anderen Dreck aufzuräumen. Im Reservat selber war heutzutage die Arbeitslosigkeit hoch. Die Quote lag bei achtzig Prozent. Dazu war die Lebenserwartung ausgesprochen niedrig für ein angeblich zivilisiertes Land. Für Männer betrug sie nicht mal fünfzig Jahre. Durch das ganze Elend waren bis zu fünfundsiebzig Prozent darauf angewiesen, auf traditionelle Formen der Nahrungsgewinnung zurückzugreifen, also Jagen und Sammeln von Wildfrüchten, Wurzeln und Samen. Tja, was Takoda und mich hierher brachte. Denn in dieser Umgebung war es laut meinem Begleiter leichter, Außenstehenden wie mir die althergebrachten Aufgaben der Lakotafrauen beizubringen. Das war ebenfalls der Grund, warum Takoda darauf bestand, dass ich keine neumodischen Sachen mitnahm. Nur mein Armband und das Messer, das er mir geschenkt hatte, waren erlaubt. Bei seinen Bekannten würden wir dann traditionelle Kleidung anziehen. Irgendwie war mir mulmig dabei, denn die Lakota kannten früher keine Unterwäsche. Und die Vorstellung ohne Slip in einem Kleid tagelang neben Takoda zu schlafen, war mir dann doch wieder unheimlich. Deswegen hatte er es mir erst beiläufig während der Fahrt erzählt und nicht vorher. Herzlichen Dank aber auch.

Schweigend starrte ich aus dem Fenster und betrachtete die Landschaft. Sie war genauso, wie ich sie in dem Film Dreamkeeper, den wir uns am Samstagvormittag angeschaut hatten, gesehen hatte. Gefühlte endlose Weiten voller Gras. Ich versuchte, mir vorzustellen, wie es in den Zeiten vor der Besiedlung durch die Europäer ausgesehen hatte. Die riesigen Bisonherden, die über das Land zogen, hatten sicher ein majestätischer Anblick geboten. Mittlerweile gab es wieder Bisons im Reservatsgebiet geben, da eine gemeinnützige amerikanische Organisation den Lakota-Familien half, ihr Land aus Pachtverträgen zu befreien, um sie zu züchten. Bisons waren auf Grund ihrer Hufform besser für den Prärieboden geeignet als die Hufe von Rindern, die alles feststampften. Dagegen lockerten die Bisons die Erde eher auf, wodurch Samen besser keimten. Somit waren sie weitaus ökologischer als ihre ursprünglich europäischen Verwandten. Und gesünder, da cholesterinärmer, war ihr Fleisch ebenfalls. Abgesehen davon, dass man Bisons im Gegensatz zu dämlichen Hausrindern in Deutschland nicht tagein, tagaus in dunklen miefigen Ställen einsperren konnte, sondern sie artgerecht auf riesigen Weiden Auslauf hatten. Zugegeben, ich lernte durch Takoda eine Menge über Themen, die früher nicht einmal mein Interesse geweckt hatten. Selbst wie weitreichend die Verwendung der erlegten Tiere war, faszinierte mich. Nicht nur verwendete man die Häute und Felle für Kleidung, Taschen und Tipis und verzehrte das Fleisch. Nein, aus Knochen wurden Messer, Werkzeuge, Nadeln und sogar Pinsel gefertigt. Den Schädel nutzten die Lakota als Altar, die Blase als Wasser- oder Nahrungsbehälter, der Magen als Kochgefäß, die Hörner als Gefäße oder Löffel, die Sehnen zum Nähen oder für die Bögen. Aus den Hufen fertigten sie Leim, während dagegen das Gehirn als Gerbmittel Verwendung fand. Und das waren nur die Verwendungszwecke, die ich mir auf die Schnelle merkte. Kein Wunder, dass die Bisons für die Prärieindianer wie die Lakota als wichtig und heilig angesehen wurden.

Bisons bekamen wir diese Woche nicht zu sehen. Sie zu jagen, das stand nicht einmal zur Debatte. War ich, wenn ich ehrlich war, froh drüber. Mir hatten schon die Wisente, die ich mal in einem Gehege in Deutschland gesehen hatte, eine Heidenangst eingejagt. Und die waren ein Stück kleiner als Bisons.

Ein Jahr in Rapid CityWo Geschichten leben. Entdecke jetzt