Die Zeit verging wie im Fluge. Mittlerweile hatten wir Spätsommer und mein kleiner Junge krabbelte herum. Es gab Tage, da wünschte ich mir einen Babyknast, damit er sich frei bewegte, aber nicht abhaute. Doch Laufställe für Babys gab es hier nicht. Daher war ich auf die Unterstützung der Familie und meiner Freundinnen angewiesen, wenn ich den Kleinen nicht ständig auf sein Wiegenbrett schnüren wollte. Schwarzer Schmetterling kümmerte sich stets mit einem verzückten Gesichtsausdruck um Weiße Krähe. Zu meiner Erleichterung hatte ihr Vater endlich den armen Matȟó-glešká erhört. Meine Freundin würde ihren Verehrer nach dem Winter heiraten, nachdem sie ihr Tipi genäht hatte. Das bedeutete nicht nur für sie, sondern auch für mich wunde Finger und stundenlangen Tratsch am Lagerfeuer.
Meine Schwiegermutter nahm mir meinen Sohn ebenfalls gerne ab, auch wenn er dann oft auf dem Schoß des Häuptlings landete. Mein Schwiegervater berichtete mit leuchtenden Augen und einem breiten Grinsen, das seine vielen Lachfältchen betonte, den anderen Ältesten, was sein Enkel schon alles gelernt hatte. Er wurde es nicht müde, ihnen davon zu erzählen, was für ein großartiger Krieger der Kleine mit seinem Entdeckungsdrang mal werden würde. Schmunzelnd hörten alle dem stolzen Großvater zu, war jedem doch bewusst, dass bis zu Takodas Rückkehr alle drei Kinder des Häuptlings als tot gegolten hatten. Die Dorfbewohner gönnten ihrem Stammeshaupt und seiner Frau die Freude, die ein Enkelkind mit sich brachte.
Mir dagegen brachte das enge Verhältnis zu meinen Schwiegereltern eine zuweilen dringend benötigte Verschnaufpause. Quengelte Weiße Krähe aus einem mir völlig unbekannten Grund, so kannte Stilles Wasser oder eine andere erfahrene Lakotafrau oftmals die Ursache. Zumindest hatte ich hier keine Möglichkeit, mich mit den unterschiedlichen Suchergebnissen von Google selbst in den Wahnsinn zu treiben. Denn dort hätte ich sonst jedes Bisschen nachgeschlagen, statt etwas auf den Rat meiner Mitmenschen oder mein eigenes Gefühl zu geben. Ich lächelte versonnen bei dem Gedanken, spürte dabei den heißen Atem der Sonne auf dem Gesicht. Für meinen Geschmack war es zu warm. Obendrein herrschte fast durchgängig Windstille. Der Schweiß lief still den Rücken hinunter.
„Träumst du?" Verwirrt sah ich auf. Sarah, oder wie sie jetzt hieß, Ziŋtkála-zí, stand mit verschränkten Armen vor mir und betrachtete mich stirnrunzelnd. Gelber Vogel. Es passte zu ihr. Ihre blonde Mähne wurde von den Lakotafrauen gern mit den Strahlen der Sonne gleichgesetzt und ihre klare helle Stimme erinnerte an einen Singvogel, der fröhlich ein Lied zwitscherte. Doch ihre Miene passte heute nicht im Geringsten dazu.
„Klar. Was dagegen?" Ich lächelte sie an, strich mir dabei eine verschwitzte Haarsträhne hinters Ohr. Aus irgendeinem düsteren Grund konnte ich meine Haare frisieren, was ich wollte, dennoch blieben sie widerspenstig und lösten sich ständig aus den Zöpfen.
„Ich wünschte, ich hätte auch noch einen Grund zum Träumen." Sie seufzte leise, wandte sich dann Richtung Fluss. „Kommst du mit?" Nickend stand ich auf. Eine Abkühlung klang nach einer willkommenen Abwechslung. Mein Blick huschte erst zu Stilles Wasser, die meinen Sohn beschäftigte. Sie sah kurz zu Sarah und mir, bemerkte genauso wie ich, dass die Blondine Ruhe und eine Möglichkeit zum Reden benötigte. Mit einer kleinen Geste gab mir meine Schwiegermutter zu verstehen, dass sie weiterhin auf den Jungen aufpasste. Nachdenklich schlenderte ich daher mit Sarah zum Ufer. Sie hatte zugegeben, dass sie hier glücklicher war als bei den Cheyenne, doch ein richtiges Zuhause war unser Dorf nicht für sie. Noch immer vermisste sie Shishiesh, was ich nachvollziehbar. Er war ein sanftmütiger Mann.
Am Wasser angekommen wischte ich mir den Schweiß von der Stirn, dann erfrischte ich mit dem kühlen Flusswasser Nacken und Arme, die mittlerweile braungebrannt waren. Mit schwarzen Haaren wäre ich als Indianerin durchgegangen, im Gegensatz zu meiner Begleitung, die still auf die sich kräuselnde Wasseroberfläche sah.
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Ein Jahr in Rapid City
Historical FictionAnna und Steffi, zwei Freundinnen von Kindesbeinen an, wechseln für ein Jahr an eine amerikanische Highschool. Dort läuft allerdings nicht alles so glatt, wie sie es sich vorgestellt hatten. Dabei wird ihre Freundschaft mehr als einmal auf die Probe...