Pov Shishiesh
Der Morgen dämmerte, die Luft war frisch. Daher zog ich Anna etwas dichter an mich heran. Sie schlief noch tief und fest. Zufrieden grinsend nutzte ich das aus und streichelte über ihren schwangeren Bauch. Ich dachte dabei an den Pferdediebstahl im Lager der Lakota zurück. Wie sie viel zu sorglos durch die Herde geschritten war, obwohl sie schon ahnte, dass sie in Gefahr war. Als sie dann stürzte und aus Angst vor Bishée mir in die Arme kroch. Ich hatte direkt gewusst, dass sie nicht hierhergehörte. Weniger, weil sie eine Weiße war, sondern weil sie trotz allem viel zu kalkulierend reagiert hatte. Eine Frau dieser Zeit hätte panisch geschrien, geweint, um sich geschlagen und vermutlich gebissen. Doch sie war still geblieben, damit wir ihr nichts antaten.
Auch ihr Verhalten im Dorf war mir aufgefallen. Erst störrisch verschlossen, als meine Schwester versuchte, ihr unsere Sprache beizubringen. Dann, nach vermutlich kurzem Nachdenken, hatte sie lernwillig reagiert. Nach dem Motto: Wenn sie mich als eine der ihren sehen, kann ich eher flüchten.
Deswegen brachte ich sie dorthin zurück, wo sie hingehörte. Und zwar nicht unter die Felle bei diesem verdammten Lakota, der ihr alles eingebrockt hatte. Ich stützte mich auf meinem Unterarm ab, um ihr Gesicht genauer zu betrachten. Ihre sanften Züge hatten mich vom ersten Moment an fasziniert, als sie in unsere Richtung schritt. Doch hatte ich ebenfalls gesehen, wie Bishée sich bei ihrem Anblick kurz versteifte. So schnell wie möglich war ich hinter sie geschlichen, um sie gefangen zu nehmen, damit Bishée sie nicht bekam. Mehrfach hatte er nach unserer Rückkehr ins Dorf versucht, sie mir abzuluchsen. Ich verstand seine Beweggründe. Anna war wunderschön, obendrein schwanger. Doch es war egal, wer der Vater des Kindes war. Bishée würde es wie sein Eigenes lieben und großziehen. Genauso wie ich es als mein Baby annehmen würde.
Wenn die Geister nicht mitspielten und ihr die Reise in ihre Zeit verwehrten, blieb mir nicht anderes übrig. Ewig konnte ich nicht mit ihr bei der Höhle bleiben und auf den richtigen Moment warten. Höchstens einige Wochen, dann wären wir gezwungen, in mein Dorf zurückzukehren. Mir war bewusst, wie das enden würde. Nicht, dass ich etwas dagegen einzuwenden hatte. Doch noch gelang es mir, mich ihrer Anziehungskraft zu entziehen. Auch dank der Schwangerschaft. Solange sie dieses kleine Wesen unter ihrem Herzen trug, würden ihre Gefühle für dessen Vater zu ausgeprägt sein.
Aber sobald das Kind das Licht der Welt erblickt hatte, würde es sie zu dem Mann ziehen, der sie und ihr Baby schützte. So funktionierte das Leben hier in der Wildnis. Vor allem, so tickte Anna. Außerdem zeigte sie mir durch ihre Reaktionen auf meine Nähe, dass sie mir vertraute. Spätestens nach der Geburt würde sie in meinen Armen liegen und mich ansehen, als ob ich schon immer der einzige Mann in ihrem Leben gewesen wäre. Ich schluckte. Verdammt, das sollte ich nicht einmal in Erwägung ziehen! Vorsichtig stand ich auf, deckte sie sorgfältig zu und lief zum Wasserlauf, um mich zu waschen. Außerdem hatte ich vor, zu beten. Das war bitternötig.
Später schleppte ich Anna quer durch die Höhle zu der verflixten Wand, die mir damals mein Leben versaut hatte. Zugegeben, ich hatte auch Gutes kennengelernt, doch im Nachhinein wünschte ich, dass ich dem jungen Lakota nie gefolgt wäre. Ich schnaubte. Dafür war es zu spät, der Schaden angerichtet. Es blieb mir nichts anderes übrig, als eine andere Person vor demselben Schicksal zu beschützen.
„Jetzt erzähl mir endlich, was das hier soll." Die Frau, deren Hand ich eisern festhielt, hatte die Nase voll und forderte eine Erklärung. Es hatte mich eh gewundert, dass sie nicht eher auf die Idee gekommen war. Denn mal ehrlich, wie viele Indianer kannte sie, die fließend Englisch sprachen? Am Vortag war es ihr zum ersten Mal aufgefallen. Ich hatte sie vertröstet, in der Hoffnung, mich vor der Erklärung zu drücken. Ich seufzte. Die verdammte Wand blieb natürlich dunkel. Jetzt war es wohl an der Zeit, mit der Sprache herauszurücken.
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Ein Jahr in Rapid City
Historical FictionAnna und Steffi, zwei Freundinnen von Kindesbeinen an, wechseln für ein Jahr an eine amerikanische Highschool. Dort läuft allerdings nicht alles so glatt, wie sie es sich vorgestellt hatten. Dabei wird ihre Freundschaft mehr als einmal auf die Probe...