Wimmernd presste ich die Hand auf meinen dicken Bauch, der sich schmerzhaft zusammenzog. In den vergangenen Tagen war er immer mal wieder hart geworden. Laut meiner Schwiegermama die ersten Anzeichen einer bevorstehenden Geburt, die mich sogleich mit einem Vorrat getrockneter Kräuter versorgt hatte. Diese, als Tee getrunken, bereiteten ihrer Aussage nach den Körper vor, wodurch das Gebären einfacher verlief. Einfacher! Das ich nicht lachte. Das würde die Hölle werden, so ganz ohne Betäubungsmittel. Auf was für einen verdammten Scheiß hatte ich mich nur eingelassen? Ich igelte mich ein. Zumindest soweit, wie meine Kugel es zuließ. Wieder schoss der Schmerz durch meinen Unterleib. Wie hielten die Lakotafrauen das aus? Etwas von deren stoischer Ruhe wäre momentan ganz nett.
Autsch. Jetzt trat mich das kleine Monster, das in meinem Bauch wohnte, zu allem Überfluss. Gedanklich schickte ich dem aufmüpfigen Untermieter die Kündigung. Es war ein beschissenes Gefühl, wenn die Organe aneinandergepresst wurden, weil sich ein Baby breitmachte. Ich schnaubte entrüstet, als sich ein Dauerdruck auf meiner Blase bemerkbar machte. Bei der Kälte aufstehen? Nö. Dafür hatte ich dank der Wehen, oder was auch immer sie waren, zu miserabel geschlafen. Waren das schon Geburtswehen? Ich zuckte zusammen, als die nächste Welle meinen Körper traf. Das war doch alles doof. Kurz sah ich zu meinem Mann rüber. Klar, der pennte noch seelenruhig. Das wollte ein starker verantwortungsbewusster Krieger sein, der zu jedem Zeitpunkt ohne Probleme seine Familie verteidigen konnte? Guter Witz. Grummelnd schob ich die warmen Felle zur Seite. Sofort zog eine Gänsehaut über meinen Körper und ich schlüpfte schnell in die bereitliegende Kleidung. Ich warf noch ein paar Zweige auf die glimmende Asche, wartete, bis die Flammen begierig an ihnen entlang züngelten. Mit einer Decke um mich geschlungen watschelte ich wie ein wandelnder Burrito zum Waldrand, um meine Blase um ihren Inhalt zu erleichtern. Danach lief ich wie eine Ente weiter zum Fluss, um mich zu waschen. Widerwillig schaute ich auf das eiskalte Wasser. An einem Busch, der am Flusslauf wuchs, hingen Eiszapfen. Die Zweige waren vom Raureif bedeckt. Der Schnee unter meinen dicken Fellstiefeln knirschte bei jedem Schritt.
Wenn ich daran zurückdachte, wie ich mich in Hamburg immer über diese Engelskotze gefreut hatte, blieb mir nichts anderes übrig, als über mein naives Selbst den Kopf zu schütteln. Das Zeug war die reinste Plage. Wenn man sauberen Schnee in einen Behälter schaufelte und diesen an einen warmen Ort stellte, erhielt man nach einiger Zeit Wasser. Das war auch das einzig Positive an dem weißen Sondermüll. Schön, die Kinder hatten tagsüber ihren Spaß, wenn sie zum Beispiel größere Knochen als Schlittenersatz zum Rodeln nutzten. Oder sich im Spurenlesen übten, was manchmal bei den älteren Kindern dazu führte, dass sie ein Eichhörnchen oder ein anderes kleines Tier erlegten. Frischfleisch wurde gerade zu dieser Jahreszeit gern gesehen. Es bedeutete Abwechslung und man konnte Trockenfleisch und Pemmikan für schlechtere Zeiten aufheben.
Doch nicht nur die Kinder hatten ihren Spaß. Die Männer und älteren Jungen spielten gern ein Spiel, bei dem sie ihre Geschicklichkeit testeten. Erst gruben sie eine längliche Mulde, die geglättet wurde. In dieser glitten dann lange Stöcker oder mit Federn verzierte Knochen entlang. Gewinner war derjenige, dessen Geschoss am weitesten kam. Takoda nannte es eine Mischung aus Eisstockschießen und Speerwurf.
Auch die Frauen liebten es, sich im Winter in Geschicklichkeitsspielen zu üben oder auf Eisflächen zu schlittern. Letzteres war für mich auf Grund der Schwangerschaft tabu. Etwas, dass mich überhaupt nicht störte. Schlittschuhlaufen hatte ich noch nie gemocht. Zu rutschig, zu schmerzhaft, wenn man fiel, und zu kalt. Wobei ich wieder bei meinem eigentlichen Problem war. Bei diesen Temperaturen wollte ich keinen Schritt aus dem Tipi setzen und mich erst recht nicht im eiskalten Fluss waschen.
„Mašké!" Schwarzer Schmetterling begrüßte mich freudig. Und nackt wohlgemerkt. Ich schüttelte mich innerlich bei dem Gedanken, mich nun ebenfalls auszuziehen. Aber es war leider notwendig. Mir tat mein Baby jetzt schon leid. Wie sollte der Zwerg nur mit den Temperaturen umgehen können? In meinem Bauch war es gleichbleibend warm. Doch gleich nach der Geburt würde ich mein Kind dieser grausamen Kälte aussetzen.
DU LIEST GERADE
Ein Jahr in Rapid City
Historical FictionAnna und Steffi, zwei Freundinnen von Kindesbeinen an, wechseln für ein Jahr an eine amerikanische Highschool. Dort läuft allerdings nicht alles so glatt, wie sie es sich vorgestellt hatten. Dabei wird ihre Freundschaft mehr als einmal auf die Probe...