PoV Takoda
Frustriert wälzte ich mich auf meinem Bett, um genau zu sein, auf den Fellen. Ohne Anna zurück ins Dorf zu kehren war die Hölle. Es verging eine weitere Woche und ihre Abwesenheit schmerzte mich von Tag zu Tag mehr. Im Tipi war es zu still. Bis auf das Knistern des heruntergebrannten Feuers war nichts zu hören. Draußen rührte sich ebenfalls keine Menschenseele. Kein Wunder, denn die Sterne standen hoch am Himmel. Zu früh zum Aufstehen, doch allein zu schlafen fiel mir schwer. Mein Unterbewusstsein schickte mir furchtbare Träume, was die Crow mit meiner Frau womöglich anstellten. Behandelten die Krieger sie, wie sie es verdiente? Zwangen sie Anna zu etwas oder misshandelten sie sie? Wenigstens schützte die Schwangerschaft sie vor Schlimmeren. Doch hätte es nie so weit kommen brauchen. Nur weil ich so dämlich war und sie allein gelassen hatte. Hatte mir eingebildet, dass sie sich in der Obhut des Dorfes in Sicherheit befand. Fehlanzeige. Wieso war ich nur so töricht? Niemand war hier vor Überfällen sicher. Und in einigen Jahrzehnten würde sich die Situation rapide verschlechtern. Mein verdammter Egoismus. Wenn der nicht gewesen wäre, lägen wir in diesem Moment zusammen in einem richtigen Bett. Egal ob in Rapid City oder in Hamburg. Hätte ich doch nur vernünftiger gehandelt! Schnaufend drehte ich mich um und schloss die Augen. Wenn ich Glück hatte, schlief ich zwei weitere Stunden.
Ich hielt mich wieder in den schwarzen Bergen auf. Mein Hengst lief zielsicher auf die Stelle zu, wo ich ihn erbeutet hatte. Annas helles Lachen erklang. Sie war hier. Mein Herz hüpfte vor Freude. Ich trieb das Pferd an, um schneller bei ihr zu sein. Überrascht zügelte ich mein Reittier. Anna streichelte eine zutrauliche Krähe über das rabenschwarze Gefieder. Der Vogel machte keine Anstalten wegzufliegen, sondern saß entspannt auf ihrem Knie.
„Ist er nicht wunderschön?", rief sie mir zu, als sie mich entdeckte. „Er hat versprochen, mich nach Hause zu bringen." Sie lachte wieder. Ihre Augen funkelten dabei mit den Sonnenstrahlen, die auf den leise glucksenden Bach fielen, um die Wette. Ihre Haare trug sie offen und so wehten sie von der sanften Brise getragen im Wind. Eine Feder steckte darin, so wie auf dem Bild, das ich für sie gezeichnet hatte. Damals, in Rapid City.
„Nach Hause? Ich bin gekommen, um dich nach Hause zu holen." Ich streckte den Arm nach ihr aus, Sie schüttelte vehement den Kopf, so dass ihre Haare wild umherflogen. Ich ritt näher heran, versuchte sie auf meinen Hengst zu zerren. Doch sie löste sich abrupt in Luft auf. Ein Phantom, das mich quälte. Die Krähe dagegen legte ihren Kopf schief und starrte mich aus ihren tiefschwarzen Augen fast schon menschlich an. Ein Schauer lief mir über den Rücken.
„Du bist ein Narr", hallte es in meinem Kopf wider. Dann breitete die Krähe ihre Flügel aus, die in der Sonne blauschwarz glänzten, hob sich in die Lüfte und flog Richtung Höhle.
Erneut hörte ich Annas unbekümmertes Lachen. Energisch trieb ich das Pferd an, alles drängte mich zu ihr. Sie gehörte doch zu mir. Ohne sie war ich nur eine leblose Hülle. Essen schmeckte nicht. Schlafen war eine Qual. Es war kein Leben ohne diese wundervolle Frau an meiner Seite.
Ich erreichte die Höhle, durch die wir gekommen waren. Sie lag ein wenig oberhalb des Pfads, daher stieg ich ab und band den Hengst an. Flink erklomm ich den Weg, bis ich kurz vor dem Höhleneingang stoppte. Anna stand dort, die Krähe auf ihrer Schulter sitzend. Sie lächelte mich an, dann winkte sie mir kurz zu, bevor sie sich umdrehte und in die Höhle lief. Die Krähe dagegen hatte sich umgedreht und starrte mich, solange es ihr möglich war, an. Meine Beine verweigerten den Gehorsam, so blieb ich an Ort und Stelle stehen. Ich öffnete den Mund, um Anna zu rufen, sie anzuflehen, zu mir zurückzukehren. Doch kein Ton kam über meine Lippen.
„Zu spät du Narr. Du bist zu spät gekommen", krächzte die Krähe, bevor sie in ein grauenhaftes Gelächter ausbrach, das schaurig von den Höhlenwänden widerhallte. Weinend sank ich auf die Knie, nicht in der Lage, meiner großen Liebe zu folgen. Sie war weg. Für immer fort.
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Ein Jahr in Rapid City
Historical FictionAnna und Steffi, zwei Freundinnen von Kindesbeinen an, wechseln für ein Jahr an eine amerikanische Highschool. Dort läuft allerdings nicht alles so glatt, wie sie es sich vorgestellt hatten. Dabei wird ihre Freundschaft mehr als einmal auf die Probe...