Die Nacht verlief ohne Zwischenfälle. Etwas kühl, da wir weder Zelt noch keine Decken besaßen. Zum Ausgleich hatten wir eng aneinander gekuschelt geschlafen. Zum Frühstück hatte es einen Streifen Trockenfleisch gegeben, das Takoda mitgebracht hatte. Es hatte mich nicht sonderlich erstaunt, dass er sich so umfangreich vorbereitet hatte. Für den Besuch im Rez hatte er ebenfalls alles genauestens geplant.
Nun waren wir vielleicht eine Stunde unterwegs. So genau konnte ich es nicht sagen, da ich dank dem indianischen Blödmann keine Uhr mehr besaß. Ich hatte nur die Sachen, die ich von ihm bekommen hatte. Nichts Eigenes. Die Kleidung, das Messer, das Lederband in meinen Haaren und das Armband. Alles war indianisch und passte zu einem Leben, das seit Ewigkeiten vorbei war. Leise grummelte ich in mich hinein. Wieso akzeptierte ich immer alles so anstandslos? Warum setzte ich mich nicht zur Wehr? Gehorsam meinerseits bis zum bitteren Ende. Erst von Steffi, nun von Takoda. Ich stieß geräuschvoll meinen Atem aus, schielte dabei zu dem Lakota. Ich nahm es ihm nach wie vor nicht ab, dass wir uns in der Vergangenheit aufhielten. Das war völliger Blödsinn. Irgendwann liefen uns mit Sicherheit Menschen über den Weg. Ich war immer davon ausgegangen, dass die Black Hills bei Wanderern beliebt waren. Aber weder gestern noch heute hatte ich etwas anderes gesehen als Natur pur.
Wir folgten dem Bachlauf, da wir keine Behältnisse für Wasser mit uns trugen. Laut Takoda, weil er nicht an das richtige Material herangekommen war und hier in der Gegend eh reichlich Wasserstellen existierten. Der Bach floss gemächlich vor sich hin. Das leise Plätschern des glasklaren Wassers lullte mich ein und ich zwang mich dazu, nicht einem Tagtraum nachzugeben. Schon allein, weil vereinzelt Sonnenstrahlen auf den Bach fielen und er dadurch einer funkelnden Schlange glich. Daher richtete ich die Aufmerksamkeit meist auf meinen Begleiter, der wenige Schritte vor mir lief. Immer wieder hielt er inne, um zu lauschen, und ich tat es ihm gleich. Dieses Mal hörte ich ebenfalls ein Geräusch, dass nicht zu den typischen Waldgeräuschen gehörte. Pferdegewieher. Nach dem, was ich als junges Mädchen gelesen hatte, hielten sich Wildpferde bevorzugt auf großen weiten Flächen auf. Schon allein deswegen, weil sie Fluchttiere waren und sie mögliche Feinde schnell erkennen mussten. Die amerikanischen Wildpferde, die Mustangs, stammten oftmals von Arabern und Berbern ab. Zwei der Pferderassen, die von den spanischen Konquistadoren eingeschleppt worden waren. Mal waren Pferde ausgebrochen, dann wieder durch Indianer gestohlen worden. Die Tiere, die die Freiheit erlangten, hatten sich den Verhältnissen angepasst. Die Mustangs waren klein, zäh und kompakt. Ihre Widerstandsfähigkeit und Anspruchslosigkeit hatte sie bei den Indianern Nordamerikas beliebt gemacht. Durch sie hatten sie ihre Jagdgründe erweitern und ihr Hab und Gut müheloser transportieren können. Allerdings sagte mir mein Bauchgefühl, dass wir nun nicht einer wilden Herde begegnen würden. Um genau zu sein, verriet mir das ein Blick auf den nackten, aber verspannten Rücken des Kriegers vor mir. Er bedeutete mir mit einer Handbewegung, leise zu sein. Verstehend nickte ich ihm zu. Seine dunklen besorgten Augen wandten sich wieder nach vorne, zum Geräusch. Seinen Bogen und einen Pfeil hielt er mittlerweile in der Hand. Lautlos schlich er weiter. Da mir das Schleichen weitaus weniger lag als ihm, folgte ich in einigem Abstand. An einer Biegung blieben wir stehen. Bärtige Männer, die sich in einer fremden Sprache unterhielten. Sie standen nur ein kurzes Stück von uns entfernt. Es waren zwei an der Zahl mit vier Pferden, die sie an Bäumen festgebunden hatten, während sie selbst über einen kleinen Gegenstand in der Hand eines von ihnen diskutierten.
Die Männer, der Sprache nach Spanier, trugen dunkle Hemden und schwarze Hosen, an denen mir vor allem die großen silbernen Knöpfe entlang der Außennaht auffielen. Diese waren nicht ganz bis nach unten geknöpft, so dass ich ihre kunstvoll verzierten Stiefel sah. Statt einem Cowboyhut trugen sie Sombreros. Nicht diese Strohteile, sondern sorgfältig hergestellte aus Leder.
Die Sättel der zwei Reitpferde sahen nicht aus wie die typischen Westernsättel. Sie waren definitiv kleiner. Auch waren die Lederlappen, die über den Steigbügelriemen hingen, fast kreisförmig. Alles in allem sahen die Sättel eher europäisch aus, obwohl sie im Gegensatz zu ihnen einen Sattelknauf besaßen. Sowohl die Männer als auch die Westernsättel sahen nicht so aus, als ob sie aus dem einundzwanzigsten Jahrhundert stammten. Ein Dämpfer für meine Hoffnung, dass Takoda sich nur einen Spaß mit mir erlaubt hatte. Waren wir doch in die Vergangenheit gereist? Egal, im Moment gab es Wichtigeres. Ich setzte meine Beobachtungen fort.
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Ein Jahr in Rapid City
Ficción históricaAnna und Steffi, zwei Freundinnen von Kindesbeinen an, wechseln für ein Jahr an eine amerikanische Highschool. Dort läuft allerdings nicht alles so glatt, wie sie es sich vorgestellt hatten. Dabei wird ihre Freundschaft mehr als einmal auf die Probe...