PoV Takoda
Früh am nächsten Morgen wachte ich auf, obwohl wir bis spät in die Nacht gefeiert hatten. Durch einen Zufall war ein Gespräch über die blonde Frau in Gang gekommen. Dabei hatte ich in Erfahrung, dass sie tatsächlich bei einem Überfall auf ein Dorf der Crow gefangen genommen worden war. Nun lebte sie als die Drittfrau eines erfahrenen älteren Kriegers in seinem Tipi. Seine beiden indianischen Frauen scheuchten die Weiße umher. Ich empfand Mitleid für sie, doch im Moment konnte ich ihre Situation nicht ändern. Der Mann hatte sie, obwohl sie ihn hasste und sich nicht in den Stamm integrierte, keinem anderen Cheyenne überlassen wollen. Dennoch wollte ich vor unserer Abreise mit ihm reden, um sie mitzunehmen. Doch das hatte keine Priorität.
Ich dachte an den Grund, warum ich viel zu früh aufgewacht war. Die nervige Krähe war mal wieder in meinen Träumen aufgetaucht. Wie damals, bevor ich Anna wiederfand, hatte der Rabenvogel mich verspottet.
Die schwarzen Vögel galten in meiner Kultur als Vorboten des Glücks. Auch war eine unserer Kriegergesellschaften nach ihnen benannt. Die Krieger, die ihr angehörten, gehörten zu den Tapfersten. Wie die Krähe, die sich als Erstes auf Tote stürzte, zogen sie zuerst in den Kampf. Ebenso oblag es ihnen, ein geeignetes Winterlager zu suchen. Doch warum dieser Vogel mich soeben als blindes Huhn bezeichnet hatte, brauchte ich nicht zu verstehen. Trotzdem grübelte ich über die Worte nach. Womöglich, weil sie mich das letzte Mal zu Anna gebracht hatten. Obwohl ich laut der Krähe zu spät kam. Sie hatte mir eine mögliche Zukunft gezeigt.
Blindes Huhn. Also übersah ich etwas oder sollte die Augen offen behalten. Ich atmete tief durch und lauschte in die Stille hinein. Der Himmel erhellte sich schon, wie mir ein Blick zum Rauchabzug bestätigte. Mit Jake hatte ich immer gelästert, dass es Morgengrauen hieß, weil es uns davor graute, am Morgen aufzustehen. Aber alle Blödeleien beiseite. Es war still im Dorf. Keine Vögel, die den bevorstehenden Tag begrüßten. Womöglich war es zu früh und legte ich mich lieber erneut schlafen, bevor ich wie ein Idiot zwischen den Zelten herumschlich, auf der Suche nach einem möglichen Hinterhalt. Die Cheyenne waren nicht so doof, keine Wachen aufzustellen. Schon gar nicht, wenn am Vortag zwei Fremde ins Dorf gekommen waren.
Neben mir schreckte Otaktay hoch. Wir hatten beide im Zelt des Medizinmannes übernachtet, obwohl mein Freund fast schon eindeutige Angebote von einer jungen Witwe erhalten hatte.
„Hat dich dein Totemtier ebenfalls geweckt?", raunte er mir zu, während er nach seinen Sachen griff und sich ankleidete. Moment. Totemtier? Ausgerechnet die dämliche Krähe? Womit hatte ich das verdient? Seufzend zog ich mir Kleidung über und packte meine Waffen. Leise schlichen wir aus dem Zelt, vor dem wir unsere Pferde angebunden hatten. Sie hoben müde die Köpfe und starrten uns an.
Einige Tipis weiter tauchte der Kopf von Kleiner Wolf auf. Er trat an die frische Luft, seine Kiefermuskeln spannten sich. Obwohl er uns auch während der Feier überdeutlich gezeigt hatte, dass er uns verabscheute, uns nicht vertraute, sparte er sich jetzt jegliche Provokation. Ein deutlicheres Zeichen, dass etwas nicht stimmte, benötigte ich nicht. Hatte der blöde schwarze Vogel doch Recht. Zwei weitere junge Krieger gesellten sich zu uns. Sie sahen sich ebenfalls suchend um, scannten mit Blicken jedes Gestrüpp und das hohe Gras um das Dorf herum ab. Otaktay und ich liefen in nördlicher Richtung. Wir suchten Deckung bei der letzten Behausung.
Wer lauerte in der Dunkelheit? Mit welchem Stamm hatten wir die Ehre? War es unser Volk, dann konnten wir mit etwas Glück den Kampf abwenden. Doch das nagende Gefühl in meinem Bauch sagte mir, dass es eher Crow oder Pawnee waren. Zwei Stämme, die sowohl wir als auch die Cheyenne verabscheuten. Ich griff den Stil der Streitaxt noch fester. Mein Blick wanderte zurück zu den Zelten, in denen Frauen, Kinder und Alte schliefen. Egal wer dieses Volk bedrohte und ihnen nach dem Leben trachtete, ich würde diese Menschen wie meine eigenen Leute verteidigen.
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Ein Jahr in Rapid City
Ficción históricaAnna und Steffi, zwei Freundinnen von Kindesbeinen an, wechseln für ein Jahr an eine amerikanische Highschool. Dort läuft allerdings nicht alles so glatt, wie sie es sich vorgestellt hatten. Dabei wird ihre Freundschaft mehr als einmal auf die Probe...