Der Angriff der Kiowa steckte mir noch in den Knochen, obwohl er bereits einige Tage her war. Abgesehen davon hatte ich von meinem Versteck aus nicht wirklich etwas mitbekommen. Im Gegensatz zu den anderen hatte ich nicht mitten im Kampfgetümmel gestanden oder feindlichen Kriegern ausweichen müssen. Dennoch plagten mich nachts Träume, in denen entweder ich verschleppt oder Takoda vor meinen Augen getötet wurde. Mehrfach war ich aus diesen Alpträumen hochgeschreckt und hatte mich an meinen Mann geklammert.
Dennoch hatten die Lakota Glück im Unglück, wenn man überhaupt von Glück reden konnte. Niemand war entführt worden, doch wir hatten zwei Tote zu beklagen. Ein älteres Ehepaar, das sich zusammen gegen die Angreifer gestellt hatte, um einigen Kindern und ihren Müttern die Flucht zu ermöglichen. Der Mann hatte einen Pfeil nach dem anderen abgefeuert und jeder hatte sein Ziel erreicht, bis ein Kiowa ihm mit dem Kriegsbeil den Schädel gespalten hatte. Seine Frau hatte mit ihrem Beil daraufhin den Krieger schwer verwundet, bevor sie von einem feindlichen Pfeil tödlich getroffen zu Boden sackte. Nachdenklich schaute ich auf die Totengerüste der beiden Gefallenen. An dem des alten Lakotakriegers hingen seine Waffen. Ihr hatte man ihre Kochutensilien mitgegeben. So konnte er in den ewigen Jagdgründen jagen und sie seine Beute für beide kochen. Früher hätte ich mich darüber aufgeregt, zumindest innerlich, dass sowas sexistisch wäre. Doch hier empfand ich es als süße Geste. Um nichts in der Welt wollte ich mit Takoda tauschen und auf die Jagd gehen. Stundenlang oder Tage hinter Wild her zu hetzen, nur um dann womöglich mit leeren Händen zurückzukehren, das stellte ich mir furchtbar vor.
Wie mein Leben wohl verlaufen würde, wenn ich keine Beziehung mit Takoda angefangen, sondern zurück nach Deutschland gegangen wäre? Kurz sah ich mich zum Dorf um, dann setzte ich mich auf einen umgestürzten Baum am Waldrand. Der Häuptling hatte noch nicht entschieden, ob wir heute oder erst morgen aufbrechen sollten. Abgesehen davon war es früh am Tag. Daher hatte ich etwas Zeit für mich. Mein Sohn war in der Obhut meiner Schwiegermutter, die ihn mir fast schon verzweifelt abgenommen hatte. Prima, das war eine Übertreibung. Doch hatte nicht viel gefehlt und sie hätte ihn mir aus den Armen gerissen.
Laut Takoda war ich eine so fürsorgliche Mutter, dass ich mein Kind kaum hergab. Etwas, das Stilles Wasser frustrierte, weil sie sich gern um ihren Enkel kümmerte. Daher hatte ich ihn jetzt in ihrer Obhut zurückgelassen. Unter anderem, weil ich die Sprache nach wie vor nicht zu einhundert Prozent beherrschte und das womöglich nie lernen würde. Schon die Aussprache und die feinen Nuancen trieben mich regelmäßig zur Verzweiflung. Hinzu kam, dass ich kaum Geschichten und Lieder des Volkes kannte. Takoda konnte unserem Sohn nicht alles allein beibringen. Ich seufzte leise.
Wofür war ich nochmal hergekommen? Ach ja, ich wollte mal darüber nachdenken, was passiert wäre, wenn ich jetzt wieder in Hamburg wohnte. Als Erstes hätte ich die Schule beendet. Dank der nun ausgezeichneten Englischkenntnisse hätte dem BWL-Studium nichts im Wege gestanden. Mein Selbstvertrauen wäre weiterhin im Arsch gewesen, also hätte ich brav auf meinem Studentenzimmer oder zuhause gelernt, statt auf Partys zu gehen und mit Jungs rumzumachen. Zur großen Freude meiner Mutter.
Mama. Sie hatte mich nie gewollt. Ich war ein Unfall, wie sie es mir mal so schön mitgeteilt hatte. Ungeplant, ungewollt. Nur dazu da, ihren Traum einer erfolgreichen Managerin zu verwirklichen. Das war ich ihr laut ihrer Aussage schuldig, denn ich hatte ihr Leben ruiniert. In Gedanken ging ich das Gespräch durch. Es war in etwa zwei Jahre her, dass sie mir ihre Meinung ins Gesicht gesagt hatte. Wenn ich mich recht entsann, hatte eine Nachbarin zuvor freudestrahlend von ihrer Schwangerschaft berichtet. Meine Mutter hatte nur die Nase gerümpft und mir danach bei einem Gespräch unter vier Augen ans Herz gelegt, nicht so dumm zu sein und mir ein Kind anzulachen.
So abwertend, wie Mama immer über Hausfrauen und Mütter gesprochen hatte und wie viel Arbeit Babys verursachten, wäre ich nicht mal im Traum auf die Idee gekommen, schwanger zu werden. Da wäre ich eher als alte Jungfer mit einem Haufen Katzen geendet. Ich grinste bei dem Gedanken. Dann fiel mir Takodas Versprechen ein, bevor wir mit dem Bus zur Höhle fuhren. Er hatte mit nach Deutschland kommen wollen. Ich überlegte, wie das abgelaufen wäre.
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Ein Jahr in Rapid City
Historical FictionAnna und Steffi, zwei Freundinnen von Kindesbeinen an, wechseln für ein Jahr an eine amerikanische Highschool. Dort läuft allerdings nicht alles so glatt, wie sie es sich vorgestellt hatten. Dabei wird ihre Freundschaft mehr als einmal auf die Probe...