Kap. 4

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Montag, 07. Dezember 2020

"Jimin, ich muss zur Arbeit, okay? Ich brauche das Geld."

Nachdem Jimin mich nach Hause gefahren hatte, verbrachten wir den Tag zusammen, redeten, sahen Filme und kuschelten auf dem Sofa. Jetzt wurde es aber langsam Zeit, mich für meinen Job in einem Café in der Innenstadt herzurichten, den ich angenommen hatte, nachdem Taehyung gegangen war. Ich hatte das Geld bitter nötig, seitdem mein Bruder nicht mehr auf illegale Weise für unseren Lebensunterhalt sorgte. Es war auch nicht das erste Mal, dass Jimin und ich uns deswegen stritten. Er war der Meinung, dass ich einen meiner zwei Jobs kündigen sollte, weil ich deswegen ständig übermüdet war, vor allem, wenn ich bis spät in die Nacht Überstunden in dem Nachtklub machte, in dem ich als Kellnerin arbeitete. Er hatte schon mehr als einmal angeboten, mich finanziell zu unterstützen, doch er verstand nicht, in was für eine Lage er mich dadurch brachte. Die Schlagzeilen, ich sei eine geldgierige kleine Bitch, hatten sich in meinem Gehirn eingebrannt und machten es mir unmöglich, auch nur einen Cent von meinem viel wohlhabenderen Freund anzunehmen.

"Du solltest dich aber ausruhen. Du kannst nicht jetzt eine Schicht im Café machen und dann auch noch eine Doppelschicht im Nachtklub. Wann würdest du überhaupt nach Hause kommen? Morgens um eins?", fragte Jimin aufgebracht und lief unruhig im Wohnzimmer hin und her.

Ich biss mir schuldbewusst auf die Zunge, um ihm nicht zu gestehen, dass es eher drei werden würde. Er verstand den Ernst der Lage nicht, wenn man gerade einmal genug Geld verdiente, um zu leben. Natürlich würde mir mein Chef mein Gehalt für diesen Monat nicht streichen, nur weil ich mich für einen Tag krank gemeldet hatte, aber ich bekam immer ziemlich viel Trinkgeld und das war ein wichtiger Teil meiner Einnahmen.

"Jimin, bitte, versteh doch, ich muss das tun.", versuchte ich es jetzt flehend. Ich wollte mich ungern mit ihm streiten, würde aber auf jeden Fall nicht nachgeben, wenn es darum ging, woher ich mein Geld bekam. Das war in keinster Weise verhandelbar.

"Ich verstehe nicht, wieso du mich dir nicht helfen lässt. Nenne mir einfach den Betrag, den du heute verlieren würdest, wenn du nicht arbeiten gehst, und ich gebe dir das Geld.", verlangte Jimin. Der entschlossene Ausdruck in seinen Augen war fast schon schmerzhaft, so heftig ging er mir unter die Haut. Für einen kurzen Moment erlaubte ich mir, mir vorzustellen, wie ich bei der Arbeit anrief und mich krank meldete, wie ich trotzdem das Geld bekam und dafür ein paar entspannte Stunden mit Jimin zu Hause verbrachte. Doch im nächsten Moment sah ich schon die neuen scheußlichen Schlagzeilen vor mir, die mich sofort in die Wirklichkeit zurückholten.

"Ich...ich kann nicht, Jimin. Bitte, es...es geht einfach nicht."

Ich zuckte bei der Enttäuschung und Resignation in Jimins Augen fast zusammen, wusste aber, dass es mein Triumph bedeutete.

"Tut mir wirklich leid.", flüsterte ich bedauernd und drückte Jimin einen Kuss auf die Wange, bevor ich die hohen Stiefel vom Morgen wieder überzog. Ich hatte mich seit der Schule nicht umgezogen und jetzt entschieden, dass das lockere Kleid auch für die Arbeit mehr als gut passen würde. Auch im Café war ich in den letzten Monaten in eher bequemen und praktischen als sonderlich modischen Outfits erschienen. Glücklicherweise hatte sich dort niemand darüber beschwert, auch wenn sicherlich viele der Studenten und Schüler, die dort tagtäglich erschienen, mir komische Blicke zugeworfen hatten, wenn ich nicht hingesehen hatte.

Ich lief in den Flur, wo meine schwarze Handtasche schon auf mich wartete und schlüpfte in meinen Mantel. Meine Haare hatte ich nur nachlässig zu einem hohen Pferdeschwanz gebunden, nachdem Woo Yeon meine Frisur zerstört hatte. Naja, genau genommen hatte ich ja mit der Schlägerei angefangen, doch diese kleine Tatsache ignorierte ich gekonnt. Im Spiegel erhaschte ich einen kurzen Blick auf mein Gesicht. Der Schnitt an meiner Augenbraue hatte am schlimmsten geblutet, war aber von allen Wunden am unauffälligsten. Mein Auge war immer noch leicht geschwollen und blau verfärbt, genau wie meine gesamte Wange. Meine Unterlippe war auch voller als sonst, leider nur auf der Seite, an der sie aufgeplatzt war, sodass mein Gesicht merkwürdig asymmetrisch wirkte. Von einer Seite sah ich normal aus, unversehrt, von der anderen Seite, wie von einem Laster überfahren.

My best friend's sister - m.yg.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt