Kap. 42

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Dienstag, 27. Juli 2021

Die Tage vergingen und einer war wie der andere. Sie verschwammen ineinander, ein monotones Gewirr aus Veranstaltungen, Arbeit und endlose Stunden in Milans Wohnung. Er ließ mich nie alleine, war ständig da und beobachtete, ob ich seine Anforderungen erfüllte. Es war so anstrengend, mich immer wieder beweisen zu müssen, in der ständigen Angst zu leben, dass er von heute auf morgen entschloss, dass unser Deal nichtig war.

Irgendwann war ich kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Nachdem ich mir den ganzen Vormittag Ketten für meinen Abschlussball hatte ansehen müssen, wobei wirklich eine exakt wie die andere aussah, nutzte ich die Gelegenheit, dass Milan im Klub unabdinglich war, und entschuldigte mich mit der Ausrede, dass ich noch einige Dinge von Zuhause brauchte. Ohnehin war ich schon länger nicht im Haus gewesen, sodass es sicherlich nicht schadete, wenn ich nach dem Rechten sah.

Jo ließ mich an der Einfahrt raus und versicherte mir, er wäre in einer Stunde wieder da, um mich und meine Sachen abzuholen. Erleichtert eilte ich zur Haustür und steckte den Schlüssel ins Schloss, um aufzuschließen. Zu meiner Überraschung sprang die Tür sofort auf. Verwirrt zog ich die Augenbrauen zusammen, ich hätte schwören können, dass ich das letzte Mal abgeschlossen hatte.

Zögerlich trat ich über die Schwelle, eine Hand in der Jackentasche vergraben, in der ich neuerdings ein kleines Pfefferspray bei mir führte. Seit dem Vorfall mit Tan war ich übervorsichtig, erwartete jeden Moment einen weiteren Angriff. Kurz war ich versucht, Jo anzurufen und ihn zu bitten, das Haus zu überprüfen, aber es würde sich zu sehr anfühlen, als würde ich überreagieren. Und ich wollte Milan keinen Grund geben, mich aufgrund meiner Paranoia noch sorgfältiger zu überwachen.

Leise zog ich die Tür hinter mir zu und wagte mich weiter in den Flur. Da ertönte ein Scheppern aus der Küche, dann ein unterdrückter Fluch. Ich zuckte zusammen. Das konnte ich mir nun wirklich nicht eingebildet haben.

Ich zückte das Pfefferspray und schlich auf die Geräusche zu. So unauffällig wie möglich spähte ich in den Raum und entdeckte eine Gestalt, die sich über die Spüle beugte. Die Rollladen waren halb heruntergelassen worden, sodass ich im Dämmerlicht nicht viel erkennen konnte.

Da drehte sich der Mann um. Schnell wich ich zurück, presste mich neben der Tür gegen die Wand. Unwillkürlich hielt ich den Atem an und betete, dass ich nicht gesehen worden war. Doch Schritte näherten sich dem Türrahmen, ein einschüchternder Schatten erschien neben mir auf dem Boden. Jetzt hieß es entweder angreifen oder rennen und ich hatte es satt, ständig in Angst zu leben und vor allem wegzurennen.

Mit einem wie ich hoffte furchteinflößenden Schrei sprang ich dem Eindringling in den Weg und hob das Pfefferspray. Mein Gegenüber wich erschrocken zurück und stieß gegen mit der Hüfte gegen den Tisch. Er fluchte erneut unterdrückt und da erkannte ich endlich seine Stimme.

"Tae? Was zum Teufel machst du hier?!", ich konnte nicht glauben, dass er wirklich vor mir stand. War er wirklich um die halbe Welt geflogen, ohne mir davon zu erzählen?

"Hope?", er blickte mich überrascht an, dann sackten seine Schultern erleichtert nach unten. "Gott, ich dachte, du wärst..."

"Wieso hast du mir nicht gesagt, dass du hier bist?", unterbrach ich ihn, das Zittern in meiner Stimme verriet, wie aufgewühlt ich war.

Er zuckte zusammen, sein Gesicht nahm einen schuldbewussten Ausdruck an.

"Wir...ich habe Mist gebaut, Hope.", er fuhr sich mit einer Hand über das Gesicht und sah auf einmal unendlich müde aus. Erst jetzt fielen mir die dunklen Augenringe und die Blässe seiner Haut aus, als hätte er seit Wochen nicht mehr richtig geschlafen. "Niemand weiß, dass wir zurückgeflogen sind."

My best friend's sister - m.yg.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt