Kap. 19

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Donnerstag, 24. Dezember 2020

Bis ich es endlich aus Milans Wohnung schaffte, wurde es draußen schon langsam dunkel. Mit eingezogenem Kopf eilte ich die kurze Strecke vom Hintereingang bis zum Wagen, den Milan herbestellt hatte. Der Fahrer hielt mir bereits die Tür offen, sodass ich es auf die Hinterbank schaffte, ohne Aufsehen zu erregen. Völlig geschafft ließ ich mich in den gemütlichen Sitz sinken und schloss die Augen. Hätte ich noch eine Stunde länger in dieser Wohnung bleiben müssen, wäre ich vermutlich komplett durchgedreht. Milan war wieder zu seinem ekelhaft arroganten und herrschsüchtigen Selbst zurückgekehrt und hatte nichts Besseres zu tun gehabt, als jeden meiner Schritte und Bewegungen mit Argusaugen zu beobachten.

Ich seufzte schwer und spürte, wie sich das Auto in Bewegung setzte. Nur allmählich kam ich zur Ruhe und entspannte bewusst meine Muskeln. Bald würde ich Serephina wieder sehen, daran musste ich denken. Und dann realisierte ich, was das bedeutete: ich würde nicht nur meine beste Freundin sehen, sondern ihre gesamte Familie. Und das bedeutete: Jimin.

Sofort flogen meine Augen auf und meine Muskeln verspannten sich erneut. Seit dem schrecklichen Streit hatte ich doch nicht mehr mit ihm geredet. Ich wusste gar nicht, wie er reagieren würde, wenn ich auf einmal vor seiner Haustür stand, wie ich reagieren würde. Und was hatte er Taehyung gesagt? Was wussten seine Eltern? Schließlich war ich jetzt schon länger nicht mehr beim Essen dort gewesen. Ich hatte auch noch ein Kleid an, das nicht mir gehörte, und sah vermutlich völlig übernächtigt aus. Fieberhaft überlegte ich, wie ich wenigstens dieses Problem beheben konnte. Zu mir nach Hause konnte ich wohl nicht ohne Weiteres, aber ich kannte jemand anderen, der mir vielleicht Kleidung und ein wenig Make-up borgen könnte. Ich griff zu meinem Handy und tätigte kurzerhand den nötigen Anruf. Irgendwie würde ich auch das hier hinbekommen.

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Eine halbe Stunde später parkte der Wagen vor einem älteren Hochhaus. Es sah gepflegt aus, aber natürlich bei Weitem nicht vergleichbar mit den Gebäuden in Milans oder Yoongis Viertel. Nachdem ich dem Fahrer einen Spezialauftrag gegeben hatte, stieg ich aus und fröstelte sofort in der kalten Nachtluft. Über einen schmalen gepflasterten Weg erreichte ich die Eingangstür und suchte auf den vielen Klingeln den richtigen Namen raus. Wenig später surrte die Tür und ich konnte das Treppenhaus betreten. Es war kühl und die Neonröhren spendeten nur genug Licht, um die Stufen ausmachen zu können. Einen Aufzug entdeckte ich nicht, obwohl das Gebäude mindestens zehn Stockwerke haben musste. Zögerlich machte ich mich also auf den Weg nach oben. Schon im zweiten Stock schmerzten meine Füße in den hohen Schuhen. Ich hatte keine andere Wahl gehabt, als die Pumps vom Ball noch einmal anzuziehen. Milan hatte natürlich keine Frauenschuhe bei sich zu Hause rumliegen gehabt. Resigniert warf ich einen Blick nach oben und erkannte im künstlichen Licht die vielen weiteren Treppen. Ich hoffte inständig, dass ich nicht bis nach ganz oben würde laufen müssen.

"Hope, hier bin ich.", ertönte eine leise Stimme, als ich gerade den dritten Stock erreicht hatte. Sofort erkannte ich die offene Tür, aus der warmes Licht auf den Flur schien. Eine zierliche Gestalt stand auf der Willkommensmatte in der Wohnung und winkte mich mit einem Lächeln zu sich.

"June, Gott sei Dank! Ich hatte schon Angst, ich müsste noch weiter hoch.", erwiderte ich genauso leise und legte schnell die wenigen Meter zwischen uns zurück, um meine Freundin in die Arme zu schließen. Erleichtert folgte ich ihr in die warme Wohnung und zog die Schuhe aus, während sie die Wohnungstür schloss.

"Meine Eltern sind nicht da, ich bin alleine zu Hause. Komm, ich zeige dir mein Zimmer. Willst du etwas trinken?"

Lächelnd lehnte ich ab und folgte June durch das kleine Apartment. Hinter einer der weißen Türen kam ein winziges Zimmer zum Vorschein, dass offensichtlich so heimelig wie möglich eingerichtet worden war. Ein flauschiger weiß-lila Teppich verschwand zur Hälfte unter einem weißen Bett mit lila Bettwäsche. Eine der vier Wände war schwarz und die anderen weiß gestrichen. Ein großes Fenster ließ wohl tagsüber viel Licht rein, doch jetzt erhellten drei in die Decke eingelassenen Lampen den Raum. June schaltete auch schnell noch die zwei Lampen auf den Nachttischkommoden ein und blieb dann unschlüssig neben ihrem Bett stehen, während ich mich umsah. Vor dem Fenster stand ein winziger weißer Schreibtisch mit dazu passendem Stuhl. Der Sperrbildschirm ihres Laptops zeigte die Skyline einer Stadt. Neben dem Bett hing ein Mobile aus lila Glasscherben, die das Licht reflektierten.

My best friend's sister - m.yg.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt