Kap. 1

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Sonntag, 06. Dezember 2020

Seufzend legte ich den Stift aus der Hand und streckte die Arme über den Kopf. In der letzten Stunde hatte ich durchgehend geschrieben, um meinen Aufsatz für Kunst fertigzustellen, der zufälligerweise morgen fällig war. Jetzt schwirrte mir der Kopf von zu vielen Informationen über die ägyptische Kunst der Antike.

Ich warf einen kurzen Blick auf die Uhr und war überrascht, dass sie erst halb fünf anzeigte. Dafür, dass es erst so früh war, fühlte ich mich viel zu müde, doch das ging schon seit Wochen so. Schnell lenkte ich meine Gedanken in eine andere Richtung, um nicht über das letzte Jahr nachzudenken. Zu schmerzhaft waren die Erinnerungen, zu viel war passiert, mit dem ich noch nicht abschließen konnte.

Ich wollte gerade aufstehen und mir etwas zu essen holen, als mein Handy klingelte. Sofort griff ich danach und registrierte glücklich den Anrufer. Endlich meldete er sich wieder!

"Es wurde aber auch Zeit!", rief ich sofort gespielt anklagend und stand von meinem Bürostuhl auf, um wie üblich beim Telefonieren durch das Zimmer zu laufen. Bewegung würde mir ohnehin gut tun, nachdem ich so lange nur gesessen war.

"Du weißt, dass ich nicht viel Freizeit habe. Außerdem ist die Zeitverschiebung schon ziemlich groß."

Ich musste grinsen, als ich den rechtfertigenden Ton in seiner Stimme hörte und warf noch einmal einen Blick auf die Uhr. Sofort verschwand mein Lächeln und wich einem geschockten Gesichtsausdruck.

"Du willst mir nicht sagen, dass du mich gerade um 3 Uhr morgens angerufen hast!", rief ich völlig außer mir und widerstand dem Drang, meinen Kopf gegen die Wand zu schlagen.

Am anderen Ende der Leitung war es kurz still.

"Vielleicht?", kam es dann schließlich zögerlich.

"Gott, du bist so ein Idiot!"

Ich hörte sein Lachen durch das Telefon. Ein Stich der Sehnsucht durchfuhr mich. Wie viel hätte ich nur dafür gegeben, jetzt bei ihm zu sein oder ihn hier bei mir zu Hause zu haben.

"Aber ein Idiot, der gerade einen Flug zu dir gebucht hat."

Für einen kurzen Moment realisierte ich nicht, was er gesagt hatte.

"Warte mal, was?! Du kommst nach Hause?", schrie ich aufgeregt und hüpfte ein paar Mal auf und ab, wohlwissend, dass mich sowieso niemand sehen konnte.

"Ja, nächstes Wochenende. Da fangen nämlich die Semesterferien an und ich habe auch auf der Arbeit frei bekommen, das heißt, wir können Weihnachten gemeinsam feiern.", schlussfolgerte er. Ich verkniff mir ein Quietschen und ließ mich auf mein Bett fallen. Dümmlich grinsend starrte ich an die weiße Decke und konnte mein Glück kaum fassen.

"Ich freue mich ja so, dich zu sehen! Ich hätte nicht gedacht, dass du es schaffst.", entgegnete ich und ging schon einmal in meinem Kopf die Checkliste für seine Ankunft durch. Dabei war ich viel zu aufgewühlt, um mich wirklich konzentrieren zu können.

"Ich will doch meine Schwester an Weihnachten nicht alleine lassen!"

Ich lachte und schüttelte ungläubig den Kopf.

"Ach Tae, du weißt ganz genau, dass ich nicht alleine gewesen wäre. Jimin kommt fast jedes Wochenende vorbei. Er hätte mich an Weihnachten wenn nötig an den Haaren zu ihnen geschleift.", augenverdrehend dachte ich an Jimins überfürsorgliche Art, die sich sofort gezeigt hatte, nachdem seine Schwester und mein Bruder zusammen in die Vereinigten Staaten geflogen waren. Er hatte niemanden gehabt, auf den er aufpassen konnte und ich hatte mich ohne Taehyung alleine und verloren gefühlt. Automatisch hatten wir zueinander gefunden und versucht, die Lücke, die entstanden war, zu füllen.

My best friend's sister - m.yg.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt