PoV Mia
Plötzlich hörte ich die Klinke der Tür quietschen und jemand bewegte sich ins Zimmer. Ich hatte inzwischen meine Kleidung einigermaßen wieder zusammengefaltet und sortierte sie gerade in meinen Koffer ein.
Sheela stand vor mir. Sie sah erst zu mir und dann auf meinen Koffer. Ich hätte mir sogar einbilden können ein kurzes Lächeln über ihre Lippen huschen zu sehen, bevor sie sich abwandte und sich in Richtung Bad bewegte.Ja, vielleicht mochte ich sie doch etwas lieber, als ich bisher dachte. Komisch, warum genau ist mir das bisher noch nie aufgefallen. Ich meine, ist das nicht irgendwie offensichtlich? - Sich einmal in jemanden zu vergucken. Schon wieder?
Nein danke, eine Beziehung wäre unmöglich mit jemanden, mit dem ich noch niemals ein Wort gewechselt habe. Und etwas anderes doch auch nicht. Ich kannte dieses Mädchen doch noch nicht einmal. Irgendwie fühlt es sich sehr komisch an: Jemanden zu mögen, ohne überhaupt zu wissen, wer diese Person nun überhaupt war.
Irgendwie bildete ich mir ein, diese Person zu kennen, obwohl ich noch nicht einmal ein einziges Wort mit ihr gewechselt hatte.Kein einziges Wort wanderte bisher über ihre Lippen. Lenya redete einmal mit ihr über sie. Damals vermutete sie ein Kindheitstrauma, der sie jegliches Vertrauen in Menschen plötzlich verlieren ließ.
Irgendwie interessierte es mich wirklich, was damals in ihrem Leben vorgefallen war.
Aber naja wir hatten noch nicht einmal über das Wetter gesprochen und ob sie mir ihre tiefsten Geheimnisse offenbaren würde, war relativ unwahrscheinlich.
Aber hätte ich die Möglichkeit, würde ich enorm gerne mit ihr sprechen. Sofort. So oft hatte ich mir schon überlegt, wie ihre Stimme nun wirklich klang.Lächelnd über diese Vorstellung faltete ich meine letzten Jogginghosen zusammen und legte sie zwischen meine Kaputzenpullover und meine Socken in den Koffer. Tatsächlich war das der ordentlichste Koffer, den ich jemals in meinem Leben gepackt hatte.
Irgendwie war ich etwas stolz darauf. Selbst wenn ich nicht allzu viel über mein späteres Leben dazugelernt, Koffer packen konnte ich inzwischen.
Den Koffer in den nächsten Abschnitt meines Lebens, vor dem ich enorm Angst hatte...
"Mia!", schrie eine aufgeregte Stimme quer durch den Gang. Sofort erkannte ich die Person, die nach mir rief. Schnell sprang ich auf und riss meine Zimmertür auf.Dort sprang mir ein kleiner Mensch direkt in meine Arme. Einige Sekunden hielt sie mich fest und sprudelte dann los, sie sei unglaublich froh, mich wiederzusehen. Irgendwie war sie inzwischen zu einem der Gründe geworden, weshalb ich noch einen Sinn bekam, auf dieser Welt zu bleiben.
Doch würde ich sie wiedersehen, wenn ich nach Hause darf? Ich wusste doch noch nicht einmal, warum dieser kleine Sonnenschein um alles in der Welt in dieser Psychatrie lebte. Beziehungsweise leben musste.Ich werde Lenya wahrscheinlich nie wieder sehen. Genau dieser Gedanke kreiste gerade in meinem Kopf. Warum genau jetzt? Einmal in meinem verdammten Leben, hatte ich jemanden gefunden, den ich wirklich mochte.
Und nun, von heute auf morgen, war es für mich Zeit zu gehen.
Vermutlich war dieses Treffen wohl unser letztes.Ich musste Lenya, genauso wie alles andere, dass mir lieb und teuer war vor Kyra schützen.
Also musste ich höchstwahrscheinlich den Kontakt zu ihr nach meiner Entlassung abbrechen. Einfach nur um sie zu schützen.
Es wäre schrecklich, wenn Kyra wüsste, dass wir etwas miteinander zu tun hätten. Sie könnte ihr auflauern, sie verletzen oder Schlimmeres.Und genau das will ich vermeiden, zumindest war so mein Plan. Während der Umarmung spürte ich eine Träne über meine Wange tropfen.
Schnell wischte ich sie weg, damit Lenya nicht sah, dass ich weinte.
Doch sie bemerkte meine Armbewegung sofort und drückte mich nochmals etwas fester an sie."Wir werden in Kontakt bleiben, Mia. Außerdem werde ich vielleicht auch irgendwann entlassen. Dann können wir uns theoretisch auch mal in der großen weiten Welt treffen.", flüsterte sie beruhigend auf mich ein.
Das war der Anlass dafür, dass immer mehr Tränen über meine Wangen rollten.
Ich hatte diese liebevolle Person einfach nicht verdient.
Ich wollte einfach so kaltherzig den Kontakt zu ihr fallen lassen. Ohne eine direkte Lösung wäre es mir fast unmöglich das zu umgehen."Mia, bitte nicht weinen.", Lenya sah mir direkt in die Augen und ich sah, dass in ihren Augen ebenfalls Tränen zu sehen waren.
"Ich komme vielleicht bald nach, Mia. Und du musst mir versprechen, dass wir vielleicht Briefe schreiben müssen. So als eine Art Brieffreundschaft?", erklärte sie mir und lächelte, während eine Träne über ihre Wange rann.
In diesem Moment brach ich völlig zusammen, ich verlor jegliche Kontrolle über meinen Körper. Tränen schossen nur so in meine Augen und ich sank auf den Boden.Ich kniete mich hin und schlug meine Arme über meinen Kopf zusammen. Lenya stand nun völlig überfordert neben mir, ich sah tausende Blicke auf mir, vom anderen Ende des Ganges schrie jemand auf und ich.
Ich saß da. Ich saß einfach nur da und wollte verschwinden.
Nein, nicht nur verschwinden, sterben.
Warum um alles in der Welt war dieses Mädchen so lieb mir gegenüber? Warum um alles in der Welt mochte sie mich so gerne? Und warum war ich so ein enorm schlimmer Mensch?"Mia? Alles gut?", hörte ich eine Stimme meinen Namen rufen. Ich sprang auf und lief. Ich sprang einfach auf und lief weg.
Weg aus diesem Gang, weg von diesen Menschen, weg von meinem Betreuer, Mitpatienten, weg von allem Menschen.
Ohne groß darüber nachzudenken stürmte ich zu der gigantischen Holztür, die mir direkt gegenüber stand.Ich riss die Tür auf und schrie. Ich schrie sie an: "Erzählen sie mir die Wahrheit! Warum werde ich jetzt schon entlassen und nicht wie geplant erst in einigen Monaten?!"
Warum sie mich hier entlassen wollte. Warum mein Leben sich nun wieder einmal dermaßen schlagartig ändern musste.
"Mia, bitte setz dich ersteinmal.", redete die etwas verwunderte Frau Grim auf mich ein.
Ich tat, wie sie es mir gesagt hatte und setzte mich auf den Ledersessel, ihr gegenüber.
"Okay, jetzt atme bitte einmal durch. Willst du mir etwas übermitteln? Hast du Angst davor, wieder zur Normalität zurückzukehren, Mia?", fragte sie mich mit ihrer für sie typischen ruhigen und gelassenen Stimme.Eigentlich war ich immernoch ziemlich perplex, ich wusste immer noch nicht wirklich, warum ich in ihr Zimmer gestürmt war.
Aber alles war mir zu viel, viel zu viel.
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When I fall apart || ABGESCHLOSSEN
Teen FictionMias Leben war noch nie wirklich leicht für sie auf dieser Welt gewesen: Aufgrund ihrer stetigen Verträumtheit, ihrer Kreativität und dem frühen Tod eines ihrer Familienmitglieder, wurde sie bereits in Kindesjahren extrem gemobbt, was dann auch Spur...