▪︎Kapitel 7▪︎ Confusion

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PoV Mia

Trotzdem sprach es noch nie eine Person vor ihr aus und ich wusste nicht, ob ich ihr für diese Reaktion dankbar sein sollte oder sie dafür lieber hassen sollte.

Relativ schnell verabschiedete sich Kyra von mir und ließ mich mehr oder weniger einfach verwirrt stehen.
Warum hat sie das gesagt? Hätte ich ihr etwa nicht von meinen Problemen erzählen sollen? Warum um alles in der Welt reagierte sie so darauf? Überforderung? Oder hatte sie wirklich großere Probleme als ich und meine seien im Vergleich lachhaft?

Sollte man überhaupt seine Probleme vergleichen? Und bestimmen welche die Größeren seien?
All diese Fragen kreisten in meinem Kopf, während ich mich wieder auf den Weg nachhause machte. Natürlich hatte ich mich doch sehr gefreut sie endlich wiedersehen zu können, aber diese Aktion bereitete mir dann doch Probleme.

Verloren in meinen Gedanken, drehte ich den Schlüssel im Schloss um und ging hinein. Meine Mutter war inzwischen zumindest wieder einigermaßen bei Sinnen im Gegensatz zu vorhin, als ich losging und begrüßte mich kurz.
Wo mein Vater wieder blieb, wusste ich nicht, wahrscheinlich fuhr er zurück ins Wirtshaus oder wo er  auch immer hin fuhr, um sich zu betrinken. Ehrlich gesagt wusste ich es nicht: Ich wusste weder was er konsumierte, noch wie viel, noch wo überhaupt.

Niedergeschlagen setzte ich mich an den Tisch. Meine Mutter fragte mich was ich gerne Essen würde, aber ich antwortete ich hätte nicht allzu großen Hunger und müsse nichts Essen. Dann verschwand ich in meinem Zimmer.
Dort angekommen überrollten mich einmal wieder meine Gefühle. Denn da ich nicht als schwach darstehen will, lasse ich es nicht zu, dass mich andere beim weinen beobachten können.

Klar war das nicht das erste Mal, dass ich all das durchleben musste und eigentlich versuchte ich die Meinung anderer nicht umbedingt mehr so ernst zu nehmen, aber trotzdem machten mir ihre Worte doch sehr zu schaffen.
"Deine Probleme würde ich gerne haben.", dieser Satz kreiste in meinen Gedanken. Bin ich etwa die, die nicht mehr mit ihrem Leben klarkommt? Die komische? Die, die eigentlich ein richtig schönes Leben hätte, aber es einfach nicht annimmt?

Nein. Nein! Das durfte nicht sein. Spielte ich mir wirklich nur vor, dass mein Leben schlimm wäre? Vielleicht würde ich ihr Recht geben, wenn ich nicht ständig im Selbstmitleid versinken würde. Eine meiner großten Schwachstellen: Zu oft versank ich einfach in der Melancholie und bemitleidete meine eigene Person.

Eigentlich wollte ich es nicht einmal, denn so schlimm war mein Leben doch eigentlich gar nicht. Eigentlich habe ich eine Familie, ein Dach über meinem Kopf und etwas zu Essen. So schlimm war ich überhaupt gar nicht dran. Oder etwa doch?

Es wäre doch gut möglich, dass sie all das nicht hatte und ich sie mit meinen Erklärungen zu meinen vorgegebenen Problemen nur verletzte. Diese Worte wiederholten sich wieder und wieder in meinem Kopf und ich beschloss ihnen Glauben zu schenken.
Da ich mich eigentlich noch nie besonders mit Problemen anderer beschäftigte, verstand ich vielleicht auch nicht so enorm viel davon.
Letzten Endes wollte ich auf alle Fälle nochmals das Gespräch mit ihr suchen und mich vielleicht bei ihr entschuldigen, wenn ich sie irgendwie verletzt hatte.

Ich seufzte, stand auf und wischte die Tränen von meinen Wangen. Dann öffnete ich meinen Schrank und nahm mir meine Schlafsachen heraus. Auf dem Weg ins Bad, vermied ich jegliche Spiegel und sah einfach auf den Boden. Ich wollte diese schreckliche Person einfach gerade nicht mehr sehen. Nein, ich konnte mir gerade selbst einfach nicht mehr in die Augen sehen.

Als ich mir mein Oberteil auszog, bemerkte ich einige Speckfalten an meinem Körper. Geschockt stellte ich mich nun doch noch vor den Spiegel. Dort angekommen, erschreckte ich mich etwas: Eigentlich war ich schon immer ziemlich dürr gewesen, da ich eigentlich schon immer Probleme mit meinem Essverhalten hatte. Aber dieses Mal hatte ich wirklich sehr viel zugenommen. Irgendwie ganz ohne es wahrzunehmen.

Angeekelt vom Angesicht meines hässlichen Körpers, wandte ich mich ab und zog mir schnell wieder ein Shirt an. Immernoch in einer Art Trance legte ich mich zurück auf mein Bett und zog meine Decke bis kurz unter mein Kinn. Allmählich stiegen mir wieder Tränen in die Augen und tropften meine Wangen herunter.

Ja, ich bin hässlich. Und eine Enttäuschung auch noch dazu. Ich machte wirklich immer aus einer Fliege einen Elefanten und habe vielleicht wirklich lachhafte Probleme. Oder etwa nicht? Bei diesem Gedanken stiegen mir noch mehr Tränen in die Augen. Genervt von mir selbst und meinem ständigen Geheule, drehte ich mich auf die andere Seite und versuchte einzuschlafen.

Trotz langem ankämpfen gegen meine Gedanken, konnte ich nicht einschlafen und setzte mich auf. Mein Blick schweifte durch mein Zimmer. In der Ecke standen einige Stifte und zwischen ihnen steckte eine Schere.
Innerlich hörte ich sie nach mir schreien, ich solle das kalte Metall auf meine Haut setzen und darüber ziehen. In mein eigenes Fleisch schneiden. Noch etwas mehr geekelt, legte ich mich wieder hin und versuchte an etwas anderes zu denken.

Tatsächlich hatte ich es bisher noch nie wirklich ausprobiert. Wie dieses Gefühl wohl sein musste? Die eiskalte metallene Klinge auf meine Haut zu setzen und sie etwas aufschlitzen. Oft hörte man es ja von Teenagern in meinem Alter, das sie es teilweise sogar regelmäßig machten und es sie die Probleme vergessen ließ. War dieses Gefühl wirklich so befriedigend? Oder würde es einfach nur wehtun?

Ehrlich gesagt wusste ich es nicht und von der Neugier getrieben, überlegte ich es wirklich einmal auszuprobieren. Einmal war doch so gut wie nie. Es würde sicherlich zu keiner Sucht führen. So schlimm konnte es doch eigentlich nicht werden, oder?
Schockiert vor meinem eigenen Vorhaben, drehte ich mich nochmals in meinem Bett und versuchte nun entgültig einzuschlafen. Ich durfte es nicht beginnen.

Und warum zum Teufel machte es mir so enorm viel aus, was dieses eine dahergelaufene mir bisher fremde Mädchen über meine Probleme dachte? Eigentlich hatte ich inzwischen einen relativ sicheren Schutzwall aufgebaut, um mich von Sprüchen anderer nicht mehr fertig machen zu lassen.

Aber bei ihr war es anders: Sie war anders als die Personen, denen ich  bisher begegnete. Sie wirkte sehr besorgt und lieb auf mich, eigentlich hätte ich ihr solch einen Satz überhaupt nicht zugetraut.
Vielleicht hatte sie Recht? Vielleicht sollte ich wirklich nicht gleich immer so dramatisch werden. Naja, irgendwie musste ich ihr zustimmen: Meine Probleme waren unnötig und eigentlich gar nicht der Rede wert.

When I fall apart || ABGESCHLOSSENWo Geschichten leben. Entdecke jetzt