PoV Mia
Bisher fühlte sich mein Gang zur Essensausgabe noch relativ leicht an, aber in dem Moment, als ich wirklich mein Teller überreicht bekam, würde ich wieder ängstlich. Eigentlich wollte ich doch gar nichts essen, ich hatte doch nicht einmal wirklich Hunger. Oder etwa doch? Offen gelegt wusste ich es einfach nicht mehr. Ich hatte aufgehört meinem Magen zuzuhören, nein meinem gesammten Körper.
Trotzdem musste ich es heute schaffen. Ich musste etwas essen.
Wieder bei meinem Platz angekommen pochte mein Herz mir bis zum Halse. Nun war der Moment gekommen, nun versuchte ich wirklich wieder gesund zu werden.
Aber wollte ich das? Würde es irgendwen interessieren, wenn ich für immer hier wäre?
"Ja würde es.", beantwortete Lenni mir von der gegenüberliegenden Seite des Tisches. :"Ich will umbedingt, dass du gesund wirst.", lächelte sie verlegen.
Wahrscheinlich hatte ich gerade einmal wieder zu laut gedacht, als ihr Michi ebenfalls beipflichtete, dass er mich unterstützen wollte.
Langsam fast etwas dramatisch, nahm ich meine Gabel und stach in die Spaghetti mit Tomatensoße, ein Gericht mit einigen Calorien, aber so durfte ich gar nicht anfangen zu denken.
Ich rollte die Nudeln auf meinem Teller zusammen und führte eine Gabel davon in meinen Mund.
"Ich bin so stolz auf dich.", freute sich Lenya und auch Michi lächelte.
Meine Laune wurde kurz angehoben, aber dann war ich gleich auch wieder relativ schnell am Ende meiner Nerven, obwohl ich eigentlich nicht viel gegessen hatte. Trotzdem war es zu viel. Ich durfte nicht, ich konnte nicht, nein vielleicht wollte ich auch nicht mehr essen.
Obwohl mein Kopf mich anschrie, ich sollte aufhören, fasste ich nochmals meinen gesammten Mut zusammen und aß nochmals eine Gabel. Diesen blöden Zugang durch meine Nase, ja genau den wollte ich loswerden.
In mir kämpfte mein Kopf gerade gegen meine Entscheidung. Wie wenn er eine eigene Stimme hätte, eine Stimme die mich anschrie ich sollte doch aufhören, weil ich es nicht verdient hätte zu essen und sterben sollte.
Obwohl ich versuchte sie auszublenden, einfach nicht darauf zu hören, schaffte ich es nicht. Es war mir unmöglich meinen Dämonen zu wiedersprechen, um ehrlich zu sein war ich immernoch nicht bereit gegen sie anzutreten.
Voller Panik, sprang ich auf und lief weg. Ich rannte einfach und rannte.
Meine Augen füllten sich mit Tränen, zudem fühlte ich mich noch ein Stückchen miserabler als vorhin, da jetzt alle Menschen, die meinen Weg kreuzten, meine Schwäche sahen.
Da ich in meinem Zimmer niemanden erwartet hatte, stürmte ich einfach hinein und ließ mich auf mein Kissen plumpsen.
Gegen die Tränen konnte ich schon überhaupt nichts mehr machen, trotzdem war ich nicht wirklich hundertprozentig traurig. Ich fühlte einfach nichts, überhaupt nichts.
Eigentlich war der heutige Tag doch gar nicht so schlimm, aber gerade kamen alle Gefühle der letzten Wochen in mir hoch.
Also lag ich einige Zeit weinend in meinem Zimmer und starrte an die Decke. Die Unregelmäßigkeiten in ihr fand ich faszinierend: ob sie etwa mit Absicht so gestaltet war, oder einfach ausversehen durch ein Missgeschick entstanden.
Durch das Öffnen der Zimmertür wurde ich aus meinen Gedanken gerissen. Flink versuchte ich meine Tränen aus den Augen zu wischen, um nicht erkenntlich zu machen, dass innerlich gerade ungefähr alles in mir gestorben war.
Vielleicht konnte ein Mensch das Leben nur bis zu einem bestimmten Augenblick ertragen? War das vielleicht der Grund warum so viele Menschen früh Selbstmord begangen?
Vor mir stand nun Sheela, die einen kurzen Augenblick auf mich herabsah, sich dann aber wieder von mir entfernte. Wahrscheinlich waren es ihr zu extreme Gefühle meinerseits auf einmal.
Doch als ich sie beobachtete, bemerkte ich, dass sie sich nicht wieder aus dem Raum entfernte. Nein, sie ging zu ihrem Bettkasten, öffnete ihn und nahm eine Box heraus. Still, aber trotzdem mit Bestimmtheit, überreichte sie mir ein Taschentuch.
Perplex, da ich niemals damit gerechnet hatte, nahm ich es nicht sofort sondern erschrak etwas.
Wollte sie gerade wirklich mit mir interagieren? Warum mochte sie mich?
Ich blickte sie an und sah direkt über ihr knochiges Gesicht, direkt in ihre meeresblauen Augen.
Sie hielt mir immernoch das Taschentuch hin, welches ich dann auch nahm und mich kurz bei ihr bedankte. Sie lächelte nur verlegen, wandte sich ab und verließ das Zimmer.
Als sie draußen war, war ich immernoch etwas schockiert. Und verwirrt, ja, man könnte nahezu denken, dass Tausende und Abertausende Fragezeichen um meinen Kopf schwirrten.
Lange blieb mir nicht darüber nachzudenken, denn die Tür ging schon wieder: Michi betrat mit meiner Psychologin den Raum.
"Mia, du hast heute einen Mamutschritt nach vorne gemacht.", verkündete sie mir freudig.
Fast musste ich etwas schmunzeln, da mir ihre Wortwahl dafür wirklich sehr gefiel.
Doch dann fiel mir erst eigentlich auf, was sie mir überhaupt berichtet hatte. Eigentlich dachte ich, sie würde mich eher dafür verachten, weil ich heute vom Essen weggelaufen war. Aber es scheinte sie überhaupt nicht zu interessieren.
"Wenn du so weitermachst, können wir deine Sonde wieder entfernen.", führte sie ihre überraschende Botschaft weiter. Und dann kam der Teil, der mich fast dazu brachte in die Luft zu springen.
"Außerdem kannst du ab jetzt Besuch empfangen, also nur wenn du willst.", schmunzelte sie mir zuletzt entgegen und faltete ihr Hände zusammen.
Michi nickte beipflichtend und ich konnte mich vor Freude kaum mehr auf den Füßen halten.
Sogar eine Freudenträne spürte ich meine Wange herunterlaufen, ich durfte Benni und Felix endlich wieder zu Gesicht bekommen.
Die beiden wichtigsten Personen in meinem gesammten Leben. Wie ich sie doch vermisste. Lange stellten sie einen der einzigen Gründe dar, überhaupt noch am Leben zu bleiben.
"Wen dürfen wir anrufen? Deine Eltern?", fragte mich Michi, während er sich neben mich aufs Bett setzte. Ich sah ihn etwas vorwurfsvoll an, da ich ihm letztes Mal vor dem Essen erklärt hatte, dass ich mit diesen beiden Menschen nicht umbedingt so gut auskam.
Lenni, die sich bisher raushielt, stürmte plötzlich in mein Zimmer und umarmte mich freudig.
Eigentlich war es nicht erlaubt die Zimmer anderer Patienten zu betreten, aber anscheinend wurde am heutigen Tage eine kleine Ausnahme diesbezüglich genehmigt.
"Na, sie wird sicher Benni und Felix sehen wollen.", lachte Lenya freudig.
Michi und meine Psychologin nickten und ich diktierte ihnen die Telefonnummern beider und sie versprachen mir, noch heute beide zu benachrichtigen, sodass sie mich morgen besuchen konnten.
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When I fall apart || ABGESCHLOSSEN
Teen FictionMias Leben war noch nie wirklich leicht für sie auf dieser Welt gewesen: Aufgrund ihrer stetigen Verträumtheit, ihrer Kreativität und dem frühen Tod eines ihrer Familienmitglieder, wurde sie bereits in Kindesjahren extrem gemobbt, was dann auch Spur...