▪︎Kapitel 31▪︎ Daydream?

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PoV Mia

"Schatz, hör mir zu: alles was ich getan habe, tut mir unendlich Leid.", erklärte sie mir langsam.
"Ich habe meinen Fehler erkannt, ich sollte dich nicht allein gegen diese Krankheit kämpfen lassen. Das wäre nicht fair."
Nachdenklich strich sie über meine Haare. Sofort, ohne darüber nachzudenken, hob ich meine Hand und werte ihre Geste ab.
"Du brauchst Zeit, oder?", fragte sie mich nochmals eine Spur leiser als vorhin.

Ich vermied es ihr direkt in die Augen zu blicken. Es war, wie wenn ich jeden, mit dem ich sprach, anlügen würde. Ich konnte nichts von Kyra erzählen, ich, allein ich, war Schuld an den Verletzungen meiner Mutter.
Hätte ich mich nicht mit Kyra angefreundet, wäre alles in bester Ordnung, doch nein. Ich musste eine Freundschaft mit jemanden aufbauen, den ich noch nicht einmal wirklich kannte, nur weil ich sie attraktiv fand. Doch all das war nun verflogen: Keine Attraktivität mehr, keine Nettigkeit, keine Anziehung, nur noch Abscheu. Ja genau, ich glaube genau das empfand ich für diese Person. Pure Abscheu.
Sie war ein Mensch mit zwei Gesichtern.

Bisher glaubte ich eigentlich noch nie wirklich an Sternzeichen, doch in diesem Fall musste ich diesen Klischees einmal rechtgeben. Kyra gehörte dem Sternzeichen Zwilling an und denen wurde nachgesagt, sie hätten zwei Gesichter. Ein helles, freundliches, offenes und wenn sie sich wendeten beziehungsweise das andere Gesicht zum Vorschein kam, wurden sie hinterlistig, betrügerisch und hatten plötzlich eine ganz düstere Seele.

Vermutlich hatte ich zu viel Zeit in dieser Klapse, da ich mich hier enorm mit Phänomenen wie Sternzeichen, aber auch anderen astronomischen Erscheinungen auseinandersetzte.
Vermutlich war es aber zu spät, Kyra war da und ich musste wohl oder übel das tun, was sie mir sagte.
Auch wenn ich es Benjamin und Felix sicherlich nicht antun will. Und mir selbst genauso wenig. Doch ich musste sie vor ihr schützen, ich musste meine gesammte Familie vor ihr schützen, alles das mir lieb war.
Erst jetzt sah ich, dass meine Mutter den Raum verlassen hatte und aufgeregt mit einem der Ärzte stritt.
Es war wie bei meiner Einlieferung, nur diesmal blieb mir der Schlag ins Gesicht erspart.

Wahrscheinlich hatte meine Mutter wirklich ein schlechtes Gewissen dabei, mich hier hängen zu lassen.
Naja, auch wenn ihr plötzliches Auftreten etwas seltsam erschien, musste ich dennoch wieder versuchen mit ihr auszukommen.
Immerhin wurde ich ja bald entlassen. Entlassung, war wirklich ein schönes Wort, aber es klang auch sehr beängstigend für mich. Wieder zurück in mein Leben. In mein altes Leben. Das Leben mit Hass, der gegen mich selbst gerichtet war.
Vermutlich wüsste ich jetzt, wie ich in der Theorie mit Kriesensituationen umzugehen hätte, aber ob mir das in der Realität weiterhelfen würde wusste ich nicht.

Ich wusste überhaupt nichts. Vor Allem, könnte Kyra, sobald ich dieses Gebäude verließ, mein gesammtes Dasein, jeden Schritt den ich machte überwachen. Und niemand, keine einzige Person, außer mir und ihr, wusste darüber Bescheid.
Doch mit jemanden darüber zu sprechen, wäre um einiges zu riskant. Sie könnte mir auflauern, mich verletzen oder noch schlimmer, jemanden verletzen, den ich wirklich liebe.

Es wurde eine Tür geöffnet, genauer gesagt, war es die zu meinem Zimmer. Meine Mutter trat ein und berichtete kurz, sie müsse nochmals heimfahren und würde mir einfsch noch Zeit geben, ihr zu verzeihen.
Der Termin meiner Entlassung, stand nun ebenfalls fest. Am 13.2.19 werde ich dieses Gebäude verlassen, die Irrenanstalt verlassen. Lenya, Michi zurücklassen und vor Allem werde ich auch Sheela vermutlich nie wieder sehen.

Trotz ihres abgeschlossenen Auftretens, war sie etwas besonderes für mich. Ich wusste nicht, wie ich das erklären sollte, aber ich mochte dieses Mädchen. Wenn sie den Raum betrat, spürte ich ihre Aura deutlich. Kein kaltblütiger Mensch wie Kyra, nein, sie war warmherzig und liebevoll. Und wenn sie jemanden mochte, war sie für diese Person definitiv immer verfügbar. Dachte ich zumindest. Ich würde sie eben so einschätzen, ob das nun richtig oder falsch war, konnte ich nicht sagen.
Doch in zwei Tagen, war all das vorbei: Sheela würde weiterhin hierbleiben und ich war wohl oder übel dazu gezwungen, mein Leben in der großen, weiten Welt irgendwie auf die Reihe zu bekommen.

Eigentlich wusste ich überhaupt nicht, dass Menschen, mit denen man noch nichtmal ein Wort gewechselt hatte, einem wichtig werden konnten. Beziehungsweise, dass man durch reine Handlungen und Körpersprache eine Ahnung davon bekam, wie der Charakter von jemanden wohl sein musste.
Wenn ich doch bloß ein paar Worte mit ihr wechseln dürfte. Eigentlich interessierte es mich zum Beispiel schon, wie ihre Stimme klang. Zart und gebrechlich, aber trotzdem eine Note Selbstbestimmung, vermutete ich.

Ein letztes Mal wurde ich von den Pflegern zurück in mein altes Zimmer gebracht.
Denn durch meine plötzlich Ohnmacht, wurde ich einmal wieder auf die Intensivstation verlegt.
Einer der Pfleger schob mein Bett durch einige Krankenhausflure bis wir wieder an der gelben Tür ankamen. Der Eingang zum psychatrischen Abteil der Klinik.
Wir durchfuhren eine Art Schleuse und kamen kurz darauf an meinem Zimmer an.
Ich bedankte mich diesmal sogar bei den Pflgern.

Soetwas hatte ich bisher eigentlich noch nie wirklich bewusst gemacht, aber Lenya hatte mir erzählt, jeden Menschen würde ein "Danke" freuen. Irgendwie nahm ich so einiges von diesem kleinen Sonnenschein, wie ich sie gerne nannte an. Inzwischen begrüßte ich sogar ab und an Menschen, die mir auf dem Flur entgegenkamen.

Plötzlich fiel mir ein, ich sollte meinen Koffer vielleicht doch noch vorbereiten. Beziehungsweise packen, da ich ja ziemlich bald wieder in meinem Bett Zuhause schlafen durfte. Ob mich das freute, wusste ich noch nicht so ganz.
Ich zog den Koffer, mit dem meine Mutter mir die Klamotten vorbeibrachte vom Schrank und legte ihn auf den Boden. Nach einem kurzen Kampf mit dem Reißverschluss, öffnete ich ihn und sah ein kleines Kuscheltier darin, welches ich beim Auspacken vor einigen Wochen wohl übersehen hatte. Es war ein Wolf, den mir meine Mutter zum achten Geburtstag geschenkt hatte. Dieser Geburtstag war der Erste ohne meinen Bruder Vincent.

Dieses Stofftier bedeutete mir aber trotzdem sehr viel, da Wölfe die Lieblingstiere meines Bruders waren. Einmal behauptete er sogar, er würde in seinem nächsten Leben als Wolf auf diese Erde zurückkehren und mich beschützen. Damals fand ich es besonders lustig und heute saß ich mit Tränen vor meinem Koffer und umarmte den kleinen Wolf.

When I fall apart || ABGESCHLOSSENWo Geschichten leben. Entdecke jetzt