▪︎Kapitel 18▪︎ Heaven

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PoV Mia

Da ich schon einige Blicke, sowohl von Pflegern als auch Mitpatienten auf mich gezogen hatte, beschloss ich, einfach einen Plan zu entwickeln, wie ich still und heimlich hier entwischen konnte.

Frustriert und müde war ich mich wieder in mein Bett und versteckte meinen Kopf im Kissen.
Eigentlich wollte ich nur noch weg. Weg von diesem schrecklichen Ort. Ich fühlte mich wie im Gefängnis. Eingesperrt. Unschuldig hinter Gittern.

Warum bloß? Eigentlich ging es mir doch gut. Oder etwa nicht?
Plötzlich hörte ich die Zimmertür gehen und das Mädchen von vorhin trat herein.
Sie nahm sofort einen Mp3-Player aus ihrer Tasche und stöpselte die Kopfhörer in ihre Ohren. Während sie es sich auf ihrem Bett gemütlich machte, nahm sie überhaupt keine Notiz von mir.

In was für einer Musik sie jetzt versank? Meistens, so hatte ich es bisher immer erfahren, ließ sich über die Musik die jemand hörte schon außerordentlich viel über eine Persönlichkeit verraten.
Da sie auf mich einen sehr teilnahmslosen, introvertierten Eindruck machte dachte ich sofort daran, sie würde vielleicht Musik hören, die sie großer scheinen ließ.

In der sie ihre Trauer oder Leere vergessen konnte. Ich tippte auf Metal oder zumindest etwas in diese Richtung. Bestätigt wurde mir das von den wenigen Tönen, die auch für mich hörbar waren.
Schnell bemerkte ich, dass mir dieses Lied durchaus bekannt vorkam. Es war schon immer eines meiner liebsten Lieder und gerade fühlte ich eine gewisse Anziehung zu dem Mädchen, das zwar nicht mit mir sprechen wollte, aber den selben Musikgeschmack teilte.

Dann hörte ich es an der Tür klopfen und eine mollige Frau mit Pferdeschwanz trat ein. Vor ihr schob sie einen großen Speisewagen, von dem sie zwei Teller nahm und Essen daraufrichtete.
Sie stellte es zuerst dem dunkelhaarigen Mädchen hin und dann mir.

"Guten Apetit.", wünschte sie uns, als sie ihren Wagen wieder aus dem Raum schob.
Angeekelt schob das Mädchen neben mir den Teller weg und schien wieder in ihrer Musik zu versinken.
Ich musterte das Essen ebenfalls kritisch. Auf dem Teller sah ich etwas Kartoffelpüree mit einem Stück Fleisch, sah aus wie Hähnchenbrust und einem kleinen Tellerchen Salat.
Langsam nahm ich die Gabel zur Hand und stocherte etwas darin herum.

Mir war klar, dass zwar das Fleisch nicht besonders kalorienhaltig sein sollte, trotzdem wollte ich einfach gerade nichts zu mir nehmen würde. Essen kann ich auch Zuhause. Jetzt musste ich ersteinmal einen Weg finden wie ich hier herauskommen könnte.

Doch wie wusste ich immernoch nicht. Vielleicht würde mir ja noch ein Geistesblitz kommen, wie es bei meinen Bildern auch immer ist: Anfangs habe ich überhaupt gar keine Ahnung davon was ich zeichnen könnte, doch dann kommen sobald ich den Stift angesetzt habe immer mehr und mehr Ideen.
Vielleicht würde ich wenn ich mich die nächste Zeit relativ erträglich benehmen würde ja schneller Ausgang bekommen und dann könnte ich endlich hier heraus?

Wäre das denn möglich?
Zu viele Fragen schwirrten durch meinen Kopf und ich versuchte zumindest ein wenig schlafen zu können, damit ich morgen meine Fluchtpläne nochmals überdenken könnte.
An Schlaf war nur leider nicht einmal zu denken. Alle Gefühle die ich über den Tag einfach versuchte nicht zu beachten, kamen nun geballt hoch. Doch ich weinte nicht, nein, ich saß einfach nur da und hörte der Uhr beim Ticken zu.

Diese Regelmäßigkeit, diese Ordnung, es war wirklich nahezu verblüffend. Warum konnte mein Leben eigentlich nicht auch so ablaufen?
Plötzlich hörte ich etwas am Fenster. Etwas ängstlich näherte ich mich diesem und sah unten auf der Straße eine Person stehen.
Diese Umrisse kannte ich, aber als ich versuchte das Fenster zu öffnen, bemerkte ich, dass es mir unmöglich war hinaus zu kommen.

Enttäuscht stand ich vor dem Fenster, als ich leise jemanden die Tür öffnen hörte.
"Komm mit.", hörte ich die Person flüstern und begleitete sie einige Stockwerke nach oben, bis wir ganz oben angelangt waren.
Die Person zog einen Schlüssel und entsperrte die Tür direkt vor uns. Die Tür quietschte in einer hohen Lautstärke, aber niemand scheinte es zu hören. Also überquerte ich die Türschwelle und fühlte den Wind durch meine Haare streifen.

Es war eine riesige Dachterrasse, von der aus man in jeden Winkel der Stadt blicken konnte.
Vor staunen hinterfragte ich überhaupt nicht, wer diese Person war, die mich hier hinauf gebracht hatte.

Im Mondschein erkannte ich dann doch ihr Gesicht. Es war wirklich sie, die mir gegenüber stand, es war Kyra.
"Willkommen in meiner Welt.", lächelte sie etwas und hielt mir eine Zigarette hin.
"Wie... wie bist du hierher gekommen?", fragte ich sie stotternd.
"Ich hab da so meine Wege. Wer sein halbes Leben hier verbringt, weiß irgendwann alles über einen Ort.", erklärte sie mir und fügte "Brauchst du Feuer?", hinzu.

Da ich bisher noch nie geraucht hatte, nahm ich es gerne an und versuchte die Zigarette anzuzünden. Nach einigen kläglichen Versuchen, schaffte ich es dann auch endlich und zog das erste Mal daran.
Es schmeckte etwas ungewohnt, aber eigentlich fand ich es wirklich okay.
"Deine Erste?", lachte mich Kyra halb aus. "Du tust so ehrfürchtig.", fügte sie schmunzelnd hinzu.

Doch ich ging nicht weiter auf ihre Frage ein sondern gab ihr ein "Es ist wirklich schön hier.", zurück.
Voller Staunen blickte ich über den gigantischen Himmel. Da ich mich schon immer eigentlich für Sterne interessiert hatte erkannte ich ein Himmelsbild nach dem anderen.
"Sag nicht du kennst die alle bei Namen.", fragte mich Kyra ironisch als sie meinen Blick sah.

"Doch. Also zumindest die Sternzeichen.", lächelte ich zurück.
Es war so schön, hier zu sein. Irgendwie fühlte es sich schön an, bei ihr zu sein. Über die Geschehnisse vor einigen Tagen dachte ich nicht mehr nach, ich war im hier und jetzt, auf dem Dach einer Irrenanstalt mit einem faszinierenden Menschen.
"Wann hast du denn Geburtstag?", fragte ich sie interessiert.

"So im Juni.", erklärte sie mir und fügte nach einer kurzen Pause ein.
"Verrätst du mir was das für ein Sternzeichen ist?", fragte sie mich lächelnd und strich ihre langen schwarzen Haare hinter ihr Ohr.
"Du bist also ein Zwilling.", erklärte ich ihr.
"Und wann hast du Geburtstag?" hinzu.
"Morgen.", entgegnete ich ihr. Eigentlich war es mir irgendwie unangenehm über meinen Geburtstag zu sprechen, da er ebenfalls Vincents Geburtstag gewesen wäre und wir morgen gemeinsam siebzehn werden würden.

Aber nein, dank seiner blöden Krankheit durfte ich meinen Geburtstag nie wieder mit ihm gemeinsam feiern. Allgemein könnte man sagen, dass ich meinen Geburtstag nie mehr gefeiert hatte, sondern dieser Tag genauso wie jeder gewöhnlicher Tag in meinem Leben war, bloß etwas trauriger.

When I fall apart || ABGESCHLOSSENWo Geschichten leben. Entdecke jetzt