Affluenza

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Als ich klein war, habe ich mich oft im ganzen Haus versteckt. Nicht um zu spielen sondern um vor meiner Mutter davonzurennen, ich kannte jeden Winkel unseres Hauses, jede Nische, sogar das verbotene Ankleidezimmer meiner Mutter, natürlich durfte nur sie es nutzen, mich schickte sie zu dem Salon unten an der Straße.

Eines Abends schlenderte ich an der kleinen, unscheinbaren weißen Tür vorbei. Natürlich blieb ich stehen. Ich wusste nur zu gut, dass sie ausrasten würde, wenn ich auch nur einen Fuß dort hinein setzte. Doch mein kindlicher Glaube unentdeckt zu bleiben, ließ mich die Hand nach der Türklinke ausstecken. Einen Moment später stand ich in dem Zimmer.

Das dunkle Mahagoni Holz, welches überall im Haus immer irgendwo enthalten war, ließ den Raum düster und gefährlich wirken, aber vielleicht war das auch einfach nur der Eindruck eines kleinen Mädchens. Damals jedenfalls, fühlte er sich an wie ein bis oben hin mit Geheimnissen gefülltes Abenteuer. Ich trat also in den Raum und sah mich gleich drauf zwei mal, dann drei mal, nein- viermal!
Ich drehte mich im Kreis und meine vier ich's drehten sich mit mir. Als auf mich selbst zuging und die Hand nach einem meiner Ebenbilder ausstreckte, stießen meine Finger gegen etwas glattes, hartes.

Ein Spiegel.
Doch nicht nur ein Spiegel, das erkannte ich als meine Finger an der blanken Oberfläche entlangfuhren und Schlieren hinterließen. Ein Spiegel endete und gleich darauf begann ein neuer.

Neben den Spiegeln an der linken Wand stand ein riesiger Tisch. Er hatte dutzende kleine Behälter und Schubladen, vollgefüllt mit Sachen wie Haarbürsten und Pinseln und kleineren Bürsten. Zahlreiche Tuben standen, perfekt aneinander gereiht auf einer Seite des Tisches. In der Mitte des Tisches stand ein gepolsterter Stuhl vor einem weiteren eingerahmten Spielgel der über dem Tisch an der Wand befestigt worden war.

Natürlich setzte ich mich auf den Stuhl und blickte erwartungsvoll in den Spiegel, während ich meine Hand ausstreckte und meine Finger über die weichen Pinsel fuhren. Ich bildete mir ein meine Mutter zu sein, wenn sie hier sitzen würde, dann würde sie bestimmt-

"Was machst du hier drinnen?"

Ich zuckte zusammen als die Stimme meiner Mutter hinter mir erklang. Doch ich drehte mich nicht um, musste ich doch nicht erst ihr strenges Gesicht sehen um zu wissen, dass sie wütend war. Nein, Agatha Fernsby war nie wütend, sie war enttäuscht.
"Ich-"
Ich hörte wie sie näher kam und schließlich spürte ich sie an meiner Seite. Wie sie die Hand ausstreckte. Ich zuckte bereits zusammen doch sie griff an mir vorbei um eine der Bürsten in die Hand zu nehmen. Ich hatte nie körperliche Gewalt erfahren. Doch heute wusste ich das psychische Gewalt weitaus längere folgen mit sich trug.
Ich beobachtete sie im Spiegel, während sie theatralisch seufzend die Bürste an meinem Haar ansetzte. Kopfschüttelnd arbeitete sie sich durch meine Haare.
"Das hier ist meine Lieblingsbürste", den missbilligenden Ton in ihrer Stille konnte ich nicht überhören. Er stellte klar das ich der Bürste nicht würdig war. Doch sie arbeitete weiter.

Ich saß verkrampft auf dem Stuhl und ließ meinen Blick überall hin schweifen- nur nicht zu meiner Mutter.

"Ich habe dir gesagt das dieser Raum für dich verboten ist, doch du musstest natürlich das einzige deiner Verbote brechen", sie schüttelte wieder den Kopf und ich rutschte unbehaglich auf meinem Stuhl hin und her.
Sie erhöhte den Druck mit den sie die Brüste durch meine Haare führte und zog dadurch meinen Kopf nach hinten. Leider folgten auch meine Augen und so blickte ich von unten auf das Gesicht meiner Mutter. Ich sah den einzelnen Pickel unter ihrem Kinn.

"Ich wollte nur einen Blick rein werfen", versuchte ich mich zu verteidigen.

"Ich wäre auch gleich wieder gegangen- ich kann jetzt gehen!" Meine Stimme wurde panisch, die Worte überschlugen sich und ich wusste, dass die Tatsache das ich meine Angst im Beisein meiner Mutter so deutlich zeigte, ein Fehler war.
Doch ich war noch ein Kind.
Und sie hätte meine Beschützerin sein sollen, die Person zu der ich aufblickte. Stattdessen war sie mein Alptraum.

-

Die Türen des Saals öffnen sich und ein Bediensteter in voller Montur tritt ein.
Er verkündet die Anwesenheit der drei Hochwohlgeborenen. Ich kann förmlich spüren wie der Puls meiner Mutter vor Aufregung rast.

In einer anderen Welt hätte ich jetzt meinen Arm um sie gelegt und ihr ins Ohr geflüstert, dass sie sich keine Sorgen machen muss.

Stattdessen streiche ich mein Kleid glatt und hebe das Kinn an. Ich halte den Blick stur auf das Bild von Degas gerichtet, versuche die vorhin von mir gespürte Ruhe aufzusaugen. Doch jetzt ist es nur noch ein schönes Bild und es kommt mir auf einmal nicht mehr friedlich, sondern geradezu vollgestopft vor- was natürlich unsinnig ist, doch der Gedanke geht mir nicht mehr aus dem Kopf.

Also wende ich den Blick ab und sehe stattdessen zu den drei Männern, die gerade in der Mitte des Saals zum Stehen kommen.
Cordelia steht hoch erhobenen Hauptes etwas abseits von ihnen, ihr wachsamer Blick streift uns alle.
Meine Augen zucken währenddessen zu Aleksander. Er sagt etwas zu Henry, welcher nickt und sich schließlich an uns wendet.
"Es ist uns allen eine Freude, Sie hier willkommen zu heißen, wenn auch unter solch unglücklichen Umständen", er lächelt sein höfliches Lächeln. Jasper verschränkt die Hände hinter dem Rücken und fügt hinzu: "Durch eben diese Umstände, bieten sich für uns jedoch andere Möglichkeiten. Es ist uns eine Herzensangelegenheit, Sie alle ein einem Gespräch näher kennenzulernen." Er legt sein höfliches Lächeln an den Tag und ich höre förmlich das Seufzen der Mütter.

Ich kneife die Augen zusammen.

"Für diese Gespräche werden wir in einen der anderen Räume gehen, da Sie sicherlich erschöpft von der Anreise sind, werden Sie dort auch ein kleines Buffet vorfinden." Aleksander macht eine elegante Handbewegung in Richtung der Tür und als hätten sie nur auf ein Zeichen gewartet, treten zwei Diener aus einer Ecke hervor um die diese zu öffnen.

Ich hätte es amüsant, gar peinlich gefunden, wie unmittelbar jede der Familien näher zu den drei Männern rückt, vielleicht weil sie hoffen ein Gespräch anzufangen um dieses dann im anderen Raum weiterzuführen, wäre nicht meine Mutter eine der ersten die sich in Bewegung setzt.

Mein Vater bietet ihr, gutmütig wie er nun einmal ist wenn es um sie geht, seinen Arm an und zusammen folgen sie erhobenen Hauptes den drei Männern, als wäre es das normalste auf der Welt.

Sie werfen nicht einmal einen Blick zurück, um zu sehen ob ich ihnen folge.

𝐭𝐡𝐞 𝐟𝐢𝐫𝐞 𝐲𝐨𝐮 𝐬𝐭𝐚𝐫𝐭𝐞𝐝 - 𝐞𝐫𝐰ä𝐡𝐥𝐭 Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt