Dünne Luft

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Hier stehen wir also.
Mein Vater, meine Mutter, ich, der Herausgeber des Welbron, seine Frau und deren Tochter, welche ich, wie es das Schicksal so wollte, auf dem falschen Fuß erwischt habe.

Das Auftreten der beiden Mütter könnte unterschiedlicher nicht sein. Die eine, ganz das unangefochtene Alphatier mit hoch erhobenem Kinn und aufmerksamem Blick, die andere eher der Schatten ihres Mannes. Blakely wirkt zwar wachsam, aber auf eine seltsame Weise unterwürfig. Vielleicht lese ich es aus ihren hochgezogenen Schultern oder den wiederholten Blicken in Harrisons Richtung, so als habe sie Angst eine Bewegung zu machen, die ihm missfällt.

Ich richte meinen Blick auf den Mann vor mir und mustere ihn erneut, dieses Mal genauer.

Das glänzende, honigfarbene Haar sitzt perfekt, die Farbe seiner Augen mischt sich aus tiefem moosgrün und blau zu einem algenbesetzten See. Wenn man nicht vorsichtig ist ziehen sie einen in die Tiefe wie die Schlingpflanzen Unterwasser. Seine Haltung ist zwar entspannt, aber es ist eine ernstzunehmende Ruhe die von ihm ausgeht, so als bekäme er immer was er will und müsse dafür normalerweise nicht die Maske des gelassenen Geschäftsmanns ablegen.

Aber ich gebe nicht klein bei, eher wird er sich an mir die Zähne ausbeißen.

Ich lächle in die Runde und frage mich insgeheim, wie ein Mann mit dunkelbraunen Haaren und eine Frau, dessen Haare derart schwarz sind, dass sie das Licht zu verschlucken scheinen, eine Tochter mit schneeweißen Haaren hervorbringen können. Dann drängen sich Eddie's Worte von Gestern in mein Bewusstsein.
"Ich habe keine Eltern mehr."

Verwirrt betrachte ich die Connery's.
Ist das möglich?
Vielleicht sind die beiden nicht ihre leiblichen Eltern, oder einer von beiden hatte den anderen betrogen, oder, oder, oder.

Mein Kopf raucht und ich bin versucht mir die Schläfen zu massieren, doch ich tue es nicht und versuche meine Aufmerksamkeit wieder auf das Gespräch zu richten.

Mein Vater fährt fort Harrison von irgendeiner bekannten Schnapsfirma, die kürzlich alle ihre Mitarbeiter wegen einer anscheinenden finanziellen Notlage entlassen musste, zu berichten.

Nicht das er es nötig hätte- schließlich stand die Neuigkeit in der heutigen Ausgabe des Welbron und es wäre dumm zu glauben, Harrison Connery hätte es nicht bereits vor Wochen erfahren.

Doch er nickt nur bestätigend. Gleich darauf gleitet sein Blick zu meiner Mutter.

Zusammen ergeben sie ein seltsames Bild.

Ein Gott ohne Gnade und eine Königin ohne Krone. Beide dazu verdammt, ein Leben ohne Liebe zu führen.

Das Gemälde taucht vor meinen Augen auf. Düster und doch glorreich. Sie würden alle zerstören.

Ein Blinzeln und das Bild ist verschwunden.

Es kommt mir vor, als wäre die Luft mit einem Mal zum schneiden dünn, abgestanden, stickig, der Sauerstoff fast ganz weggeatmet.

Nach einiger Zeit sagt meine Mutter entschlossen: "Wir sollten zurück gehen."

Das kommt mir gelegen, ich weiß nicht, ob ich meine kühle, ausdruckslose Fassade noch aufrecht halten kann, wenn ich länger hier mit diesen Leuten in dem zu stark beleuchteten Gang stehe.
Die Anstrengung weiterhin so zu tun, als wäre Harrison Connery nicht einer der respekteinflößendsten Männer die mir je untergekommen sind, zerrt mit einer unermüdlichen Ausdauer an meinen Nerven.

Gleichzeitig spüre ich eine gefährliche Neugierde von ihm ausgehen. So als frage er sich wie weit er hier gehen könne.

Nun,  ich bin nicht gerade sonderlich erpicht darauf, herauszufinden was hier wirklich vor sich geht.

Harrison nickt, den Blick auf meine Mutter gerichtet.

Es ist als wären sie zwei Esoteriker die das Wissen um ein Geheimnis teilen, das uns anderen verwehrt bleibt.

Dann dreht sich meine Mutter einfach um, harkt sich bei meinem Vater unter und geht den Weg zurück, den wir gekommen sind.

Ich zögere einen Moment, will unbedingt den Ausdruck in Harrisons Gesicht sehen.

Doch er ist so nichts sagend wie ein weißes Blatt Papier, als er meinen Eltern hinterher blickt.
Es ist so still, dass ich nur das stetig leiser werdende Geräusch ihrer Schritte höre.
Es fühlt sich an als verseuche die Stille jede Faser meines Körpers.

Mit einem letzten Blick zu Eddie drehe ich mich auf dem Absatz um, auch wenn es mir Unbehagen bereitet, diesen Leuten meinen Rücken zuzukehren.

Zu behaupten, Mutter wäre angespannt, wäre eine glatte Untertreibung. Die Anspannung geht in Wellen von ihr aus, doch als wir vor dem Saal stehen, in dem die anderen Kandidatinnen mit ihren Eltern immer noch die drei gut aussehenden Männer bezirzen, verschwindet die verkrampfte Haltung einfach und macht einem leichten, unbekümmerten Lächeln platz.

Ich kann nicht anders als sie anzustarren aber die elegante, ehrgeizige Frau scheint keine Notiz von mir zu nehmen.

Draußen vor den Fenstern bricht gerade die Abenddämmerung herein und taucht alles in einen goldenen Glanz und so strahlt auch meine Mutter golden als sie, an der Seite meines Vaters wieder den Saal betritt.

𝐭𝐡𝐞 𝐟𝐢𝐫𝐞 𝐲𝐨𝐮 𝐬𝐭𝐚𝐫𝐭𝐞𝐝 - 𝐞𝐫𝐰ä𝐡𝐥𝐭 Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt