Krähen und Engel

937 52 2
                                    

Das dunkelrote Kleid, welches Ellory und unsere Zofen für mich ausgesucht haben ist schulterfrei, doch es besitzt kurze Ärmel die es weniger aufreizend wirken lassen. Dennoch ist es etwas zu freizügig für meinen Geschmack. Auch der Rücken besitzt einen tiefen Ausschnitt der sicherlich die Hälfte meines Rückens freilegt. Wenigstens ist er von einer zarten Schicht Seide überzogen und somit nicht wirklich freigelegt.
Trotzdem komme mir ziemlich dümmlich vor, wie ich vor meiner Tür stehe und auf Jasper warte. Sämtliche feministischen historisch bedeutenden Persönlichkeiten drehen sich bestimmt gerade in ihrem Grab um. Aber da Jasper gesagt hat ich solle vor der Tür auf ihn warten- und da Jasper gute Chancen hat der Prinz zu sein, stehe ich hier vor meiner mit Holzschnitzereien versehenen Zimmertür und blicke immer wieder die beiden Seiten des Gangs entlang.
Die riesige antike Standuhr auf der anderen Seite des Gangs scheint mich zu verhöhnen. Es ist fast sieben Uhr.
Ich starre auf den Sekundenzeiger, welcher über das gelbliche Zifferblatt gleitet. Bewegt er sich langsamer als sonst?
Dann räuspert sich jemand neben mir und als ich erschrocken den Kopf drehe sehe ich wie Jasper etwas entfernt von mir steht. Er trägt ein weißes button down Hemd über einem dunkelblauen Jackett und elegante, ebenfalls dunkelblaue Hosen. Seine Schuhe sehen aus als hätte man sie mit durchsichtigen Nagellack bestrichen damit sie noch stärker glänzen als es bei Schuhen eigentlich üblich ist. Während ich in einen Knicks sinke versuche ich sie nicht anzustarren.

"Schön Sie zu sehen ich hoffe es geht Ihnen wieder einigermaßen gut", er verzieht doch tatsächlich den Mund zu einem seiner Megawatt-Lächeln. "Ja, danke, mir geht es es soweit besser. Ich bin ja nicht gerade von meinem Hochhaus oder etwas derart gesprungen, sondern einfach mit dem Stuhl auf den Boden geknallt." Ich lächele ihn an, verdrehe jetzt innerlich die Augen. Wie lange wird es dauern bis sich niemand mehr an den Vorfall erinnern kann- oder sie wenigstens aufhören nach meinem Gesundheitszustand zu fragen.
Ich bin diese Sorge einfach nicht gewohnt. Wir gehen gerade einen spärlich beleuchteten Gang entlang als ich es endlich aufbringe nach unserem Ziel zu fragen.

"Der Garten", kommt die knappe Antwort. Ich runzele die Stirn. "Mag sein das ich mich hier lediglich den Umständen entsprechen zurechtfinde aber dies ist meines Wissens nicht der Weg der zum Garten führt."
Ich kann es mir nicht verkneifen also ziehe ich eine Augenbraue hoch. Er lacht und schüttelt den Kopf. "Es gibt mehrere Gärten, manche sind von einander abgetrennt, andere haben Verbindungen in Form von Durchgängen under einer Lücke in der Hecke."
Erstaunt sehe ich ihn an. Das hatte ich nicht gewusst. "Wie viele einzelne Gärten besitzt das Schloss?"
Ich sehe zu ihm hoch. Er geht neben mir, Jasper ist lediglich mit einem Hemd und einer fein wirkenden Hose bekleidet. Das Sakko hat er überraschender Weise um die eine Schulter gelegt. Er sieht aus wie eines dieser Models in den Zeitschriften. Die mit dem arroganten Blick und den teuren Klamotten. Seine Augen liegen auf mir. "Etwa siebzehn."
Ich schaffe es den Mund nicht aufzuklappen, die Augen aufzureißen oder ein Keuchen auszustoßen. Mir gelingt es, höfliches Interesse in meine Stimme zu legen als ich frage: "Und in welchen dieser etwa siebzehn gehen wir?"
Einer seiner Mundwinkel zuckt.
"Sehen Sie selbst", er nickt mit dem Kopf auf etwas hinter mir und als ich mich umdrehe erblicke ich eine aufwändig verzierte Tür. Der Türgriff besteht aus einer Art hölzernem Rabenflügel und ich kann nicht anders als ihn entzückt anzustarren. Zwei Wachen flankieren die Tür, sie nicken Jasper kurz zu und dieser nickt zurück.
Ich lege meine Hand auf den Griff und und schaffe es gerade so nicht ehrfürchtig die atemberaubende Schwinge mit den Fingern nachzufahren. Nachdem ich es schaffe mich von dem Anblick loszureißen öffne ich die Tür. Vor mir erstreckt sich ein großer Garten.
Er ist zu beiden Seiten von hohen Hecken eingesäumt an denen mehrere Bänke stehen. In einer der Ecken entdecke ich mehrere auf dem Boden verteilte Kissen, daneben wurde eine Decke auf dem Graß ausgebreitet. In der Mitte des Gartens steht ein wunderschöner Springbrunnen. Sein heller Stein glänzt als Sonnenstrahlen den Garten erhellen. Ich kämpfe gegen mein Lächeln an.
"Ich dachte mir schon das es Ihnen gefallen würde", der zufriedene Ton in Jaspers Stimme bringt mich dazu den Blick von dem Springbrunnen zu nehmen und ihn stattdessen auf den braunhaarigen Mann an meiner Seite zu richten.
"Sehen sie mich nicht so schockiert an! Das nennt man beobachten. Ich liege bei solchen Sachen oft intuitiv richtig." Als hätte er damit alles gesagt zuckt er mit den Schultern und steuert, eine Hand in der Hosentasche vergraben auf den Springbrunnen zu.
"Und was genau hat Ihnen verraten, dass ich...nun ja, so etwas hier", ich wedele mit Hand in einer theatralischen Geste die den ganzen Garten einschließen soll, "toll finde?"
Im Gehen dreht sich Jasper um und steckt die Arme zu beiden Seiten aus. "Wer würde so etwas nicht toll finden?"
Als ich ihm folge denke ich, dass es nicht die Antwort ist, die ich erwartet habe und auch sicherlich nicht ganz die Wahrheit.
Der Brunnen ist doppelt so hoch wie ich und als ich den Kopf in den Nacken lege um an ihm hinauf zu schauen, erkenne ich eine steinerne Krähe mit weit geöffnetem Schnabel am obersten Punkt des Brunnens. Aus dem Schnabel kommt eine dünne Fontäne. Das Wasser spritzt senkrecht in die Luft, hinauf zum Himmel, bevor  es einen Bogen nach unten macht und in das Auffangbecken plätschert. Die Krähe sitzt auf einer art Felsen und als ich ihn genauer betrachte fällt mir auf, dass etwas weiter unten fünf kleine Engel mit einem Bogen in ihren langgliederigen Händen in regelmäßigen Abständen rund um den Felsen angebracht sind. Sie sitzen auf einem Felsvorsprung, der rund um dem Stein herausragt, den Kopf nach oben gerichtet, den Mund zu einem stummen Schrei aufgerissen. Als würden sie die Krähe vor etwas warnen wollen. Jeder von ihnen speit abwechselnd kurze Fontänen Wasser in das Becken.

"Wussten Sie das die Krähe früher einmal das Wappen des Königshauses gewesen ist?"

Ich runzle die Stirn und sehe zu ihm. "Nein, davon habe ich nicht gewusst."
Jasper grinst und ich wende den Blick ab. Wir gehen zu der Picknickdecke auf der ein Tablett mit Käse und Weintrauben liegt und Jasper lässt sich darauf nieder während ich unschlüssig erst die Decke und dann den Boden daneben mustere. Vielleicht hätte ich ein Alltags tauglicheres Kleid wählen sollen. Schließlich setze ich mich, sorgfältig darauf bedacht mein Kleid nicht zu beschmutzen, neben ihn.

𝐭𝐡𝐞 𝐟𝐢𝐫𝐞 𝐲𝐨𝐮 𝐬𝐭𝐚𝐫𝐭𝐞𝐝 - 𝐞𝐫𝐰ä𝐡𝐥𝐭 Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt