Geduld ist eine Tugend

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Als ich gemeinsam mit Ellory am nächsten Morgen die Treppen zum großen Saal heruntersteige ist aus diesem schon Gemurmel zu hören.
Wir treten durch die Tür und sehen uns um. Der Raum hat hohe Decken, ist jedoch insgesamt kleiner als erwartet. Ein langer Tisch reicht von einer Seite des Raumes bis zur anderen. An ihm sitzen bereits die anderen Kandidatinnen. Ein zweiter Tisch steht etwas erhöht im hinteren Bereich des Raumes, er ist leer. Doch es ist eindeutig das dort eigentlich die Königsfamilie säße. Vermutlich speisen sie in einem anderen Raum, abgetrennt von uns damit wir erst ein mal in Ruhe etwas essen können. Ich setze mich neben Ellory. Wenn es stimmt was das Mädchen gestern behauptet hat, dann muss ich nur noch einen vielleicht zwei Tage hier sein.
Hoffentlich schmeißen sie mich aus diesem Irrsinn noch bevor ich die Königsfamilie treffe, denke ich spöttisch während ich das Essen betrachte. Frisches duftendes Brot, allerlei farbenfrohe Früchte, verschiedene Aufstriche und eine große Glasschüssel mit Magerquark- das denke ich zumindest, denn Abelyn- heute übrigens in einem grünen Wickelkleid- tut sich gerade einen Klecks auf ihren Teller.
Ich hingegen greife nach dem Brot und bediene mich an einem wortwörtlichen Berg Frischkäse. Ein Mädchen, zwei Plätze neben mir zu meiner Rechten, schaufelt sich ununterbrochen die fluffig aussehenden Pancakes in dem Mund. Natürlich dauert es nicht lange bis auch Abelyn sie bemerkt und sie mitleidig ansieht. "Ich bewundere dich Maddie", meint Abelyn. "Du kannst so viel essen ohne jegliche Schuldgefühle zu haben." Ihrer Stimmlage nach zu uhrteilen ist sie nicht sonderlich angetan von den Tischmanieren des Mädchens. Dieses zieht peinlich berührt den Kopf ein. Ich esse schweigend weiter und ignoriere sie so gut es eben geht.

Wenn man mein Verhalten von Außen betrachtet, würde man natürlich sofort denken ich hätte Angst vor Mädchen wie Abelyn. Aber ich will einfach nur meine Ruhe. Früher hätte ich mich für das Mädchen eingesetzt- was ich auch jetzt noch machen würde- wären wir nicht an diesem Ort und nicht mit diesen Leuten unter einem Dach, naja, wohl eher Dächer, etwa zwanzig.

Glücklicher Weise öffnen sich in diesem Moment die Türen und jeder Kopf dreht sich um zu sehen ob nicht gerade die Königsfamilie eintritt. Doch es ist nur Cordelia die in einem bodenlangen, abermals hochgeschlossenen smaragdgrünem Kleid, es sieht überraschend gut aus und steht im Kontrast mit ihren offenen orangen Haaren. Keine Spur von dem Hut. "Meine Damen", sie lässt den Blick über uns schweifen.

"Sie sind sicher alle schon aufgeregt und freuen sich auf das Treffen mit dem Königspaar und den drei jungen Männern", einige Mädchen kichern und beginnen zu mit ihrer Nachbarin tuscheln. "Doch davor möchte ich Sie daran erinnern sich zu benehmen, immerhin stehen sie nachher vor den Herrschern unseres Landes." Aus dem Augenwinkel sehe ich wie Abelyn sich zu Cécile Ward dreht und ihr etwas ins Ohr flüstert woraufhin beide kichern. Wir folgen Cordelia aus dem Raum. Ich gehe neben Ellory her und erneut fallen mir die prächtigen Gemälde an den Wänden auf. Erdfarben, prächtiges kirschrot, lavendel und kobaltblau stechen hervor. Ich werfe einen Blick zu Ellory, sie grinst wissend. Den Fakt das ich gleich auf die mächtigste Familie des Landes treffe lässt mich überraschend kalt. Vermutlich ein Fehler. Jedoch kann ich nichts dagegen machen das ich mich nicht fühle als ob ich zeitnah einen Ohnmachtsanfall erleiden könnte. Der Anblick anderer Mädchen lässt mich eine Ohnmacht nicht ausschließen.

Als wir stehen bleiben sehe ich auf. Abelyn zupft an ihrem Kleid herum und zieht dann auch noch allen Ernstes ihren Ausschnitt nach unten. Sie hebt den Blick und starrt mich aus zusammengekniffenen Augen an. Ich weiche ihrem Blick aus, gerade bin ich nicht sonderlich erpicht auf ein Starrduell mit ihr. Die Augen verdrehend streiche ich selbst mein bordoughfarbenes Kleid glatt und schiebe mir dann doch eine Haarsträhne hinters Ohr. Es herrscht ein regelrechtes Gedränge um die vorderen Plätze. Wir stehen schon seit drei Minuten vor einer Tür und warten auf irgendetwas. Warten konnte ich noch nie leiden. "Geduld ist eine Tugend", pflegt mein Vater immer zu sagen. So liegt es natürlich einzig und allein am Warten, dass ich nervös von einem Fuß auf den anderen trete. Nach einer gefühlten Ewigkeit werden die Türen von innen geöffnet. Es scheint als würden alle die Luft anhalten, während wir eintreten.

𝐭𝐡𝐞 𝐟𝐢𝐫𝐞 𝐲𝐨𝐮 𝐬𝐭𝐚𝐫𝐭𝐞𝐝 - 𝐞𝐫𝐰ä𝐡𝐥𝐭 Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt