Verspätungen und zu große Türen

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Ein Wackeln lässt die ganze Kutsche erzittern als wir über einen offenbar großen Stein fahren. Ich schrecke hoch und sehe aus dem Fenster, gleich darauf mache ich große Augen. Wir müssen bereits in Viterra sein, denke ich, während meine Nase an der Scheibe platt drücke. Als mir bewusst wird, wie ich mich benehme, lehne ich mich zurück, kann jedoch den Blick nicht anwenden. Auf der anderen Seite des Fensters ziehen elegante Stadthäuser an mir vorbei. Menschen gehen über die Bürgersteige und Kreuzungen. An den Straßenecken laden kleine Cafés zum entspannen ein. Ich entdecke sogar einen Straßenkünstler.
Ich weiß nicht genau wie lange wir weiterhin fahren, aber irgendwann hält die Kutsche an und ich sehe erneut aus dem Fenster. Vor mir erhebt sich der Palast. Als erstes kann ich nur die Mauer, die das Bauwerk von dem Dorf trennt erkennen, doch gleich darauf fahren wir weiter und somit durch den hohen Torbogen.

Dann erstreckt sich der Palast vor mir, er wurde aus einem wunderschönen, weißen Gestein gebaut und der große Turm in der hinteren Mitte des Bauwerks scheint in den Wolken zu verschwinden. Trotzdem erkenne ich eine wunderschöne Kuppel.

Mein Blick schweift über die vielen kleineren Türmchen, den großen Fenstern und landet letztendlich auf einer übergroßen Eingangstür.

Mal ehrlich, sie ist eindeutig zu groß. Der Hof ist übersäht mit penibel geschnittenem Gras, über das hin und wieder ein Angestellter in der Uniform des Hofstaats hetzt. Da ich so damit beschäftigt bin einer Frau in hohen passend blauen Stöckelschuhen mit beinahe einen Meter langen Absätzen nachzusehen und mich zu fragen, wie sie damit überhaupt voran kommt, noch dazu auf dem Rasen, bemerke ich die andere Frau erst, als sie direkt vor mir steht und mich kritisch mustert.

Überrumpelt betrachte ich sie. Das einzige, dass noch mehr hervorsticht als ihr grässlicher Hut sind ihre orangen Haare. Sie trägt ein dunkelblaues Etuikleid, es bedeckt ihre Schultern und reicht ihr bis unter die Knie. Das Kleid ist zwar schlicht und konservativ aber schön.

"Guten Tag, mein Name ist Cordelia", stellt sich die große, schlanke Frau vor. Ich verberge meine Gedanken in einem breiten Lächeln und stelle mich meinerseits vor. Wie sich herausstellt, ist Cordelia so etwas wie unsere Lehrerin während der Zeit im Schloss. Sie bringt uns bei wie man
,ein angemessenes Verhalten an den Tag legt, wie man geht wie es sich für eine Lady gehört oder die Geschichte unseres Landes versteht'.
Na super.
Ich werde also noch einmal ganz von vorne anfangen. "...Deshalb ist Ihr erster Eindruck sehr wichtig", endet gerade Cordelia und mir wird bewusst das ich mich nicht an den Anfang des Satzes erinnern kann. "Entschuldigen Sie wie bitte? Könnten Sie das nochmal wiederholen?", ihre Miene ist abschätzend und herablassend. Ich bleibe ruhig und lasse mir nicht anmerken wie sehr ich es hasse beurteilt zu werden. "Ich sagte gerade, dass Sie eine der Letzten sind, nahezu alle Anderen befinden sich schon im Salon", sie schürzt ihre Lippen, offensichtlich unzufrieden über meine Ungeschicktheit.
"Nun ja. Jetzt, da Sie eingetroffen sind folgen Sie mir bitte", mit diesen Worten dreht sie sich um und geht ohne zu warten das letzte Stück auf die Tür zu. Sie ist wohl eher ein riesiges Tor.

Zwei der Wachen, die mir vorher gar nicht aufgefallen sind öffnen es für uns und wir treten hindurch.
Das Innere des Palastes ist genau so imposant, wie sein Äußeres. Wir stehen in einem großen, offenen Raum. Die Decken sind hoch und die Wände zu meiner Überraschung behängt mit Kunstwerken. Bild an Bild reiht sich an den gegenüberliegenden Wänden aneinander.

Ich glaube sogar ein Werk von William Turner zu erblicken, während wir an weiteren vermutlich unbezahlbaren Gemälden vorbei auf eine Tür weiter hinten zugehen. Von dort drängt bereits ein regelrechtes Wirrwarr von Stimmen zu uns hinüber.

Als wir eintreten versiegen die Gespräche und es kehrt Stille ein. Mein Blick gleitet über die Personen im Zimmer. Als ich vierundzwanzig aufgeregte, junge Mädchen zähle, bestätigt sich Cordelias Aussage, ich bin die Letzte.
Überall sehe ich zartes Rosa, Weiß und Beige, die Sofas, die keinen Tischchen, die Kleider der anderen Kandidatinnen und ab und zu ertönt vereinzelt ein verhaltenes Lachen.

"Hey", ertönt eine Stimme hinter mir. Als ich mich umdrehe steht eine der Erwählten vor mir. Sie hat lange blonde Haare, verblüffend blaue Augen und trägt ein dazu passendes hellblaues Kleid. "Ich bin Ellory Carrington", stellt sie sich vor und schenkt mir ein kleines Lächeln. "Avery Fernsby", erwidere ich und versuche mich daran zu erinnern aus welcher Stadt sie stammt. "Du bist gerade erst gekommen oder? Aber keine Angst du hast nichts verpasst, bis jetzt hat man uns noch nichts Relevantes mitgeteilt."

𝐭𝐡𝐞 𝐟𝐢𝐫𝐞 𝐲𝐨𝐮 𝐬𝐭𝐚𝐫𝐭𝐞𝐝 - 𝐞𝐫𝐰ä𝐡𝐥𝐭 Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt