Die Krone oder das Volk

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Eine Weile reden wir über den Palast und das Essen und das Wetter. Als das Gespräch letztendlich zum erliegen kommt, meide ich seinen Blick und starre stattdessen auf den Springbrunnen während ich deutlich seine Augen auf mir spüren kann.
"Dieses hässliche Ding steht hier schon seit etwa siebzig Jahren herum", als Jasper das sagt drehe ich mich überrascht zu ihm. Er sitzt auf der Decke, seinen Oberkörper auf die Ellenbogen gestützt und betrachtet den Brunnen. Als er meine Miene bemerkt verzieht er leicht das Gesicht, fängt sich jedoch gleich wieder und sagt mit einem kleinen Lächeln: "Aber da Sie sich offenbar für Kunst zu interessieren scheinen, wäre es mir eine Ehre Ihnen einige der weitaus hübscheren Kunstwerke des Schlosses zu zeigen."

Ich weiß nicht ob er sich bewusst für solch eine zweideutige Wortwahl entschieden hat. Entweder bemerkt Jasper mein Unbehagen nicht oder er hat sich dazu entschlossen es zu ignorieren..oder hat er genau darauf abgezielt? Mein Blick gleitet wieder zu dem Springbrunnen zurück. "Ich finde ihn hübsch", das ist das einzige was ich dazu sage. Sollte ich ihn gekränkt haben, so lässt er sich jedenfalls nichts anmerken.

"Gestatten Sie mir die Frage, wieso genau sind Sie so erpicht darauf Zeit mit mir zu verbringen?"
Jasper mustert mich eingehend, er sieht umwerfend aus in dem schwarzen Pullover und der grauen Hose. Tiefbraune Haare fallen ihm auf elegante Art in die Stirn- sofern so etwas überhaupt elegant wirken kann. Inzwischen ist der Abend über das Land gezogen und ein zunehmend kühlerwerdender Wind lässt die Hecken um uns herum unentwegt flüstern. Es ist wie ein stetiges Murmeln während Jasper schweigt.
"Wieso sollte ich keine Zeit mit einer klugen, witzigen, Dame verbringen wollen?"
Als er spricht klingen seine Worte spontan und nebensächlich. Doch aus irgendeinem Grund habe ich das Gefühl, dass er eben diese Worte mit Bedacht gewählt hat.

Jasper blickt mich von seiner Position aus aufmerksam an und es kommt mir vor als erwarte er etwas von mir. Nur weiß ich nicht was. Ich lächle ihn verbissen an und zucke mit den Schultern. "Ich bin ganz und garnicht witzig", gebe ich letztendlich von mir und betrachte wieder den Brunnen. Die untergehende Sonne verwandelt das täuschend liebliche Gesicht der Engel in grässliche Fratzen und mit einem mal wirken sie bedrohlich.

"Sagen Sie so etwas nicht", meint Jasper ernst und zieht seine Augenbrauen zusammen. Ich lache. "Wieso nicht?" Er richtet sich auf und ist mir somit plötzlich sehr viel näher als gerade eben noch. Eingehend betrachtet er mein Gesicht. "Weil das Ihrer Selbst gegenüber nicht richtig ist."
"Kommt jetzt der Part wo Sie mir die neue strahlende Welt mit verändertem Selbstbild und den zwitschernden Vögeln offenbaren? Und ich dann ein komplett anderer Mensch bin? Mit tanzen im Regen und einem aufbauenden Spruch für jeden neuen Tag?"
Darauf kann ich nämlich gut verzichten.
Jaspers ohnehin schon gerunzelte Stirn legt sich nur noch mehr in Falten als ich das sage.
"Ich denke nicht das Sie dabei Hilfe benötigen. Sie können diese Welt sehr gut alleine finden. Wenn Sie es zulassen. Vielleicht ist sie ja schon da und sie sehen sie nur noch nicht."

Ich hebe eine Augenbraue, bringe letztendlich jedoch nur ein: "Klar, wie auch immer", heraus. Nach einer Weile des Schweigens greife ich kurz entschlossen nach einem der Käsewürfel, die auf dem Tablett neben glänzenden, grünen Weintrauben auftrapiert sind, führe ihn zum Mund und kaue so lange wie möglich darauf herum.

Jasper ist seltsam. Wie Aleksander redet er nicht sonderlich viel- doch wenn er den Mund öffnet, benutzt er ihn um Weisheiten oder allerlei nette Sachen zu sagen. Ihn scheint es nicht zu stören, dass ich seine Komplimente weder angenommen habe, noch das ich mich bedankt habe.

Mit einem Seufzen lasse ich den Rücken auf die Decke fallen und starre hinauf zu dem inzwischen dunkel gewordenen Himmel.

"Was halten Sie eigentlich von dem Casting?", frage ich bedächtig und kaue auf meiner Unterlippe herum. Als es mir bewusst wird presse ich die Lippen auf einander. Du willst doch keine Lippen haben, die nur noch an Fetzen an deinem Mund hängen Liebes, hatte meine Mutter mir eines Abends geraten als wir nach dem Essen am glänzenden Esstisch gesessen hatten. Agatha- ich verzichte drauf sie Mum zu nennen seit ich acht bin- besteht darauf, das ich mich überall und zu jeder Zeit damenhaft benehme. Für eine Dame gehöre es sich nicht die Beine übereinanderzuschlagen, mit vollem Mund zu sprechen,- oder am besten überhaupt zu sprechen wenn man nicht explizit dazu aufgefordert wird- und vor allem solle eine vornehme Frau niemals die Stirn runzeln, allzu offensichtlich gähnen oder auf ihrer Lippe kauen.
Sie verzichtet bereits Zeit meines Lebens auf allerlei natürliche Gesten wie Stirnrunzeln, Lippenkräuseln oder Augenrollen.

Sie hat sich oft beschwert das sie, auf Grund ihrer Schwangerschaft an Gewicht zugelegt hat und dieses nun nicht mehr loswird.
So etwas hört man von der eigenen Mutter immer gerne.

"Das ist schwer zu sagen. Natürlich verstehe ich wie wichtig dieser Wettbewerb seit jeher ist. Und ich weiß auch was von uns dreien erwartet wird. Aber...", er sieht mich an und ich warte, unerwartet erpicht darauf, seine Meinung zu erfahren. "Im Casting geht es nicht nur darum sich zu verlieben, wir müssen uns hundertprozentig sicher sein ob unsere Wahl auch für das Volk akzeptabel ist..ich weiß das klingt lächerlich aber gerade in dieser Zeit darf sich das Königshaus keinen Fehler leisten. Die Bürger sind wütend und beginnen ihr Vertrauen in die Krone zu verlieren. Wir dürfen das nicht zulassen."

Jasper fährt sich mit fast greifbarer Verzweiflung durch die dunkelbraunen Strähnen seines Haares.
"Das Volk hat viel Macht in unserem Land. Natürlich, die Meinung eines einzelnen Bürger wirkt im Vergleich zu der eines Mitglieds des Königshauses wie ein Sandkorn in der Wüste. Aber wenn beispielsweise ganze Städte der gleichen Meinung sind...dann ist das natürlich etwas anderes."
Jasper hat den Blick in die Ferne gerichtet während er spricht.

"Ich stimme Ihnen zu, aber was passiert mit Leuten die mit dieser Revolution nichts zu tun haben wollen? Was geschieht mit denen die bloß ein friedliches Leben haben wollen? Ich denke uns beiden ist klar das auch sie sich irgendwann für eine Seite entscheiden müssen..und dann steht auch ihr Leben auf dem Spiel."
Jaspers Blick kehrt zu mir zurück.

"In dieser Zeit kann man es sich nicht leisten unparteiisch zu bleiben. Jeder hegt Sympathien für eine der beiden Seiten und jeder muss ich früher oder später entscheiden." In seine Augen tritt ein harter, entschlossener Ausdruck.

Ich wende den Blick ab.

Für oder gegen die Monarchie.
Für das Volk oder für den König?

Danke für 7Tsd reads!

𝐭𝐡𝐞 𝐟𝐢𝐫𝐞 𝐲𝐨𝐮 𝐬𝐭𝐚𝐫𝐭𝐞𝐝 - 𝐞𝐫𝐰ä𝐡𝐥𝐭 Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt