Ehrlichkeit

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Aleksander schließt die Tür und steht in meinem Zimmer. Naja zugegeben, ich teile es mit Ellory. Trotzdem kommt es mir so vor als besäße er jetzt einen Teil von mir. Einen winzig kleinen natürlich- aber dennoch. Keine Ahnung weshalb ich so nervös bin, schließlich verbringen alle Kandidatinnen praktisch mehr Zeit im großen Saal als in diesen Zimmern und ihnen es fehlt selbstredend an persönlicher Note. Als ich mich zu ihm drehe stelle ich fest das er mich beobachtet. "Ellory, meine Zimmergenossin ist eben losgegangen um unsere Zofen zu holen weil-", ich lasse den Satz unvollendet als mir wieder einfällt das ich heute noch mit Jasper verabredet bin. Wieder ärgere ich mich das er keine genaue Uhrzeit genannt hat. "Egal, jedenfalls wird sie bald zurückkehren."

Wie von selbst kehren meine Gedanken zum gestrigen Abend zurück. Und ich frage zögerlich: "Weshalb ist Abelyn so ausgerastet?"
Er sieht mich unschlüssig an so als würde noch er überlegen ob er mir seine wertvolle Zeit schenken soll. Dann ist es als ob er denken würde: scheiß drauf.

"Miss Kedra hat bei der Umfrage den zweiten Platz belegt." Seine Stimme ist teilnahmslos und distanziert. Als ich die Stirn runzle fährt er fort: "Laut der Meinung des Volkes sind Sie um einiges besser für den Rang geeignet als sie." Ein hysterisches Lachen entweicht mir bevor ich es zurückhalten kann. Ungläubig starre ich Aleksander an und warte darauf das er zugibt mich auf den Arm genommen zu haben. "Ich bin auf dem ersten Platz? Aber das Volk kennt mich überhaupt nicht!" Jetzt runzelt er die Stirn "Abelyn kennt es genau so wenig." Ich schnaube. "Ich verstehe das nicht. Was sollte ich bitte getan haben um die Favoritin des Volkes zu werden? Ich will doch nicht einmal hier sein!" Ich beiße mir so heftig wie ich vermag auf die Innenseite meiner Wange und vermeide es in Aleksanders Richtung zu sehen. "Und trotzdem sind Sie es dennoch", stellt er ungewohnt geduldig fest. Plötzlich macht er einen Schritt auf mich zu und sagt: "Ich frage mich wieso das so ist." Noch ein Schritt. "Ich bin noch hier weil Sie drei mich noch nicht rausgeschmissen haben", stelle ich mit fester Stimme klar.
Ein Muskel an seiner Wange zuckt. Als er noch einen Schritt auf mich zumacht ist dort wieder dieser eigenartige Ausdruck auf seinem Gesicht.
Die Tür geht auf und Ellory tritt ein, dicht gefolgt von Vivian, Catherine und Tessa. Hastig trete ich einen Schritt nach hinten, Aleksander und ich sind zwar nicht sonderlich nahe beieinander gestanden- jedenfalls nicht so nahe das es unangebracht gewirkt hätte- aber ich tue es trotzdem. "Avery, wir haben Jasper auf dem Gang getroffen, er hat gesagt er kommt um- oh.."

Erst jetzt, wo sie ganz im Zimmer steht bemerkt Ellory Aleksander neben mir. Die vier knicksen eilig und werfen sich anschließend einen Blick zu. Aleksanders Augen bleiben auf mich geheftet. "Guten Tag die Damen, es tut mir leid das ich so unerwartet hier auftauche, genau genommen wollte ich gerade gehen", er lächelt die Vier an doch sein Blick gleitet sofort wieder zu mir. Zweifelsohne ist ihm nicht entgangen das Jasper mich um ein Treffen gebeten hat.
Für einen Moment sehe ich den vielleicht Prinzen an und muss schlucken weil auch er meine Augen sucht.
Dann nehme ich einen tiefen Atemzug und setze ein Lächeln auf. "Stimmt, er wollte gerade gehen. Vivian? Haben Sie vielleicht schon eine Idee welches Kleid ich heute tragen kann?" Mit diesen Worten drehe ich mich von Aleksander weg und gehe auf den Kleiderschrank zu. Ich höre Schritte hinter mir die sich sich in Richtung der Tür bewegen und bald darauf wird sie geöffnet. "Auf Wiedersehen Lady Avery, ich hoffe es geht Ihnen bald besser. Lady Ellory." Ich stelle mir vor wie er ihr zunickt und sie und unsere Zofen vor dem Mann knicksen. Dann fällt die Tür hinter ihm ins Schloss.
Ich stoße den angehaltenen Atem aus und drehe mich zögerlich zu den Vieren um. Erwartungsvoll lächelt Ellory mich an. Toll.
"Also? Was hat Jasper gesagt?", frage ich und versuche dabei locker und entspannt zu klingen- obgleich mein ganzer Körper unter Strom steht. Ich spüre förmlich wie sich Ellory gedanklich eine Notiz macht mich später noch danach auszufragen.
"Er hat uns gebeten dir auszurichten das er um Punkt sieben vor deinem Zimmer auf dich wartet." Ich nicke beklommen und schiebe mir das Haar aus dem Gesicht.
Tessa macht einen Schritt auf mich zu ihr Gesicht ist von Sorge überschattet. "Wie geht es Ihnen Lady Avery?" Mit einer wegwerfenden Handbewegung, als sei diese Frage lediglich eine lästige Fliege versuche ich ihnen allen klarzumachen, dass es mir gut geht und sie sich nicht andauernd Sorgen machen sollen. Doch der sorgenvolle Ausdruck verweilt auf ihren Gesichter. Ich seufze und wende mich wieder dem Kleiderschrank zu. "Wenn Jasper mich um sieben Uhr abholen will bedeutet das ich habe noch genug Zeit um endlich ein Bad zu nehmen."

Ich höre wie Ellory nach kurzem Zögern erwidert: "Du bist die erste Wahl des Volkes Avery." Ich weiß nicht was ich darauf antworten soll also schlucke ich und entgegne dann: "Ich weiß, vielleicht wurde bei der Zusammenstellung der Liste mein Name versehentlich mit dem von Abelyn vertauscht oder die Redakteure haben sich einen Spaß erlaubt weil sie dachten: ha! Die ist ja auf dem letzten Platz, wie wärs wenn wir sie mit den ersten Platz tauschen?"
Oder meine Eltern haben damit etwas zu tun.
Der Gedanke ist beunruhigt mich mehr als er sollte.
"Auf welchem Platz bist du eigentlich?", frage ich vier Stunden zu spät. Ellorys Miene wechselt von besorgt zu einer Mischung aus Zufriedenheit und Unbehagen. "Ich habe die drittmeisten Stimmen bekommen", murmelt sie leise. Meine Augenbraue verschwinden vermutlich gerade unter meinem Haaransatz, so überrumpelt bin ich von ihrem Zugeständnis.
Dann reiße ich mich zusammen und stoße ein: "Oh, das ist toll!", aus, welches selbst in meinen Ohren stumpf klingt. Ellory dagegen straft die Schultern und lächelt mich an. "Du nimmst erst einmal ein Bad während wir ein Kleid für deine Verabredung auswählen, abgemacht?"
Ich nicke nur während mein Gehirn wieder einmal alle neuen Informationen verarbeitet.
Meine Eltern könnten tatsächlich etwas damit zu tun haben. Sie könnten mit jemanden bei der Zeitschrift in Kontakt stehen und so Einfluss auf die Wahl gehabt haben. Oder sie könnten die Menschen aus unserem Dorf dazu gebracht haben für mich zu stimmen...oder oder oder.
Ich kann nicht mit völliger Sicherheit sagen ob sie ihre Finger im Spiel gehabt haben aber denkbar wäre es durchaus. Agatha Fernsby ist schon immer eine respekteinflößende Frau gewesen. Wenn sie sich etwas in den Kopf setzt arbeitet sie so verbissen darauf hin, dass sie die Menschen um sich herum vergisst. Sie blendet sie einfach aus wenn sie nicht ihr nicht gerade in die Hände spielen.
Ich schüttle den Kopf während Vivian in das Bad tritt und den Wasserhahn der großen Marmorwanne aufdreht. Das laute, gleichmäßige Plätschern des Wassers übertönt meine Gedanken und ich bedanke mich bei Vivian. Als sie den Raum verlässt, stehe ich einen Moment regungslos da.
Ich schließe die Augen und atme mehrfach ein und aus.

𝐭𝐡𝐞 𝐟𝐢𝐫𝐞 𝐲𝐨𝐮 𝐬𝐭𝐚𝐫𝐭𝐞𝐝 - 𝐞𝐫𝐰ä𝐡𝐥𝐭 Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt