Erste Entscheidung

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Sie haben sich auf die Stühle am mittleren Rand der Bühne niedergelassen und wirken alle ebenso hoheitsvoll wie das Königspaar neben ihnen. Der König hat eine Hand auf die seiner Gattin gelegt, sein Blick gleitet kurz durch den Saal bevor er sich abwendet um Gabriel, welcher etwas weiter vorne auf einem der drei Stühle sitzt, etwas mitzuteilen.
Ich mustere Helen, die sich gerade mit einem der Kameramänner unterhält, eine Hand gerade zu lasziv auf seinem Arm angelegt.
Der Mann lässt sich nicht anmerken ob er davon überhaupt Kenntnis nimmt während er die Position der Kamera ein paar mal hin- und herdreht bis sie schließlich in der von ihm gewünschte Position befindet.
Die Kameraleute rufen sich immer wieder etwas zu, bis sie dann endlich Gabriel zunicken und dieser auf dem Stuhl die Beine übereinander schlägt, ein Mikrofon neben sich auf dem Beistelltisch.

Schräg hinter ihm sitzt die Königsfamilie, allesamt in aufrechter Haltung und mit dem Gesichtsausdruck, den sie offenbar für jeden offiziellen Anlass hervorholen.
An der Wand hinter ihnen ist die Flagge Rawkas an die Wand projiziert was das Ganze noch respekteinflößender und vor allem förmlich wirken lässt.

"Guten Morgen Volk von Rawka!", tönt die volle, enthusiastische Stimme des Moderators durch den Raum. Helen sitzt jetzt hoheitsvoll neben ihm und lächelt in die Kamera.
"Heute ist es so weit. Die erste Entscheidung der Prinzen steht an."
Erneut frage ich mich je viel die Zwei die nicht der Prinz waren mitzubestimmen haben. Wie viel Gewicht hat ihre Meinung? Wieder zieht es meine Augen zu den drei Hochwohlgeborenen. Aleksanders Blick trifft den meinen völlig unerwartet und ich muss mich zusammennehmen. Unsicher darüber, ob ich wegsehen oder seinem Blick standhalten soll starre ich ihn einfach weiter an. Er trägt ein feines dunkelblaues Hemd und eine nicht minder elegante Hose. Ich glaube das ist das erste mal das ich ihn in etwas anderem als schwarz zu Gesicht bekomme. Obgleich die Farbe seines Hemds schwarz ziemlich nahe kommt.

Mein Mund ist plötzlich ziemlich trocken. Als ich schlucke fühlt es sich an als rinne Sand meine Kehle hinunter.
Ich sehe weg, betrachte meine Hände die ordentlich gefaltet auf meinem Schoß liegen.
"Ich muss schon sagen, der gestrige Ball hat wirklich alles Bisherige übertroffen!", diese Aussage richtet Gabriel an Helen, welche zustimmend nickt und dann bestätigt: "Gäste aus dem ganzen Land hatten gestern das Vergnügen eines Gesprächs mit der Königsfamilie. Alle waren außerordentlich erfreut über dieses Fest und ich muss zugeben das mir heute beim Aufstehen etwas schwindlig war", daraufhin grinst Gabriel süffisant und ich verdrehe die Augen.

Nach etwa fünf Minuten weiteren Geplappers, wendet sich der Moderator schließlich zur Seite und lächelt die Königsfamilie an. "Bevor wir anschließend zu der schon so ersehnten Entscheidung kommen, werden wir zuallererst das Ergebnis der Volkswahlen erhalten, dieses ist soeben eingetroffen." Ein Diener steigt die Bühne hinauf und überreicht Gabriel einen kleinen Umschlag den er dankend annimmt.
Ich halte die Luft an. Also habe ich mit meiner Vermutung über eine Abstimmung innerhalb des Volkes recht behalten. Selbstredend ist die Meinung der Bürger in der derzeitigen Lage von enorm hoher Bedeutung. Ich frage mich wie viel Einfluss das Volk wohl wirklich auf diesen Wettbewerb hat. Immerhin findet er zu großen Anteilen aufgrund der Unruhen statt.

Ellorys Hand tastet nach meiner und ich sehe überrascht zu ihr auf. Sie drückt meine Hand und ich lächle sie halbherzig an.
Ohne mein Zutun hämmert mein Herz. So heftig, als wolle es sich seinen Weg durch meine Brust pochen und aus meinem Körper fliegen. Ich schlucke, erwidere den Druck ihrer Hand schwach. Mein Blick richtet sich wieder auf die Bühne.
Gabriel öffnet in diesem Moment den Umschlag, holt ein gefaltetes Blatt hervor und klappt es auf. Seine Augen überfliegen das Geschriebene. Es ist so still im Raum das ich fast befürchte, die Anwesenden könnten mein Herz donnern hören.
Dann sieht er auf, ein Grinsen auf dem Gesicht während er sich kurz zu den drei Hochwohlgeborenen wendet und ihnen einen bedeutungsvollen Blick zuwirft. Natürlich ist die Kamera gerade auf Helen gerichtet sodass das Volk den Blick nicht mitbekommt. Aleksanders Blick schießt in meine Richtung. Ich runzle die Stirn und sehe stattdessen Gabriel an welcher sich bereits wieder abgewandt hat.
"Ich bitte nun alle Kandidatinnen auf die Bühne." Gemeinsam erheben wir uns und jeder streicht mit einer schnellen Geste über sein Kleid um sicherzugehen das keine Falten zu sehen sind. Man will sich ja nicht vor aller Augen blamieren indem man den Eindruck erweckt man würde nicht auf sich achten. So verdammt oberflächlich. Juniper, ich kenne sie von sehen, atmet so heftig das ich denke sie müsste jeden Moment umkippen.

Der Gang die Bühne hinauf ist lang. Okay, eigentlich dauert er lediglich siebzehn Sekunden und nochmals zehn bis alle Mädchen oben angekommen sind. Trotzdem wirkt es, als wäre eine Ewigkeit vergangen bevor wir endlich von Gabriel und Helen mit einem Lächeln und einem Nicken in Empfang genommen werden. Die Kamera mit den Rollen bewegt sich geschmeidig, geführt von einer konzentriert wirkenden Frau, die Reihe der Kandidatinnen entlang. Ich setze ein zaghaftes Lächeln auf und blicke in die Linse.
Lächeln und weiteratmen Avery.

Die Flagge an der Wand wird durch ein schwarzes Feld ersetzt und Gabriel dreht sich zu uns um.
"Ich werde nun die fünf beliebtesten Mädchen nach Meinung des Volkes aufrufen. Danach werden die Prinzen ihre Entscheidung bekannt geben."

Das Ganze kommt mir vor wie ein abgekartetes Spiel. Wenn das Volk eine Kandidatin ausgewählt hat, welche eigentlich vom Prinzen nachhause geschickt werden sollte muss dieser ohne Frage seine Meinung überdenken und sie vermutlich sogar ändern.

Wieder einmal fällt mir auf wie viel Macht das Volk besitzt.
"Es gesellen sich bitte zu mir: Abelyn Kedra."
Na toll. Weshalb würde das Volk sie wählen?

"Ellory Carrington", ich blicke zu meiner Freundin und grinse. Ellory strahlt und folgt Abelyn, die auf Gabriel zu stolziert.
"West Evrow", überrascht tritt West vor. Gabriel lächelt allen anerkennend zu bevor er weiterfährt: "Lenora Pendossar", ein hübsches Mädchen mit rötlichen Haaren regt sich und tritt vor. "Und zu guter letzt Avery Fernsby."
Mein Herz setzt einen Schlag aus.
Was?
Mein Blick fliegt zu Aleksander und gleich darauf verfluche ich mich dafür. Seine Augen sind auf mich gerichtet, wie immer kann ich seinen Gesichtsausdruck nicht deuten. Blödes Pokerface.
Schnell überprüfe ich ob mein Kleid auch wirklich so sitzt wie es sein soll und setze dann ein Lächeln auf während ich zu den anderen vier Mädchen gehe.

Währenddessen richtet Gabriel bereits wieder das Wort an die Zuschauer: "Die Abstimmung hat fünf Spitzenkandidatinnen aufgezeigt." Er weißt mit einer Geste auf uns.
"Leider können wir die restlichen Platzierungen aus Zeitgründen nicht mehr nennen, aber morgen wird ein vollständiger Artikel mit den genauen Platzierungen in so gut wie jeder Zeitung nachzulesen sein."
"Aber nun zu diesen fünf Schönheiten!"

Auf ein Zeichen Seitens des Moderators hin, erhebt sich Helen mit einer fließenden Bewegung und greift nach dem Mikrofon auf dem Beistelltisch neben Gabriels Stuhl.

Anmutig tritt Helen Pendotch zu uns, gefolgt von einer der mit Rollen ausgestatteten Kamera. Sie grinst uns an und wendet sich schließlich- wie hätte es auch anders sein sollen- Ablyn zu. Diese lächelt sie sogleich professionell an.

"Hallo Helen, es ist eine Freude Sie hier wiederzusehen." Damit begrüßt sie einerseits die Frau und vermittelt den anderen durch die Blume das sie bereits im Vorteil ist, weil sie Helen persönlich kennt. Ich stehe neben Ellory am Ende der Reihe und lausche den Gesprächen die Helen mit den jeweiligen Mädchen führt.
Hauptsächlich fragt sie ob wir überrascht sind zu den Favoritinnen zu gehören oder ob wir denken unsere Chancen wären deshalb gestiegen.
Meines Erachtens sind sie das leider sehr wohl. Was ist bloß los mit mir. Im einen Moment macht mich die Vorstellung den Palast verlassen zu müssen tatsächlich traurig und im Nächsten wünsche ich mir bloß noch diesen ganzen sehr verwirrenden Wettbewerb hinter mir lassen zu können.
Und weshalb hat mich das Volk überhaupt ausgewählt?
Ohne mein Zutun frage ich mich automatisch welchen Platz ich bei der Umfrage belege, er kann schließlich nicht über fünf liegen...

𝐭𝐡𝐞 𝐟𝐢𝐫𝐞 𝐲𝐨𝐮 𝐬𝐭𝐚𝐫𝐭𝐞𝐝 - 𝐞𝐫𝐰ä𝐡𝐥𝐭 Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt