Die Freiheit führt das Volk

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Wir sollen in der Reihenfolge unserer Verkündung interviewt werden.

Da ich als letzte erwählt wurde, muss ich wohl oder übel als letzte das Interview meistern. Ellory, die als vierte vorgestellt wurde zittert leicht vor Aufregung. "Alles wird gut du wirst sehen!" Meine Worte sind lange nicht so unbeschwert wie ich es gerne hätte.

Skeptisch sieht sie mir in die Augen. "Wie kannst du so gelassen bei dieser ganzen Sache sein?" "Keine Ahnung", gebe ich zu und zucke wage mit den Schultern. "Meiner Meinung nach, treffen doch letztendlich die drei die Entscheidung", mit einer Hand zeige ich auf die drei Männer.

"Du musst bloß etwas schauspielern und deine Nervosität überspielen", die Missbilligung in meiner Stimme scheint nicht zu überhören gewesen zu sein denn auf einmal ertönt eine Stimme neben uns. "Du solltest dich erst einmal beruhigen und das ganze neutral betrachten." Es ist Jasper der spricht, er muss sich zu uns geschlichen haben, während wir geredet haben.

Unwillkürlich sehe ich zu ihm. Seine Stimme ist entspannt und auch seine Haltung drückt keinerlei Nervosität aus. "Wenn man erst einmal darüber nachdenkt ist das Ganze nicht ansatzweise so schlimm wie Du Dir ausmalst. Du wirst sehen" Ellory und ich starren ihn an. Er hingegen lächelt nur selbstsicher. Als ich einen Blick über seine Schulter werfe sehe ich das Aleksander uns beobachtet.

Vielleicht liegt es an meiner eigenen Nervosität oder an meinem Starrsinn, jedenfalls ich erwidere seinen Blick mit der gleichen Intensität. Er setzt wieder diesen spöttischen Gesichtsausdruck auf und ich schnaube leise. Leider entgeht weder Ellory, noch Jasper meine Reaktion da sie nahe bei mir stehen.

Beide sehen mich verwirrt an als ich es nach einer gefühlten Ewigkeit schaffe mich von ihm loszureißen. Ich lächle die beiden so unbekümmert wie ich kann an, und entschuldige mich. Zu allem Überfluss meldet sich jetzt auch noch meine Blase und da ich weiß das ich als letzte interviewt werde, flüstere ich Ellory kurz etwas ins Ohr und wende mich zum gehen. Glücklicherweise weiß ich das sich um die Ecke ein Badezimmer befindet das eigentlich für Gäste gedacht ist.

Ich schlüpfe in den Gang und biege links ab. Dort finde ich ohne Mühe das Bad und verschwinde darin.

Als ich wieder heraustrete will ich gerade wieder zurückgehen als etwas am anderen Ende des Gangs meine Aufmerksamkeit auf sich zieht. Langsam trete ich darauf zu.

Es ist ein Gemälde.

Die schwache Beleuchtung macht es schwer etwas zu erkennen also rücke ich noch näher heran. Es ist unverkennbar ein Kriegsgemälde. Ich erkenne eine Frauenfigur, bis zur Taille entkleidet. Ihr gelbes Kleid ist von ihren Schultern gefallen, während sie eine Muskete samt Bajonett in der linken Hand hält und mit der rechten die französische Trikolore hebt. Hoch erhoben über den Leichen der Soldaten, reißt sie das rebellische Volk in ihrem Elan mit. Die Rauchwolke hinter ihrem Kopf bildet eine Art Strahlenkranz. Mein Wissen über Kunst reicht offenbar nicht aus da ich das Bild nicht kenne. Dennoch muss es bedeutsam gewesen sein.

"Die Freiheit führt das Volk", eine Stimme lässt mich heftig zusammenfahren und ich kann gerade noch so einen Schrei unterdrücken. Als ich mich umdrehe sehe ich zu meinem Entsetzten Aleksander der an der Wand gegenüber lehnt. Mit weit aufgerissenen Augen betrachte ich ihn und versuche meinen Herzschlag unter Kontrolle zu bringen.

Ich war so auf das Bild vor mir konzentriert das ich ihn offenbar nicht bemerkt habe, noch dazu ist er ganz in schwarz Gekleidet was nicht gerade dazu beiträgt das er bei dieser Lichteinstrahlung gut zu erkennen ist. "Was?" Meine Frage kommt etwas verspätet. "Das Bild trägt den Titel die Freiheit führt das Volk", klärt er mich auf und sein Blick schweift von mir zu dem Gemälde in meinem Rücken. "Es wurde 1831 von Eugène Delacroix geschaffen. Schauplatz ist ein Straßenkampf auf einer Barrikade in Paris." Sein Ton ist neutral und er bewegt sich keinen Meter vom Fleck, verharrt im Halbdunkel sodass ich nur seine Konturen Ausmachen kann.

Als ich immer noch nichts sage fährt er fort: "Es handelte sich in erster Linie um eine politische Arbeit, die im Salon für Aufsehen sorgte, und obwohl sie sogleich von Louis-Philippe zu seinem Regierungsantritt erworben wurde, ließ er das Gemälde aufgrund der aufrührerischen Wirkung lange Zeit vor der Öffentlichkeit verborgen." Ich habe keine Ahnung weshalb er mir das erzählt oder was ich darauf erwidern soll.

Völlig überrumpelt von seiner Ansprache starre ich ihn an.

Ich kann seinen Gesichtsausdruck nicht erkennen und das ärgert mich aus einem mir unbekannten Grund. Mit einem letzten Blick auf das Gemälde drehe ich mich um und gehe wieder auf den beleuchteten Teil des Ganges zu. "Die Frau stellt also die Verkörperung der Freiheit da", sage ich nach einer Ewigkeit und gehe weiter bis ich wieder in das Licht trete.

Aleksander ist mir gefolgt und betrachtet mich jetzt von Kopf bis Fuß. "Wir sollten zurückgehen", seine Stimme ist mit einem Mal angespannt und sein Blick auf etwas hinter mir gerichtet. Als ich mich umdrehe sehe ich Jasper auf uns zukommen.

Ich bin immer noch in Gedanken bei dem Bild und schüttle den Kopf um meine Gedanken zu ordnen.

Kinda love this chapter.

𝐭𝐡𝐞 𝐟𝐢𝐫𝐞 𝐲𝐨𝐮 𝐬𝐭𝐚𝐫𝐭𝐞𝐝 - 𝐞𝐫𝐰ä𝐡𝐥𝐭 Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt