Nur Pech

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Am nächsten morgen ist das ganze Dorf auf den Beinen. Alle wuseln durcheinander, wie Ameisen in einer Zuckerschale. Tun so, als wären ihre Aktionen nicht vollkommen unsinnig. Mütter, die mit ihren Töchtern und samt ihrem Monatsgehalt die Türen des einigen Schönheitssalons des Dorfs betreten, vollkommen überzeugt von dem Sieg ihres Kindes. Der Salon besteht eigentlich nur aus zwei aneinander grenzenden und durch eine  Tür verbundenen Räumen.

Meine Mutter schleppt mich regelmäßig dort hinein. Es riecht dort immer wie in einer Parfümerie. Unwillkürlich kräusle ich meine Nase. Ich sitze auf dem Sofa im Wohnzimmer und starre aus dem Fenster. In etwa einer halben Stunde werden die Nachrichten eine Liveshow im Fernsehen ausstrahlen. Verständlicher Weise besitzen den Luxus eines eigenen Fernsehers- mit Ausnahme von uns wenige Personen des Dorfes weshalb sie sich auf das Radio in der Bäckerei der Barrow Familie stürzen. Beinahe jeder ist gekommen und steht samt Geschwistern, Eltern, sogar einigen Großeltern in der viel zu kleinen Bäckerei. Draußen hat sich bereits in den frühen Morgenstunden ein regelrechter Pulk versammelt.
Ich wäre viel lieber dort unten im Gedränge als hier oben mit meinen Eltern.

Die Tatsache, dass unser Wohnzimmer ohne Anstrengung alle diese Personen beherbergen könnte, lässt mich genervt auf die Uhr sehen.
Noch zwei Minuten.
Zwei Minuten und dann wird bekannt gegeben wer ab morgen im Palast wohnen wird. Ich starre auf den schweren Kasten, aus dem ein stetiges leises Summen dringt und frage mich gerade ob ich nicht wenigstens in etwas Schlaf nachholen kann, als das Zeichen des Königshauses auf dem Bildschirm erscheint.

Unser Fernseher ist nicht das neuste Modell, dennoch überläuft ihn keiner dieser weißen Streifen die immer bei meiner Cousine in Bomshare auftauchten wenn wir uns früher die einzige Kinderserie ansahen er ausgestrahlt hat.

"Guten Abend meine Damen und Herren", begrüßt uns ein Mann den ich auf Mitte dreißig schätze. Er trägt Anzug und Krawatte, an seinem Jackett steckt die goldene Nadel mit dem königlichen Wappen. Er stellt sich als Gabriel Vanderwoods vor. Jetzt betrachte ich die Frau, welche mit ihm an einem Tisch sitzt und breit in die Kamera lächelt. Helen Pendotch sieht aus wie eine reiche, verwöhnte Frau. Ihre goldfarbenen Haare fallen elegant über ihre Schultern und sie trägt ein schlichtes cremefarbenes Kleid.
"Endlich ist es so weit. Der Moment, auf den Sie alle gewartet haben."
Na klar. "Die Königsfamilie hat entschieden, welche der über sechshundert angemeldeten Mädchen die glücklichen Gewinnerinnen sind!"
In den folgenden, wirklich nicht erwähnenswerten Minuten schwafeln die beiden Moderatoren darüber welch grandiose Idee das Casting doch sei.

Ja, wirklich wahnsinnig brilliant, das Volk von ihren Problemen abzulenken und sie - anstatt etwas zu verbessern- mit genug Klatschmüll für die nächsten zwei Monate zu versorgen. Innerlich verdrehe ich die Augen. Hinzu kommen noch die erwarteten Spekulationen über die Identität des Prinzen. Nichts konkretes natürlich. Im Großen und Ganzen erfahre ich, dass die drei Prinz-Anwärter seit ihrer Kindheit mit einander befreundet sind, mehr nicht.

Keine Informationen über ihre Identität. Wie zu erwarten.
"Wir haben soeben die Ergebnisse erhalten." Bei der aufgeregten Stimme von Helen werde ich trotz meiner Abneigung gegenüber dieser ganzen Sache nervös.

Kann man sich bei einem arrangiertem Wettbewerb tatsächlich verlieben?

"Wir werden Ihnen jetzt die fünfundzwanzig Auserwählten vorstellen." Ein schwarzer Umriss erschien auf dem Fernseher, eindeutig weiblich. Dann wird er durch ein Foto ersetzt eines atemberaubenden Mädchens ersetzt. Dunkelblond mit stechend grünen Augen.
"Die erste Kandidatin ist Abelyn Kedra, diese Schönheit stammt aus Sunort."
War ja klar.
"Herzlichen Glückwunsch", säuseln beide wie aus einem Mund.
Das Bild wird abermals durch eine Silhouette ersetzt. Meine Mutter ändert ihre Sitzposition und schlägt die langen Füße übereinander. "Die zweite Auserwählte ist Cécile Ward, Kenettra".
Erneut wechselt das Foto.
Das Ganze geht so weiter. Bilder über Bilder von Mädchen, eines schöner als das andere. Inzwischen bin ich trotz Protest von Seiten meiner Mutter aufgestanden und habe mir ein Wasser geholt. Gegen die Kopfschmerzen, die ich plötzlich habe.

"Kommen wir zur Nummer zweiundzwanzig." Der Monitor wird schwarz und die inzwischen bekannte Gestalt erscheint. Dann taucht das Foto auf, es ist in einer mir bekannten Stadt aufgenommen. In Asteel. Ich erkenne voller Entsetzen mein eigenes Gesicht, dass mir lächelnd entgegensieht, ich sehe auf dem Foto überhaupt nicht aus wie ich selbst. Mein Mund klappt auf und ich gebe ein Geräusch das irgendwo zwischen total entnervt und ungläubig steckt. Ich sehe..schön aus. Das teuere weinrote Cocktailkleid, welches wir bei einem Besuch in Bomshare gekauft haben, steht im Kontrast mit dem grauen Stein der Gebäude um mich herum. Eine Sonnenbrille sitzt auf meinem Kopf und meine Haare glänzen regelrecht weil das Sonnenlicht auf sie trifft.

Ich wirke glücklich, obwohl ich mich noch genau an den Tag erinnere. Ich hatte einen Streit mit meiner Mutter. Mal wieder.
"Avery Jane Fernsbey," kommentiert Gabriel. "Sie hat ihr Leben bis jetzt in Asteel verbracht, doch ab morgen ist sie eine der glücklichsten Frauen im Reich."
Ich schnaube. Die Erkenntnis dringt nur langsam in mein Bewusstsein. Ich werde tatsächlich in dem Palast leben. Die anderen ausgewählten Mädchen bekomme ich nicht mehr mit weil meine Mutter in die Hände klatscht. Ich kann nur langsam den Kopf schütteln.

"Ich wusste, du würdest es schaffen! Das Foto haben wir extra ausgesucht, weil es so ziemlich das Einzige ist, auf dem du Lächelst."
Schließlich bringe ich ein Lächeln zustande. Mein Körper aber, fühlt sich taub an. Auch mein Vater wirft mir einen anerkennenden Blick zu.
Als wäre das Ganze meine Leistung.
Ich habe einfach Pech gehabt.

Es klingt kindisch, aber ich überlege ernsthaft einen Moment, ob ich mich einfach weigern kann. Vermutlich würden mich meine Eltern einfach hin schleifen.

"Ich gehe dann mal hoch und beginne zu packen", sage ich zu niemandem bestimmtem. "Gut aber nachher wird gefeiert!" Die Stimme meiner Mutter klingt aufgeregt. Ganz so, als wäre sie gerade dazu erwählt worden, an dem Casting teilzunehmen. Wohingegen eigentlich ich ausgesucht worden bin. "Okay."

Oben werfe ich mich auf mein Bett. Für Packen habe ich derzeit keine Nerven. Die Gefahr ist einfach zu groß, dass ich vor lauter Wut etwas gegen die Wand schmeiße. Meine Hände zittern vor Anstrengung genau das nicht zu tun. Ich atme tief ein. Ab morgen werde ich im Palast wohnen. Der einzige Trost ist, das ich nach der ersten Entscheidung sowieso nicht mehr Teil dieses hirnrissigen Wettstreits sein werde. Der Palast ist nichts für mich. Okay das stimmt nicht ganz, natürlich wäre er das, wenn es nicht die blöde Königsfamilie geben würde.
Als ich mich letztendlich doch noch aus dem Bett quäle, ist es bereits halb neun abends. Verdammt.

Zwei geschlagene Stunden später, bin ich gerade damit beschäftigt meinen Koffer zu schließen, als meine Mutter in meinem Zimmer erscheint. "Ab morgen wirst du eine ganz andere Welt betreten, bist du dafür bereit?". Ich stutze. Nie- wirklich noch nie hat mich jemand gefragt, ob ich breit bin. Als ich das Schwimmen lernte schubste man mich einfach in das Becken und das Klavierspielen habe ich mir mehr oder weniger selbst beigebracht.

"Das muss ich wohl, was bleibt mir denn für eine Wahl?" Bei meiner Frage schürzt meine Mutter die Lippen. "Natürlich hast du eine Wahl Liebes." Ich weiß, dass sie mir nie erlauben würde, hier zu bleiben. Meine Atmung beschleunigt sich etwas. Seit wann, will ich fragen, doch alles, was schlussendlich heraus kommt ist: "Alles okay, ich denke uns ist beiden klar das ich nicht sonderlich weit kommen werde, da ich nicht gerade erpicht darauf bin dem Prinzen schöne Augen zu machen."
"Versuche es doch wenigstens." Ihre Stimme klingt mit einem Mal dünn.
Einen Moment schweigen wir uns an.
Ich suche in ihren Augen nach einer anderen Antwort. Meine Kehle ist trocken. Also schlucke ich und wende mich ab. Ich höre die Schritte meiner Mutter die leiser werden.

"Ich schaffe das schon."

𝐭𝐡𝐞 𝐟𝐢𝐫𝐞 𝐲𝐨𝐮 𝐬𝐭𝐚𝐫𝐭𝐞𝐝 - 𝐞𝐫𝐰ä𝐡𝐥𝐭 Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt