1. Kapitel

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Sie.
Die Mädels sahen gebannt hinter mich und sprachen, mal wieder lästerten sie über jemanden. Wer gab ihnen heute den Anlass? Als ich mich umdrehte, fiel mir erst niemand auf, über den sie reden könnten. Bis mein Blick an einem Mädchen haften blieb. Sie musste neu sein, denn ich hatte sie zuvor noch nie hier gesehen, falls ich sie gesehen hätte, hätte ich mich erinnert, denn ihre Narbe war auffällig. Eine Narbe verzog ihre linke Gesichtshälfte. Sie ging von ihrer Schläfe bis kurz vor ihren linken Mundwinkel. Trotzdem war sie unheimlich hübsch. Ihre gewellten langen dunkelbraunen Haare gingen ihr bis über die Brust. Sie hatte einen hellen Teint, nicht so hell wie meiner, aber eben doch hell. Ihre Augenfarbe konnte ich von der Entfernung nicht ausmachen, sie waren hell, doch vermutlich kein blau, so wie meine. Ich tippte auf grün.
"Weißt du, wer das ist Michelle?", fragte Sara, die sowas wie die Anführerin dieser Clique hier war. Ich sah in ihr gebräuntes Gesicht, diese unnatürliche Solariumbräune sah scheußlich aus. Zumal sie wieder tonnenweise Make-Up drauf hatte, ihr barbiepinker Lippenstift sprach ebenfalls für sich. Ihre kastanienbraun gefärbten Haare trug sie heute glatt, doch umso mehr merkte man, wie kaputt diese waren. Sie färbte sie einfach viel zu oft.
"Ne, woher auch?" Genau in dem Moment fiel mein Blick auf ihn und seine Clique. Sie standen da und begafften diese unbekannte Schönheit fast schon. Sie sprachen. Als Eymen auf sie zulaufen wollte, bewegten sich meine Füße zu ihr hin. Ich rannte fast schon, ich wusste nicht, wer meinen Füßen die Befugnis dazu gegeben hatte, aber so war es nun mal. Vor ihm kam ich bei ihr an und zog sie sofort mit mir mit.
"Hey! Was machst du da?" Sie hatte eine mädchenhafte Stimme, jedoch nicht zu hoch. Keinesfalls störend. Ganz im Gegenteil eine Stimme, mit der ich mich anfreunden könnte.
"Tut mir leid, ich wollte dich einfach nur schützen", kam es unüberlegt aus mir. "Schützen? Wovor denn das?" Sie war sichtlich verwirrt.
"Hast du den Jungen gesehen, der auf dich zugelaufen kam?" Kurz nickte sie. "Vor ihm." "Aber wieso?"
"Lange Geschichte." Ich wollte im Moment wirklich nicht darüber reden.
"Nazile", sprach sie mir ihre Hand reichend. "Michelle", entgegnete ich ihr.
"Freut mich dich kennengelernt zu haben Michelle." Normalerweise hätte ich diesen Satz als Schleimerei empfunden, doch aus Naziles Mund klang er total ehrlich. Um die unangenehme Stille zu unterbrechen, fragte ich sie, ob sie Türkin sei. "Aserbaidschanerin", korrigierte sie mich mit einem Lächeln.
"Welche Sprache spricht man in Aserbaidschan? Habe mal gehört türkisch, stimmt das? Landeskunde ist nicht so meins", verkündete ich ihr.
"Na ja eigentlich aserbaidschan-türkisch, das ist so ähnlich wie türkisch, nur hat es einen sehr starken Dialekt, weswegen uns die Türken kaum verstehen, aber wir sie umso besser. Doch ich kann auch türkisch."
"Und wie siehts aus mit russisch? Schließlich war ja Aserbaidschan ein Teil der Sowjetunion."
"Geschichte ist eher deine Stärke, oder?" Durch ein Nicken gab ich ihr die erwartete Antwort. "Ja, russisch kann ich auch. Man spricht bei uns auch ziemlich viel russisch, in den Schulen wird das beigebracht, einige Schulen sind sogar ganz auf russisch." "Verstehe."

Er.
"Wer ist das?", fragte ich in die Runde, während meine Blicke auf dem Mädchen in der Aula hafteten. Sie hatte den Blick eines scheuen Rehs, als ob sie Angst hätte gejagt zu werden. Bei diesem Gedanken musste ich lachen, vielleicht würde sie ja wirklich unsere neue Beute werden, wer weiß. "Sollten wir nicht eine neue Schülerin bekommen? Hat dein Vater letzte Stunde doch erwähnt Milad, vermutlich ist sie das", sprach mein Kindheitsfreund Eymen.
"Wieso hat sie diese Narbe im Gesicht?" Trotz des großen Abstands, den wir zu ihr hatten, sah man ihre Narbe. Sie war auffällig. Ich wandte mich zu Eymen. "Du weißt, was zu tun ist." Kurz ließ er seine Zähne blitzen und fing an, ganz ruhig auf das unbekannte Mädchen zu zulaufen. Dies übernahm Eymen, weil er der gutaussehendste unter uns war.
Die Mädchen ließen sich gerne von ihm um den Finger wickeln. Es war nicht so, dass ich schlecht aussah, doch mein Kindheitsfreund sah einfach besser aus. Das Mädchen blickte nun zu ihm und fing an, an ihren Fingernägeln zu kauen, weswegen ich kurz auflachte. Sie wusste nicht, wie sie handeln sollte, ihre Unruhe gefiel mir. Kurz bevor Eymen sie erreicht hatte, erschien Michelle dort und zog sie mit sich weg. Davor hatte sie jedoch zu mir geblickt. Ihre blauen Augen wirkten keineswegs kalt, doch wenn sie mich ansah, hatte sie diesen kalten Blick, ich konnte es ihr ja noch nicht mal verübeln. Als Eymen zu mir kam, knirschte ich genervt mit den Zähnen. "Das wird sie büßen!", keifte ich.
"Sie wird nie dazu lernen", stellte Sarp fest. "Das sollte sie aber schleunigst." Wieso ich nun vor Wut brodelte, verstand ich nicht, doch sie trieb mich einfach in den Wahnsinn. Mein Blick traf kurz auf Eymens, seine Blicke sprachen Bände, doch ich schüttelte nur meinen Kopf. Nein, er irrte sich.

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