17. Kapitel

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Sie.
Während Milad triumphierend zu uns sah, blickte Eymen aus dunklen und wütenden Augen, weswegen Nazile einen Schritt zurücktrat.
"Wenn du willst, können wir gehen", wisperte ich meiner Freundin zu. Ich wollte mich keineswegs geschlagen geben, doch noch weniger wollte ich, dass Nazile Schaden aus dieser Sache trug. Mein Stolz konnte, nein durfte, nicht über unserer Freundschaft stehen.
"Nein, ist in Ordnung." Als ich erneut zum Reden ansetzen wollte, kam mir Nazile zuvor. "Es ist wirklich in Ordnung Michelle. Wirklich." Dabei blickte sie zu Milads Clique, wo auch Sara, Begüm und der Rest der Tratschtanten standen. Sie wollte das Feld nicht Begüm überlassen, was ich nachvollziehen konnte. Ich glaube, ich würde so wie sie handeln.
"Okay, dann lass uns doch einfach bisschen Spaß haben." Fragend blickte sie mich an. Ich griff nach ihrer Hand und drehte sie um ihre eigene Achse, worauf sie laut loslachte. Die Blicke richteten sich auf uns. Ich konnte stechende Blicke aus der Ecke, wo Milad und der Rest standen ausmachen, doch drehte mich nicht zu ihnen.

Kurz darauf stand Sara vor uns und begrüßte uns ganz laut. "Schön euch auch hier zu sehen. Ich hätte nicht damit gerechnet, dass ihr kommt!" Begrüßte sie uns oder drohte sie uns?
"Du weißt, ich bin immer gut für Überraschungen", sprach ich mit einem zuckersüßen -jedoch total aufgesetztem- Lächeln aus. Sie hob nur ihren Kopf und stolzierte davon. Nebenbei rief sie: "Dann lasst die Party beginnen!" Die Musik wurde lauter gedreht und die Leute tummelten sich auf der 'Tanzfläche', der Tisch war auf eine Seite geschoben und das riesige Wohnzimmer bot eine große Tanzfläche. Als ich mich umsah, fiel mir auf, dass das Wohnzimmer total protzig eingerichtet war. Alles rief nach 'Hallo, wir haben Unmengen an Geld und lieben es damit zu prahlen'. Anders kannte man Sara auch gar nicht.

Nazile rutschte unruhig auf der Couch hin und her, weswegen ich mich zu ihr drehte. "Was ist los, Nazile?", forschte ich nach. Doch sie blickte nur gebannt in eine Richtung. Als ich in dieselbe Richtung sah, erblickte ich Eymen, der die Hand um die Taille eines Mädchens gelegt hatte. Sie ist eifersüchtig, sprach meine innere Stimme. Am liebsten hätte ich kein Licht in die Situation gebracht, doch ich musste, dass war ich meiner aserbaidschanischen Freundin schuldig. Abgesehen davon wusste ich, dass sie dieses mal verletzt wäre, wenn sie das nicht von mir erfahren würde. "Nazile", rief ich ihr zu, doch sie nahm mich gar nicht wahr, also legte ich meine Hand auf ihren Oberarm, worauf sie aufschreckte. "Seine Cousine", klärte ich sie auf, während sie mir verständnislos ins Gesicht blickte. "Das Mädchen neben Eymen ist seine Cousine." Ein leises 'Oh' entwischte ihr und ich fuhr fort. "Sie haben ein ziemlich gutes Verhältnis zueinander. Und ich habe mitbekommen, wie Sarp sich dauernd an sie ranmacht, ich glaube Eymen signalisiert ihm dadurch, dass er seine Finger von ihr lassen soll."
"Ist sie die Tochter seiner Tante, die ihn öfters abholen kommt?" Ich schüttelte nur meinen Kopf.
"Nein, die ist unverheiratet und nebenbei die Schwester seines Vaters, doch sie-", ich machte mit meinem Kopf eine Bewegung in Eymens Richtung, "-ist die Tochter seines Onkels, mutterseits."
"Verstehe. Danke Michelle", bedankte sie sich mit einem erleichterten Lächeln. Kurz darauf verschwand Eymen mit seiner Cousine, weswegen Nazile ihre Schultern fallen ließ. Als er jedoch kurz darauf wieder im Wohnzimmer auftauchte, erhellte sich ihr Gesicht.

Gelangweilt ließ ich meine Blicke durch den Raum schweifen, bis mein Blick an Milad hängen blieb, er hatte ein Bier in der Hand. Sein Zweites.
"Trinkt Eymen nicht?", fragte mich Nazile. "Nein, aus religiösen Gründen", sprach ich verächtlich. Vermutlich hatte sie den verächtlichen Ton in meiner Stimme wahr genommen, weswegen sie mich mit zusammengezogenen Augenbrauen ansah. "Schau dir die Jungs auf, was fällt dir auf?" Sie betrachtete diese vorsichtig.
"Eymen ist von Mädchen umgeben, aber Milad nicht. Dafür trinkt Milad, aber Eymen nicht." Ich nickte.
"Die Mädels trauen sich nicht an Milad ran."
"Wieso nicht?" Ich holte tief Luft und erzählte ihr alles, was ich über Milads Vergangenheit wusste.
"In der 8. Klasse gab es ein Mädchen, dass er geliebt hat, er ist ihr ein Jahr lang hinter her gelaufen und kurz bevor sie zusammen kamen, ist sie mit einem anderen Typen zusammengekommen. Er war so deprimiert, dass er fast die Schule geschmissen hätte, doch sein Vater hat das nicht zugelassen. Seitdem hat er auch kein besonders gutes Verhältnis zu seinem Vater. Zumal er dieses Mädchen dann von der Schule gemobbt hat, da sie auch die Lieblingsschülerin seines Vaters war. Er hat seitdem anscheinend auch ein schlechteres Verhältnis zu Çağdaş, seinem älteren Bruder. Aber ich sehe, wie Çağdaş ihm versucht entgegen zu kommen und Verständnis zu zeigen.
Als ich dann in der 10. auf die Schule kam und mich meldete und Lob erntete, wurde ich seine Zielscheibe. Ich glaube, er verkraftet es nicht, dass er ein schlechtes Verhältnis zu seinem Vater hat und dann mitbekommt, wie sein Vater andere Leute lobt- vor allem wenn das dann auch noch Mädchen sind. Das nagt so bisschen an ihm. Eigentlich ist er eine arme Seele. Doch ich habe kein Mitleid mit ihm, nicht nachdem, was er mir angetan hat. Er soll schauen, wie er seinen Frust anders verarbeitet. Es bringt nichts ihn an anderen auszulassen. Jeder von uns trägt eine Last mit sich, weswegen er frustriert ist, doch außer ihm versucht niemand andere so nieder zu machen." "Verstehe... Das alles hat dir Selen erzählt oder?"
"Wer sonst?", lachte ich.
"Wo ist sie eigentlich?"
"Sie wird nicht kommen."
"Nicht?"
"Nein, Selen hasst überfüllte Orte, abgesehen davon ist sie bestimmt gerade mit Çağdaş im Fitnessstudio. Die beiden sind leicht verrückt." Nazile lachte kurz auf.

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