19. Kapitel - Part I

4.7K 255 95
                                    

Sie.
"Was ist?", fragte ich Nazile, die neben mir kritisch ihr Handy betrachtete.
"Eymen will, dass wir nach der Schule in den Park gegenüber gehen."
"Wir? Dass du dahin gehst, verstehe ich, aber wieso sollte ich da hin? Um ehrlich zu sein, habe ich sowas von gar keine Lust mir euer Liebesleben wie einen Film zu geben." "Mimi! Du redest ohne Punkt und Komma. Es scheint etwas ernstes und wichtiges zu sein."
"Eymen? Ernst und wichtig? Das ist mir ja ganz neu. Du veränderst diesen Jungen von Grund auf!"
Seit heute Morgen sprach ich ohne Pausen, da ich die Gedanken an Milad versuchte zu verdrängen, dass wir montags viele Kurse gemeinsam hatten, machte die Sache nicht besser. Sein Blick ging mir einfach nicht aus dem Kop. Seine Augen hatten sich dunkel gefärbt und er sah irgendwie... verletzt aus? Milad und verletzt? Und das durch meine Worte? Das ich nicht lache! Trotzdem änderte das nichts an der Tatsache, dass ich das Wochenende wenig geschlafen hatte und komische Träume gehabt hatte. Nebenbei wurde ich das Gefühl nicht los, dass irgendetwas geschehen würde. Irgendetwas unschönes. Kein dummer Kleinkinder-Streich, sondern etwas viel größeres. Ernsteres. Irgendein Dilemma, ein ganz großes Disaster bahnte sich an, dem war ich mir mehr als nur sicher.

"Was ist eigentlich los mit dir? Du redest den ganzen Tag schon unheimlich viel, was eigentlich gar nicht so deine Art ist und gerade eben warst du so sehr in Gedanken, dass du erst beim vierten Ruf reagiert hast." "Es wir irgendwas passieren Nazile."
"Wie meinst du das?"
"Irgendwas schlimmes."
"Und das weißt du, weil?"
"Weibliche Intuition. Schau mal, ich bin nicht jemand, der an Gefühlen festhält und an so übernatürliches Zeug glaubt, aber wenn mir mein Bauchgefühl sagt, dass etwas nicht stimmt oder etwas passieren wird, dann täusche ich mich nicht. Niemals. Ich habe einfach eine innere Unruhe."
"Wegen Eymen und mir?" Ich schüttelte schleunigst meinen Kopf. "Nein, da ist etwas anderes. Ich weiß, es klingt alles so komisch für dich und meine Erläuterungen sind total komisch, du kannst nichts damit anfangen, aber nicht mal ich kann damit etwas anfangen, verstehst du? Erzähl die Sache mit deiner Narbe Eymen erstmal nicht, zumindest solange, bis ich dieses komische Gefühl los bin, geht das in Ordnung für dich?"
"Natürlich Mimi, mach dir da keine Sorgen. Aber wir werden nach der Schule schon hingehen oder? Es scheint nämlich wirkich wichtig zu sein."
"Ja, werden wir, mach dir darum keinen Kopf." Genau in dem Moment klingelte es zur nächsten Stunde und wir liefen schweigsam die Treppen, die von der Aula zum Kunstsaal führten, hoch.

Er.
"Werden sie kommen?" Genau in dem Moment blinkte Eymens Handy auf, nachdem er die Nachricht gelesen hatte, antwortete er mit einem Kopfnicken.
"Was geht dir durch den Kopf, Milad?" "Frieden."
"Das ist keins deiner dummen Spielchen oder? Nazile fängt erst langsam an mir zu vertrauen, ich will weder das verlieren, noch sie!"
"Keine Sorge, wirst du nicht." Ich wusste, er konnte mir aus dem Gesicht lesen und war sich nun sicher, dass ich nicht log.
"Hast du über meine gestrigen Worte nachgedacht?"
"Vielleicht."
"Heißt es, du gestehst dir endlich ein, dass du Michelle liebst?"
"Ich liebe niemanden. Ich begehe Fehler nicht zwei mal, das solltest du doch wissen. Niemand verdient es bedingungslos geliebt zu werden."
"Trotzdem wollen wir alle bedingungslos geliebt werden."
"Wow. Du mutierst ja wirklich noch zur Pussy." Er gab mir einen Schlag gegen den Hinterkopf und wir gingen lachend die Treppen zum Musiksaal hoch.

Zumindest war ich die nächsten zwei Stunden nicht von eisig blauen Augen umgeben. Ich gestand es mir selber nicht ein, doch tief im Inneren wusste ich, dass Eymen nicht unrecht hatte, sonst hätten mich Michelles Worte nicht im Geringsten so sehr getroffen und für ein schlafloses Wochenende gesorgt. Ob es wirklich Liebe war oder einfach nur extrem krasse Schuldgefühle, war eine andere Sache. Eymens Worte von eben gingen mir durch den Kopf, während ich mit schwarzer Kohle auf dem weißen Papier zeichnete.
'Trotzdem wollen wir alle bedingungslos geliebt werden', das wollten wir Menschen tatsächlich. Jeder einzelne von uns. Diesbezüglich hatte mein Kindheitsfreund recht. Doch auch ich hatte nicht Unrecht, denn wer von uns verdiente es schon bedingungslos geliebt zu werden? Wer von uns schätzte das Wert?

Michelle zog ihre Augenbrauen zusammen, als sie mich sah.
"Was wollt ihr?", forschte sie misstrauisch nach.
"Frieden", gab ich ihr zur Antwort. "Frieden?"
"Ja, wir werden euch beide in Ruhe lassen, versprochen. Vor allem ich. Lass uns das Kriegsbeil einfach begraben, okay?"
"Nenne mir einen vernünftigen Grund, wieso ich dir vertrauen soll, Milad?"
"Weil ich ein riesengroßes beschissenes Arschloch bin, aber kein Rassist." Es dauerte zwar keine Sekunde, doch ich sah, wie sich ihre Mundwinkel ganz leicht in die Höhe zogen. Sie hatte also verstanden, dass auch ich ihr Vertrauen und Glauben schenkte. Das ließ mich innerlich lächeln.
"Woher will ich wissen, dass du nicht deinen nächsten Schachzug planst?"
"Ich habe meinen letzten Schachzug schon am Freitag gespielt."
"Vielleicht spielst du kein Schach, sondern ein Kartenspiel, weswegen du noch einen Ass aus deinem Ärmel ziehen wirst."
Ich grinste kurz. "Weder habe ich einen Schachzug, noch einen Ass im Ärmel. Ich tue es für Eymen. Du weißt, dass er mein Bruder ist. Man fällt seinen Brüdern nicht in den Rücken. Ist ein Ehrenkodex."
Nun drehte sie sich zu Eymen. "Ich hoffe nur für dich, dass du es schaffst, dass dieses riesengroße beschissene Arschloch sich anständig benimmt, denn wenn nicht wirst du der Leidtragende sein." Nach ihren Worten grinste jeder von uns, sogar Michelle auch wenn ihres leichter war als meins. "Frieden?", fragte ich sie mit ausgestreckter Hand.
"Für Nazile", sprach sie, während sie mir die Hand gab.
"Für Eymen", erwiderte ich.

Nazile. Eymen.
"Danke, dass du mit Milad geredet hast und er uns jetzt in Ruhe lässt."
"Nicht der Rede wert, außerdem sind eure drei Monate nach dieser Woche um", scherzte er, weswegen sie lachte.
"Wann willst du es mir erzählen?"
"Was?"
"Wie es zu deiner Narbe kam." Sie stockte, sie hatte Michelle versprochen es ihm nicht zu erzählen.
"Noch nicht."
"Noch nicht? Wieso das? Vertraust du mir etwa nicht?"
"Nein, daran liegt es nicht Eymen."
"Woran dann Nazile?"
"Ich fühle mich nicht bereit dazu." "Verstehe."
"Eymen bitte."
"Ist gut Nazile, ich wills auch gar nicht wissen."
"Eymen-" "-vielleicht wäre es besser, wenn du jemanden suchst, dem du vertraust. Das würde für dich alles erleichtern."
"Ich vertraue dir doch."
"Ich sehe in deinen Augen, dass du es nicht tust! Was denkst du? Dass ich es in die ganze Welt posaunen werde, wenn ich es erfahre? Wenn du wirklich so über mich denkst, dann solltest du dich einfach von mir fernhalten!" "Alizade, Karaca! Ihr stört meinen Unterricht, entweder seid ihr jetzt ruhig oder ihr verlässt beide den Raum!", wurden sie von ihrer Spanisch-Lehrerin ermahnt, weswegen beide sich in Stille einhüllten, nicht um dem Unterricht zu folgen, sondern um ihre Gefühle zu sortieren.
Eymen gefiel sein eigenes Verhalten nicht, er benahm sich nie so kindisch. Doch der Gedanke, dass Nazile ihm nicht vertraute, brachte ihn einfach um. Sie hatte wegen dieser Narbe schon an seiner Brust geweint und er wollte endlich wissen, was es mit ihr auf sich hatte. Zumal etwas in ihm ihm immer wieder zuflüsterte, dass es etwas mit ihrem Ex-Verlobten zu tun hatte. Doch er würde trotz dessen, dass Nazile ihm nicht vertraute, nicht loslassen, dafür brauchte er sie viel zu sehr.
Nazile hatten Eymens Worte zugesetzt, sie hatte die Befürchtung, dass sie ihn verlieren würde. Sie wusste, er würde ihr Geheimnis nicht missbrauchen, sie misstraute ihm nicht. Nur wollte sie ihrer besten und einzigen Freundin nicht in den Rücken fallen. Dass sie sich jetzt schon so an Eymen gebunden hatte, machte ihr nebenbei auch höllische Angst. Sie gehörte nicht zu den Mädchen, die Jungs schnell vertrauten, noch nicht mal ihre Beziehung zu ihrem Ex-Verlobten hatte sich so schnell ergeben.
Was sie übersah war, dass beide eine verletzte Seele hatten und verletzte Seelen suchten nach Medizin, sobald sie diese fanden, ließen sie es nicht los. Da hatten weder Verstand, noch Erfahrung, noch Herz etwas zu sagen. Wenn die Seele sich für etwas entschied, dann strebte sie nach ihr, bis sie es erreichte. Nazile führte die ganzen zwei Schulstunden über einen inneren Kampf, bis sie eine Entscheidung fällte.

Überraschung!
Ich wünsche all meinen christlichen Lesern und denen, die es feiern(auch wenn es etwas zu früh ist); Frohe Weihnachten, habt eine besinnliche Zeit und genießt die Feiertage mit euren Liebsten ♡
Vergisst es nicht, euch reichlich beschenken zu lassen :b

So und nun; ist Frieden in Gebrandmarkt angesagt? Oder doch nicht? Werden wir gemeinsam sehen.
Hinterlasst mir doch Feedbacks; teilt eure Gedanken und Gefühle mit mir; wie wird es eurer Meinung nach weitergehen?

Eure Verâ ♡

GebrandmarktWo Geschichten leben. Entdecke jetzt