5. Kapitel

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Er.
Ich sah, wie Michelle und die Neue in den Umkleideraum reinliefen und musste da schon grinsen. Dann lass uns mit dem Spiel beginnen Michelle.
Jeder aus unserem Sportkurs und einige andere, wie zum Beispiel Sarp, hatten sich ebenfalls im Vorraum der Sporthalle versammelt. So ein Spektakel wollte sich natürlich niemand entgehen lassen.
Als Michelle wutenbrannt den Raum verließ, rief Sara durch den ganzen Vorraum: "Und die nennt mich Schlampe. Wie soll man dann sie nennen?" Doch Michelle nahm ihre Worte gar nicht wahr, sie steuerte auf direktem Weg auf mich zu. Dabei echote Saras Satz in meinem Kopf, erst da fiel mir wieder Michelles Kleidung ein. Sie war heute sehr freizügig angezogen, das war man gar nicht gewohnt von ihr. Während ich in meinem Gedankengang versunken war, kam ich erst zu mir, als jemand gegen meine Brust hämmerte und schrie.
"Du bist ein Mistkerl, Milad! Du weißt gar nicht, wie sehr ich dich verabscheue! Wenn es gesetzlich nicht verboten wäre, jemanden umzubringen, dann würde ich dich auf der Stelle mit meinen eigenen Händen umlegen! Du bist ein verdammtes Arschloch! Wann hast du vor erwachsen zu werden und von deinen dämlichen unwitzigen Streichen abzulassen? Denkst du wirklich, dass du mich so klein kriegst? Durch diese dämlichen Aktionen sinkst du nur noch mehr in meinen Augen, natürlich falls das noch möglich ist. Ich hasse dich! Hörst du das, ich hasse dich, Milad Özcan!" Als sie endlich ihre Klappe hielt, packte ich sie an ihren Armen und drückte sie gegen die Wand.
"Jetzt hör mir mal zu Michelle; entweder lernst du es, dass du auf mich hören sollst und dich nicht mit mir anlegen sollst oder ich bringe es dir bei, hast du das verstanden? Ach und es geht mich einen Scheißdreck an, wie und wo ich bei dir stehe!" Sie sah mich an, dieser Blick erinnerte mich an ein Ereignis, das weiter zurück lag. An ein Ereignis, wo sie mich ebenfalls so angesehen hatte. So hilflos und doch so stark. Nach Hilfe flehend und doch mir die Stirn bietend. Dieser Blick...

Sie.
"Ich hasse dich!", flüsterte ich ein letztes Mal, befreite mich von ihm und lief in die Kabine zurück. Ich saß mich auf eines der Bänke, zog meine Beine an meinen Oberkörper und ließ meinen Kopf auf meine nackten Knie fallen.
"Wieso bist du so ausgerastet?", fragte Nazile. Erst da blickte ich wieder auf.
"Hat mich an die Vergangenheit erinnert." "An die Zeit, in der du seine Zielscheibe warst. Richtig?"
"Ja." Wollte ich ihr mehr erzählen? "Wir hatten damals schwimmen-" "-Michelle, fühl dich nicht verpflichtet dazu. Es ist in Ordnung, wenn du es mir nicht erzählst. Ich verstehe das."
"Ich weiß. Aber was ist, wenn ich es dir aus freiem Willen erzählen will?" Kurz entstand Schweigen, bis ich fortfuhr. "Wir hatten schwimmen, doch als ich mich umziehen wollte, waren meine Sachen nicht mehr da. 15 Minuten lang habe ich wie eine Verrückte nach meinen Sachen gesucht, doch sie waren weg. Wie vom Erdboden verschluckt, einfach weg. Natürlich waren fast alle schon fertig mit dem Anziehen, ich war die Einzige, die noch in ihren Badesachen rumlief. Langsam fing ich auch an zu frieren." Ich schloss kurz meine Augen. "Dann kam Sara zu mir und fragte mich: 'Hattest du eine dunkle Jeans und einen beigen Pulli an?' Du weißt gar nicht, wie froh ich war, da ich dachte, dass sie meine Sachen gefunden hat. 'Ja, hatte ich. Hast du etwa meine Sachen gefunden?', habe ich sie gefragt. 'Sie sind im Schwimmbecken.' Ich bin dahin gerannt, weil ich es nicht wahr haben wollte, doch da waren sie. Im Schwimmbecken. Nass. Und die ganze Klasse hat mich ausgelacht, sie haben zugesehen und hatten ihren Spaß dabei. Ich habe dann meine Mutter angerufen und sie gebeten mir neue Sachen mitzubringen, jedoch bin ich an dem Tag nicht mehr in den Unterricht rein, bin mit ihr einfach nach Hause gefahren. Meiner Mama habe ich erzählt, dass ich ausgerutscht und ins Becken gefallen bin. Sie hats mir natürlich nicht wirklich abgekauft, doch hat auch nicht nachgehakt. Kurz gefasst; bin ich an dem Tag geflohen. Wie ein Feigling bin ich geflohen. Aber ich hatte keine Ahnung, wer das getan hatte und wieso. Bis zum nächsten Tag dachte ich, dass es einfach ein dummer Scherz war. Bis mich Milad eines besseren belehrte. 'Ich hatte dir gesagt, dass du es bitter bereuen wirst. Das war erst der Anfang, mach dich auf etwas gefasst!' Dabei hatte ich gar nichts schlimmes getan, außer Herr Özcan -also seinem Vater- zwei Tage zuvor die richtige Antwort auf seine Frage zu geben, aber das war anscheinend Grund genug. Ich hatte damals nicht wirklich den Mut irgendwas gegen ihn zu unternehmen. Anfangs habe ich geschwiegen, in der Hoffnung, dass es bald aufhören würde, doch wurde eines besseren belehrt. Es hat nicht aufgehört, das sollte es auch nicht. Also habe ich angefangen mich zu wehren, verbal. Nichts großartiges. Doch heute, heute werde ich ihm alles heimzahlen! Er wird verlieren, das schwöre ich dir Nazile. Ich werde ihn bluten lassen." Ich sah die Angst und Unsicherheit in ihren Augen. "Wenn du nicht bereit dafür bist, dann sag es. Ich kann die Sache auch selber klären."
"Ich bin seine Zielscheibe Michelle, wie willst du das da klären?"
"Überlass die Sache mir, ich weiß, wie er von dir ablassen kann. Willst du gegen ihn kämpfen oder aufgeben?"
"Ich- es ist nur alles so... Gib mir Zeit." Ich musste kurz lächeln, sie hatte zu viel Angst um gegen ihn zu kämpfen, so wie ich damals. Aus diesem Grund konnte ich es ihr nicht übel nehmen, es würde mich kein bisschen stören, wenn sie aufgeben würde, denn ich war mittlerweile in der Lage es mit ihm aufzunehmen. Was hatte ich schon zu verlieren?

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