Nazile. Eymen.
"Wieso hast du deine Verlobung aufgelöst?", fragte Eymen Nazile. Kurz stockte sie. Woher wusste er das? Wieso eröffnete er das Thema, wovor sie versuchte zu fliehen? "Woher weißt du das?", keifte sie ihn an. "Also stimmt es?" War das Hoffnung, was ihn ihm aufloderte?
"Nein. Da hat dich jemand mit falschen Informationen gefüttert."
"Wie meinst du das?" Sie schluckte schwer, doch gab ihm eine Antwort. Eine Antwort, die ihn nicht sonderlich erfreute.
"Wir sind immer noch verlobt." Sie wollte nicht, dass jemand die Wahrheit erfuhr, denn diese war viel zu schmerzhaft. Immer noch kam sie nicht klar mit ihr. Ihre Narben waren viel zu frisch. Abgesehen davon erinnerte sie sich an Michelles Worte, sie durfte Eymen nicht vertrauen. Wieso sie Michelle vertraute, war ihr ungewiss. Vermutlich weil sie so anders war. Kalt, aber nicht herzlos. Wer wusste, was hinter ihrer Fassade steckte. Sie wünschte sich zu diesem Zeitpunkt nichts sehnlicher als die Gefühlskälte von Michelle.
"Und wo ist dein Ring?", hakte er nach kurzem Schweigen nach.
"In der Schule trage ich ihn ungern. Muss ja nicht jeder wissen, dass ich verlobt bin. Nicht das noch Gerüchte entstehen, dass ich Zwangsverheiratet werden soll oder so." "Wieso kommt dein Verlobter dich dann nie abholen?" Wo waren wir? Beim Kreuzverhör, dachte sie nur genervt.
"Weil er in Berlin ist." Wenn er die Sache mit der Verlobung wusste, konnte sie davon ausgehen, dass er auch wusste, dass sie früher in Berlin gelebt hatte.
"Nicht nur das, da wo er ist, kommt er auch nicht raus, nicht wahr? Was für ein Gefühl ist es eigentlich mit einem Häftling verlobt zu sein?" Das Blut in ihren Adern gefror. Woher wusste er das? Wusste er etwa auch über ihr Geheimnis, über ihre Vergangenheit, die sie gerne ausgelöscht hätte, Bescheid? Nein, nein das konnte und durfte nicht sein!
"Wo-woher w-weißt du das?"
"Haben mir die Vögel zugezwitschert", sprach er mit einem Zwinkern. Er sah wie sie schluckte, doch sie machte keine Anstalten, um etwas zu sagen. Er dachte nach. Das konnte doch nicht ihr ernst sein? Wollte sie wirklich mit einem Straftäter heiraten? War sie wirklich so naiv? So erblindet vor Liebe?
Es vergingen 15 Minuten, in denen beide versuchten sich auf den Unterricht zu konzentrieren, doch beide scheiterten an ihrem Vorhaben. Beide waren zu sehr in ihrer Gedankenwelt versunken. Sie hatte große Angst davor, dass ihr Geheimnis, wovor sie floh, aufgedeckt werden könnte. Er verstand es nicht, wie sie immer noch verlobt sein konnte. Es ging einfach nicht in seinen Kopf. Weswegen Eymen sich dazu entschied das Schweigen zu brechen.
"Was sagen deine Eltern dazu? Befürworten sie das denn?"
"Das geht dich nichts an! Lass mich in Ruhe Eymen." Ihre Worte brachten ihn nur noch mehr in Rage. "Du stellst dir das wohl sehr einfach vor. Jemand, der aus dem Knast kommt, findet keinen Job. Wovon wollt ihr Leben? Denk doch mal logisch. Eure Ehe hätte keine Zukunft. Und wie kannst du dir überhaupt sicher sein, dass er dir nicht wehtut? Wie lange willst du auf ihn warten? Irgendwann verschwindet die Liebe doch." Eymen merkte, wie sie wütend wurde.
"Ob unsere Ehe eine Zukunft hat oder nicht, das kannst du nicht wissen! Du kennst ihn kein bisschen, weißt nicht, wie er ist, wieso er überhaupt im Knast ist! Er würde mir nichts tun. Jemand der liebt wartet, wartet so lange, bis wieder diese eine Person an deiner Seite steht. Jemand der liebt wartet, egal wie lange und egal was passiert ist. Menschen, wie du, die noch nie geliebt haben, haben natürlich keine Ahnung. Konzentrier du dich deswegen lieber auf den Unterricht und zerbrich dir nicht den Kopf über meine Zukunft, denn ich bin mit ihm an meiner Seite glücklich, das ist, was zählt. Wag es ja nicht noch einmal dich in meine Privatsphäre einzumischen, denn dann wird unser Gespräch nicht besonders nett verlaufen." Sie schnappte sich ihre Tasche, verschwand aus dem Klassenraum, da es geklingelt hatte und hinterließ einen verwirrten und irgendwie enttäuschten Eymen hinter sich. Doch auch sie war total durch den Wind. Ihre eigenen Worte gingen ihr durch den Kopf; "Jemand der liebt wartet, egal wie lange und egal, was passiert ist".
Das Problem lag nicht an der Zeit, die sie auf ihn warten musste. Das Problem war nämlich das, was geschehen war. Ja, sie hätte auf ihn gewartet, Jahre, gar Jahrzehnte, doch es ging einfach nicht. Seine Taten waren unverzeihlich. Seine Tat war unverzeihlich.
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RandomSie. Diese Wut in mir würde mich umbringen, ich hatte das Bedürfnis alles um mich zu schmeißen, ohne darauf zu achten, ob es danach in Trümmern lag oder nicht. Denn genau das hatte man tagtäglich mit mir gemacht. Die Einsamkeit, Trauer und Verzweifl...