19. Kapitel - Part II

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Nazile. Eymen.
"Komm mit", sprach sie am Ende der Stunde zu ihm. Da der Chemie Unterricht entfiel, war Michelle schon zu Hause, da sie sich aufgrund des Friedensabkommens -welches bis jetzt eingehalten wurde- keine Sorgen mehr um ihre Freundin machen musste. "Wohin?", fragte Eymen verständnislos. Sie hatten Schulschluss, also wohin wollte sie ihn führen?
"Du wolltest doch wissen, wie es zu meiner Narbe kam. Ich werde es dir erzählen." Er war verwundert über ihre Worte. Woher kam dieser Sinneswandel?
"Woher kommt dieser Sinneswandel?"
Sie schnaubte nur genervt. "Willst du es wissen oder nicht? Du hast jetzt die Chance dazu. Ein zweites mal wirst du sie nicht kriegen, Eymen!" Auch wenn sie Angst davor hatte, dass er sich von ihr entfernte, wollte sie kein Mädchen sein, dass sich beugte. Vielleicht war sie nicht ganz zo stark wie Michelle, aber schwach war sie auch nicht und das sollte auch Eymen zu spüren kriegen.

Keine zehn Minuten später standen sie im Park vor der Schule. Nazile hatte das Glück, dass das Wetter heute trüb war, sodass nicht viele Leute im Park waren. So würden sie ungestört reden können.
"Das, was du gleich zu hören kriegen wirst, kennt außer Michelle niemand so detailliert." Da begriff Eymen, wie sehr die beiden Mädchen aneinander hangen und was für eine tiefe Verbundenheit sie in so kurzer Zeit zueinander aufgebaut hatten. Eymen versprach sich, dass er alles dafür tun würde, damit Milad bei seiner jetzigen Einstellung blieb, denn er merkte, wie wichtig Michelle für Nazile war. Er wollte keinesfalls das Milads unüberlegtes Verhalten, ihre Beziehung zueinander beeinflusste.

Sie holte tief Luft, denn immer noch hatte sie ihre Freundin im Hinterkopf, welcher sie versprochen hatte nicht darüber zu reden, noch nicht. Doch wusste sie nicht, ob sie je wieder den Mut dazu finden würde.
"Du musst mir zuhören, ohne mich zu unterbrechen. Versprich es mir?" "Versprochen." Eymen war kurz davor verrückt zu werden, endlich würde er das Geheimnis, was dieses zerbrechliche und vernarbte Mädchen mit sich trug erfahren. Alles in ihm kribbelte, doch auch Angst machte sich breit in ihm. Er wusste nicht, ob er mit ihrer Vergangenheit klar kommen würde. Du musst, sprach er zu sich selbst, denn sie kam mit seiner Vergangenheit klar.

"Ich wiederhole die 13., bin also schon 19. All das hat kurz vor dem 2. Halbjahr stattgefunden. Zu dem Zeitpunkt waren wir schon verlobt und unsere Hochzeitsplanungen liefen. Nach meinem Abschluss wollten wir heiraten.
Er hat angefangen wegen unnötigen Dingen eifersüchtig zu werden. Dabei gab es wirklich keinen vernünftigen Grund um eifersüchtig zu werden. Ich habe nie zu den Mädchen gehört, die viel mit Jungs zu tun hat. Seine Eifersucht war wirklich unberechtigt, aber ich habe sie nicht sonderlich ernst genommen. Manchmal kam ich zwar damit nicht klar, weswegen wir stritten, doch machte mir keinen Kopf darum. Ich war im Abistress, er hatte etwas Stress auf seiner Arbeit, dann kam der Hochzeitsstress dazu und ich habe immer wieder alles darauf geschoben. Ich habe sogar die Freundschaft zu meinem besten Freund gekündigt, weil er der Meinung war, er würde mehr für mich empfinden, was totaler Schwachsinn war, weil wir gemeinsam groß geworden sind. Er war wie ein Bruder für mich, ich wie seine Schwester..." Sie schwieg kurz und ihr Blick hing in der Ferne. Sie wollte ihm nicht in die Augen schauen, während sie über einen anderen sprach.
"Eines Tages saß ich in der Freistunde alleine und quälte mich mit Mathe, weil ich es einfach nicht verstand. Ein Mitschüler von mir setzte sich zu mir und fragte mich, ob ich Hilfe brauchte. Er hat mir dann geholfen und ich war ihm in dem Moment so dankbar. Wir haben uns noch etwas unterhalten und uns über einige Lehrer lustig gemacht. Alles total harmlos, nichts, was man übertreiben müsste. Als Elvin, also mein Ex-Verlobter, mich dann von der Schule abholte, fragte ich ihn, was er hatte. Er war so wütend. Doch anstelle mir zu antworten, befahl er mir nur in den Wagen einzusteigen und ich befolgte seinen Befehl. Im Auto versuchte ich durch Fragen herauszufinden, was geschehen war. Antworten bekam ich keine, stattdessen beschleunigte er die Geschwindigkeit und fuhr raus aus der Stadt. Als er in einen Waldweg fuhr, bekam ich Panik. Es mag schwachsinnig für dich klingen, da er zu dem Zeitpunkt mein Verlobter war und es keinen Grund gab in Panik zu verfallen.
Aber ich habe in seinen Augen an dem Tag Dinge gesehen, die mir Angst gemacht haben. Das habe ich übrigens auch an dem Tag, als du mich zum Friedhof gebracht hast, in deinen Augen gesehen. Du warst wütend und wir sind raus aus der Stadt gefahren, es war, als ob ich alles erneut erleben würde. Ein Déjà-vu nur mit einer anderen Person an meiner Seite... Er blieb vor einem Waldhaus stehen und stieg aus, ich folgte ihm. Als wir im Haus waren, hat er mich angebrüllt. Was würde mir nur einfallen mit anderen Jungs Spaß zu haben. Ich habe nicht verstanden, was er meint, weswegen ich ihn darauf angesprochen habe. Er sprach von dem Dreckskerl mit dem ich heute in der Mensa meine Zeit genossen hatte. Darauf fragte ich ihn, ob er mich beobachtete, weil er zu diesem Zeitpunkt eigentlich auf der Arbeit sein sollte. Wir haben uns gegenseitig angebrüllt, bis er schrie, ich solle mich ausziehen. Ich habe nicht verstanden, was er meinte, weswegen er mich aufklärte, das was ich den anderen Jungs zeigte, das was ich mit den anderen Jungs tat, könnte ich ihm doch auch zeigen und mit ihm machen. Ich dachte, ich höre nicht richtig. Mein eigener Verlobter warf mir vor eine billige Hure zu sein. Als ob ich meinen Körper verkaufen würde." Erneut legte sie eine Pause ein.
Welch eine Ironie, dass Eymen ihr ähnliche Dinge an den Kopf geworfen hatte. Jetzt verstand er umso besser, wieso es ihr so wehgetan hatte, als er sie für ein billiges Mädchen abgestempelt hatte. Wieso es sie so getroffen hatte. Er verfluchte sich, da er genau so war, wie dieser Mistkerl, der sie hatte leiden lassen. Der einzige Unterschied bestand darin, dass dieser Kerl diese Worte am Ende ihrer Beziehung verwendet hatte und Eymen am Anfang, doch das machte nichts besser. Denn beide hatten ihr mit denselben Worten wehgetan.

"Als ich ihm sagte, dass er nicht rumspinnen soll und sich keine Märchen ausmalen soll, ist er augerastet. Er hat mich gegen die Wand gedrückt und seine Hand an meinen Hals gelegt. Dann holte er seinen Butterfly raus -er vertrat die Meinung, dass man das in Berlin brauchen würde, zur Selbstwehr. Mit seinem Butterfly und den Worten 'wenn du mir deinen Körper verwehrst, dann wird niemand mehr deine Schönheit betrachten dürfen', verpasste er mir meine Narbe. Er hat mich dann losgelassen und ist gegangen. Ich war am Bluten, nebenbei fiel mir das Atmen mehr als nur schwer. Es wurde zur Last, weil er zugedrückt hatte. Jedes mal wenn ich versuchte zu atmen, haben meine Lungen förmlich gebrannt. Bevor ich meine Augen schloss, sah ich nur eine große Blutlache. Langsam schlossen sich meine Augen und ich dachte, mein Leben sei nun zu Ende. Das war's, mehr gibt es über mich nicht zu wissen", sagte sie mit einem gebrochenen Lächeln zu ihm. In ihm herrschte ein unsortierbares Gefühlschaos. Auf der einen Seite verfluchte er sich selbst auf den Tod, weil er ihr so einen widerlichen Vorwurf gemacht hatte. Erst jetzt begriff er nämlich, was solch ein Vorwurf für ein Mädchen bedeutete und wie hart er war. Vor allem, wenn dieser Vorwurf nicht stimmte.
Auf der anderen Seite wollte er diesen Bastard umbringen. Wie hatte er es wagen können? Wie hatte er sich sowas nur getraut? Wie konnte man so widerlich sein? Eymen hatte noch nicht mal seine Hand gegen ein Mädchen erhoben -auch hatte er dies nicht vor- wie konnte dieser ehrenlose Hund dann sowas tun? Ein Mädchen fast zu Tode erwürgen, ihr Gesicht verunstalten und sie dann dem Tod überlassen. Er stand von der Bank auf und lief auf und ab. Nazile sah die Wut in seinen Augen und hatte die Befürchtung, dass er sich damit schaden könnte.
"Eymen-" Er hob seine Hand, um sie zum Schweigen zu bringen. "-wer hat dich gerettet?", fragte er, während er versuchte seine Stimme unter Kontrolle zu halten. "Seine Cousine. Sie hatte anscheind zuvor mit ihm telefoniert, als sie mich dann nicht erreichen konnte, hat sie sich Sorgen gemacht und hat ihn erneut angerufen, er meinte wohl, sie solle einen Krankenwagen rufen."
"Nicht mal das hat er also selber getan?", brüllte Eymen, der nun seine Wut nicht mehr im Griff hatte. Sie biss sich auf die Unterlippe. Bedeutete sie ihm denn so viel, dass er sich selbst verlor?
"Und dann?"
"Wieso willst du das wissen, Eymen?"
"Ich will alles über diesen Vorfall wissen! Wie lange du im Krankenhaus lagst, ob dieser elendige Bastard dich besuchen kam, wie er hinter Gitter kam? Einfach alles!" "Okay. Ich lag darauf zwei Tage im Wachkoma, da ich zu viel Blut verloren hatte, habe eine Bluttransfusion bekommen. 18 Nähte hat mich meine Narbe gekostet. Und sie wird mich mein ganzes Leben lang verunstalten. Ein Tag nachdem ich aus dem Wachkoma aufstand, habe ich meine Aussage bei der Polizei gemacht. Ich wollte, dass er bestraft wird. So dreist, wie er jedoch ist, kam er ins Krankenhaus, wollte mich besuchen und sich entschuldigen für seinen 'Ausrutscher'. Er dachte wirklich, ich sei so naiv und würde ihm solch eine tat verzeihen. So abhängig war ich dann doch nicht von ihm. An dem Tag wurde er auch verhaftet, davor hat man ihn nicht gefunden, weil er untergetaucht war. Zwei Monate später fand die Gerichtsverhandlung statt. Er hatte schon ein ziemlich umfassendes und breites Vorstrafenregister, was ich bis zu dem Zeitpunkt nicht wusste. Auf jeden Fall kam er aufgrund dessen hinter Gitter. Für fünf Jahre. Doch wenn er ein gutes Führungszeugnis hat, wird er nach dreieinhalb Jahren auf Bewährung freigelassen. Und er hat nach Rache geschworen."
"Hast du Angst vor ihm?"
"Nein, er hat mir schon alles genommen. Was kann er mir da noch nehmen?"
"Dir kann er vielleicht nichts nehmen, aber mir kann er dich nehmen." Er ging auf Nazile zu und umfasste ganz sanft ihr Gesicht. Eymen fing an ihre Narbe zu küssen. Von ihrer linken Schläfe bis kurz vor ihren linken Mundwinkel verpasste er ihr 18 Küsse. 18 sanfte und heilende Küsse.
"Ich werde dir helfen, deine Wunden zu heilen, aber dafür musst du mir diese Geborgenheit schenken. Einverstanden?" Mit einem Lächeln zeigte sie ihm ihr Einverständnis und er beugte sich über ihre Lippen und küsste diese durstig. Wie ein Verdurstender, der in der Wüste einen Schluck Wasser fand, welches ihm wieder Leben und Kraft schenkte.

Ich weiß nicht, ob dieses Kapitel euren Ansprüchen gerecht wird, ich hoffe es einfach nur.
Ich kriege öfters keine Benachrichtigung von Wattpad, wenn ihr kommentiert, sprich, wenn ich euch etwas spät antworte oder auch gar nicht, dann nimmt es mir nicht übel, ja? Ich gebe mein Bestes, um jeden von euch zu antworten und sobald ich eure Kommentare sehe, nehme ich mir Zeit für diese, auch wenn von mir nur ein kleines "Danke" kommt. Seid mir einfach nicht böse, wenn ich euer Kommentar übersehe.
Hoffentlich hattet ihr viel Spaß beim Lesen meine lieben Zuckermenschen! ❤

Eure Verâ ♡

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