26. Kapitel

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Sie.
Ich hatte meinen Tag mit Milad verbracht, es war verrückt. Ich verstand die Welt nicht mehr.
Als ich mich umzog, blieb mein Blick auf meiner Narbe in meinem Bauchbereich hängen. Auf der rechten Seite. Über meinem Beckenknochen. Ich fuhr über die Narbe und musste schlucken. So wie Nazile, war auch ich gebrandmarkt. Gebrandmarkt bis ans Ende meines Lebens. Schnaubend zog ich mein Pyjama runter. Nachdem ich mich in mein Bett gelegt hatte, wollte ich einfach nur schlafen. Nicht denken, sondern schlafen.

Er.
Pfeifend betrat ich das Haus. Nichts und niemand konnte meine Laune verderben. Meine Mutter dirigierte mich in die Küche, damit ich etwas aß. Während ich das Essen genüsslich aß, betrachtete sie mich. Aus traurigen Augen.
Nachdem ich den letzten Bissen runtergeschluckt hatte, widmete ich mich meiner wunderschönen Mutter.
"Was hast du, Mama?" Sie lächelte mich nur traurig an. "Anne? Ist was geschehen?"
Sie schüttelte nur ihren Kopf. "Ich habe mit deinem Vater gesprochen, er hat mir erzählt, dass er dir einen Disziplinarausschluss erteilt hat." Ich spannte mein Kiefer an. Sie hätte es früher oder später erfahren, aber es machte mich wütend, dass er es ihr vorzeitig erzählt hatte und sie somit traurig war. Meine Mutter war mir heilig, um nichts in der Welt würde ich sie eintauschen.
"Es tut mir leid, dass ich dich enttäuscht habe", nuschelte ich mit gesenktem Blick. Sie kam zu mir und drückte mich an sich.

"Ich bin nicht wütend auf dich, auch bin ich nicht enttäuscht, ganz im Gegenteil, es freut mich, dass du Michelle geholfen hast. Vielleicht hättest du das auf eine andere Art und Weise klären können, aber daran ist nichts mehr zu ändern. Ich habe mir nur Sorgen um sie gemacht. Wer weiß, wie sie sich fühlen muss. Sie traut sich so schon nicht, in die Augen ihres Vaters zu blicken, ich hoffe nur nicht, dass das schlimmer wird."
"Das hoffe ich auch."
Sie sah mich durchdringlich an. "Ich habe eine Bitte an dich."
"Natürlich Mama."
"Sorg dafür, dass Michelle sich selber vergibt, damit sie wieder ihrem Vater näher steht."
"Wie soll ich das hinkriegen?"
"Das ist dir überlassen. Ihr wurdet beide enttäuscht, ihr versteht euch gegenseitig am Besten."
Verwirrt blickte ich zu ihr. "Woher weißt du-" Sie sah mich liebevoll an. "-ich bin deine Mutter, Milad. Ich kenne dich besser als jeder andere Mensch auf dieser Welt. Vermutlich sogar besser als du dich selbst kennst. Du unterschätzt die Bindung von einer Mutter zu ihrem Kind." Das waren zu viele Informationen auf einmal. Überrumpelt sah ich zu meiner Mutter. Sie ließ ein schönes Lachen erklingen, wünschte mir eine gute Nacht und verschwand aus der Küche.

Meinen Kopf schüttelnd räumte ich mein Geschirr in die Spülmaschine, wusch meine Hände und ging auf mein Zimmer.
Dort wurde ich auch schon von Selen und Çağdaş erwartet.
"Ein Empfangskomitee? Nur für mich? Ich fühle mich geehrt", sprach ich sarkastisch. Ich hätte damit rechnen sollen, dass Selen Çağdaş alles erzählt hatte und beide nun eine ausführliche Schilderung von mir erwarteten.
"So kann man es auch nennen", gab mir Çağdaş zur Antwort.
"Also, was war genau? Wer war der Typ, der Michelle belästigt hat? Ihr Ex-Freund? Wohin hast du Michelle gebracht? Und was habt ihr unternommen?"
"Wo ist nochmal dein On-Off-Knopf, Schwesterherz?"
"Abi! Antworte!"
"Selen, raus."
"Çağdaş Abi, muss ich euer Zimmer wirklich verlassen?"
"Nein Prinzessin, du darfst solange bleiben, bis du von Milad die Antworten bekommen hast." Çağdaş grinste mich an. So ein Arschloch aber auch.
"Der Typ ist ihr Ex, er hat sie belästigt, ich habe ihm klar gemacht, dass er sich nicht mehr Blicken lassen soll, danach habe ich Michelle an den Picknick Ort gebracht, wo wir früher immer waren. Du weißt schon, vor Sevgi Teyzes Tod."
"Der Typ mit dem dieses komische rothaarige Mädchen geschlafen hat? Also Michelles Ex-Freund und ihre ehemalige beste Freundin?" Sie wusste darüber? Wusste sie auch über den Brand Bescheid? Ich sah in das hübsche Gesicht meiner Schwester, die einen grübelnden Ausdruck hatte. Ihr Gesichtsausdruck verriet mir, dass sie nicht mehr wusste. Ich wusste jeden Gesichtsausdruck von Selen zu deuten. Vermutlich wussten das viele Leute, die länger Zeit mit ihr verbrachten, da sie ein offenes Buch war. Oder zumindest dachte ich so über sie, weil ich sie so gut kannte.
"Und was wollen die von Michelle?"
"Keine Ahnung Selen." Erneut fing sie an zu grübeln.
"Vielleicht-" "-Selen bitte. Ich bin müde", unterbrach ich sie. Sie ergab sich, wünschte uns eine gute Nacht, drückte uns jeweils einen Kuss auf die Wange und ging fort.

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