Uspiams Küste und die Lijoplantagen umgaben April, die mit Shorts und einem weiten T-Shirt bekleidet, barfuß durch den schweren Sand joggte. Es war der perfekte Tag, um die Edelsteine zurückzubringen. Die Sonne schien durch die wenigen Wolken und der Himmel war so blau wie schon seit Monaten nicht mehr.
Das Mädchen schaute auf ihre Uhr und stellte fest, dass es Zeit zum Aufhören war. Sie ging noch ein paar Minuten langsam, machte danach Dehnübungen und sah dabei die ganze Zeit über auf den Ozean.
Sie kehrte zur Villa zurück und sah die große Eingangstür, die wie gewöhnlich offen stand. Mehrere Männer schleppten mühsam ein großes, rustikales Möbelstück aus massivem Holz hinein.
„Hallo Mami."
„Guten Morgen, mein Kind. Hast du gut geschlafen?", fragte Iliria, als sie April durch die Tür kommen sah, nahm sie dann in den Arm und küsste sie auf die Wangen. „Du strahlst ja heute so. Gibt es dafür einen besonderen Grund?"
„Natürlich", antwortete April. „Heute wird sich in Uspiam alles wieder normalisieren."
„Passt auf, Jungs!", schrie Iliria, als sie sah, dass die Männer, die das Möbelstück trugen, damit an der Wand anstießen. „Ich hoffe beim Frühstück mehr über diesen Grund zu erfahren und wir sollten uns beeilen, Dorothea deckt gerade den Tisch und diese Frau wird unausstehlich, wenn wir das Essen kalt werden lassen."
„Was tragen sie da herein?", fragte April bevor sie mit ihrer Mutter gemeinsam ins Esszimmer ging.
„Ich habe dieses Möbel gekauft, um diesem langweiligen Foyer etwas Leben einzuhauchen."
Sie kamen in dem großen Esszimmer mit zwölf Plätzen an, wo Daven mit Tellern voll Speisen und mit Getränken gefüllten Gläsern hin und her ging.
„Brauchst du Hilfe, Papi? Was kann ich tun?"
„Nichts, Kind, kommt her und setzt euch. Ich kümmere mich um alles", antwortete Daven.
Ein paar Minuten später saß die ganze Familie am Tisch und sie begannen zu frühstücken.
„Wie war es in der Schule, mein Schatz?"
„Schön, Papi", antwortete April, „ein bisschen komisch, aber im Großen und Ganzen schön."
„Komisch? Was meinst du damit?", fragte Iliria. „Hat das etwas mit deiner guten Laune zu tun, die du heute verbreitest?"
„Nun ja", stockte April und dachte sich schnell etwas aus, „es gibt viele neue Schüler, das ist sonderbar, weil ich das noch nie hier in der Stadt erlebt habe."
„Neue? Ich habe nichts über neue Familien in der Stadt gehört", sagte ihre Mutter und trank von ihrem frisch gepressten Orangensaft.
„Bei den Wassern von Uspiam, neue Einwohner!", rief Daven. „Ich habe auch nichts darüber gehört. Vor ein paar Jahren, als deine Mama und ich jung waren, mein Kind..."
„Ein paar Jahre, Papi?", fragte April lachend.
„Ja, vor ein paar Jahren, ich werde nicht sagen, vor wie vielen", fuhr ihr Vater fort und lachte dabei immerzu, „war die Ankunft eines Fremden in der Stadt ein richtiges Ereignis. Ich erinnere mich daran, dass alle einen Umweg machten, um an dem Haus der Neuen vorbeizugehen und ein wenig herumzuschnüffeln."
„Das ist immer noch so, Papi, deshalb kommt es mir komisch vor."
„Dann sind wir ja noch gar nicht so alt", sagte Daven lächelnd und trank einen Schluck Kaffee.
„Es gibt einen Neuen, sein Familienname ist Storgard und..."
„Und das ist der Grund für deine Freude? Wirst du uns endlich einen Schwiegersohn präsentieren?", sagte Iliria aufgeregt.
„Nein, Mami, das ist es nicht, es ist anders. Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll."
„Hat er dir etwas getan, April?", rief Daven und ließ das Besteck mit dem Obst sinken, was er zum Mund führte.
„Nein!", erwiderte sie eilig. „Das hat er nicht. Es hat nichts mit mir zu tun."
„Was dann?"
„Er ist merkwürdig, ich kenne seine Familie nicht und ich weiß nichts über ihn."
„Wie sagtest du, war sein Name?", fragte ihr Vater.
„Belmont Storgard."
„Storgard... nein, diesen Namen habe ich noch nie in Uspiam gehört."
„Ich auch nicht", pflichtete ihm Iliria bei.
„Gut, mein Kind, pass auf mit den neuen Leuten. Wir kennen sie nicht und es ist besser, Vorsicht walten zu lassen."
„Ja, Papa, keine Bange", sagte April und aß ein bisschen Haferbrei.
„Nach dem Verschwinden von Bernie..."
„Wir wissen nichts darüber, Daven, wahrscheinlich hat er die Stadt verlassen und das war's."
„Man kann nie wissen, Schatz."
„Eine Entführung oder ein Mord in Uspiam", sagte Iliria und schälte dabei ihre Mandarine, „das ist unmöglich."
April nahm einen grünen Apfel und biss hinein, als Dorothea hereinkam, um die Gläser mit Orangensaft nachzufüllen.
„Und wie sieht es mit deinen Zensuren aus?"
„Wir haben noch keine Zensuren bekommen und ich habe schon alle Hausaufgaben für nächste Woche erledigt", antwortete April. „Ich wollte euch für heute um eure Erlaubnis bitten."
„Ja, natürlich!", rief Iliria. „Wohin willst du gehen?"
„In die Stadt, mit Sidney, Konrad und Veronica", log April.
„Selbstverständlich darfst du gehen", sagte Daven.
„Danke. Also ich werde am Nachmittag wieder zurück sein und dann erzählt ihr mir alles, was ihr über die neuen Familien in der Stadt wisst, besonders über die Storgards."
„Etwas sagt mir, dass dir der Junge gefällt", fügte Iliria hinzu.
April stand auf, brachte die schmutzigen Teller in die Küche und ging hinauf in ihr Zimmer. Dann putzte sie sich die Zähne, trug etwas Parfüm auf und ging wieder hinunter.
„Mach's gut, Mami, tschüss Papi. Ich nehme mein Auto", sagte sie und gab Iliria und Daven einen Kuss.
„Fährst du heute?"
„Ja, ich hole die Jungs ab."
Zwischen Konrad, April und Sidney gab es eine Abmachung. Um ihren CO2-Ausstoß zu reduzieren, fuhren sie nur mit einem Auto. Sie wechselten sich ab und jeden Tag benutzte ein anderer sein Fahrzeug.
„Ich habe deine Freunde seit dem Abend nicht mehr gesehen, als ich euch an der Bushaltestelle abgeholt habe. Sag ihnen, sie sollen zum Mittagessen kommen, wir kochen das, was sie gerne mögen."
„Ich werde es ihnen sagen."
Bevor sie das Haus verließ, packte April zwei Lijos in ihre Handtasche, eine Flasche Orangensaft und ein bisschen Müsli in einer Dose mit Deckel.
Als sie an der Eingangshalle ankam, sah sie das neue Möbelstück, das ihre Mutter gekauft hatte, neben der Tür stehen und bemerkte, dass es wunderschön und wahrscheinlich auch ziemlich teuer war. Es sah massiv aus und jetzt verstand sie, warum vier große Männer nötig waren, um es zu bewegen.
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Die Edelsteine von Uspiam
FantasyApril, Konrad, Sidney und Veronica sind vier Jugendliche, die in einem beschaulichen Städtchen mitten in einem riesigen Waldreservat leben, in dem nie etwas Aufregendes passiert. Wenigstens bis zu jenem Tag, als die vier Freunde mitten auf der einsa...